Illegale Einwanderer in Frankreich:Slum in den Dünen

Hunderte illegale Einwanderer hausen in dürftigen Hütten im Dünengebiet an der französischen Ärmelkanalküste. Doch nun will die Regierung den "Dschungel von Calais" räumen.

Stefan Ulrich, Paris

Als "Dschungel" beschreiben die Lexika einen undurchdringlichen tropischen Regenwald. Mit einem solchen Urwald hat der "Dschungel von Calais" nichts gemein.

Das Dünengebiet nahe dem Hafen ist nur mit schütterem Buschwerk bewachsen. Dazwischen leben Hunderte von Flüchtlingen und Immigranten aus Afghanistan, dem Irak, Somalia, dem Sudan oder Eritrea. Sie schlafen in Hütten, die sie sich aus Ästen, Plastikplanen, Brettern und Teppichen zusammengebaut haben. Sie backen Galettes und kochen Tee, als Herde dienen aufgerissene Metallfässer. Sie schlagen sich mit Hilfsjobs durch. Im "Dschungel von Calais", wie dieser Slum mitten in Westeuropa genannt wird, drohen ihnen Krankheiten wie Typhus und Krätze.

Doch die Menschen, die sich durch ganze Kontinente hindurch an die französische Ärmelkanalküste geschlagen haben, harren aus. Sie warten auf die Gelegenheit, irgendwie die gut 30 Kilometer breite Straße von Dover zu überwinden oder zu unterqueren, um nach Großbritannien zu kommen, wo sie Wohlstand und Arbeit erhoffen.

Manche warten monatelang auf eine Möglichkeit, als blinder Passagier auf eine Fähre zu gelangen oder sich in Lastwägen zu verstecken, die dann von Zügen huckepack durch den Kanal-Tunnel transportiert werden. Doch die Kontrollen der Franzosen und Briten werden engmaschiger und die Zeiten länger, die die Flüchtlinge in diesem trostlosen Dschungel verbringen. Firmen in der Nachbarschaft beschweren sich über Diebstähle und andere Übergriffe; und Bürger von Calais klagen, die Kriminalität steige.

"Drehscheibe des Menschenhandels"

Nun will Eric Besson, der französische Minister für Einwanderung, Integration und nationale Identität, den Dschungel roden, um im Bilde zu bleiben. Im Fernsehen kündigte er an, der Slum in den Dünen werde in den kommenden Tagen geräumt. Er begründet das mit der wachsenden Kriminalität. Nachdem die Regierung 2002 ein Auffangzentrum in der Gegend geschlossen habe, sei der "Dschungel von Calais" zu einer "Drehscheibe des Menschenhandels" geworden. "Das ist eine Zone der Rechtlosigkeit, wo die Schlepper ihr Gesetz durchsetzen wollen. Sie erpressen und misshandeln die Migranten und lassen sie unter unwürdigen Bedingungen leben." Damit müsse Schluss sein.

Der frühere Sozialist Besson, der kurz vor der Wahl Nicolas Sarkozys zum Präsidenten im Jahr 2007 ins rechte Lager überwechselte, versucht auch die Frage zu beantworten, was mit all den Menschen geschehen soll, die da bei Calais gestrandet sind. Sie könnten einen Asylantrag in Frankreich stellen oder freiwillig in ihre Heimat zurückkehren. Sonst würden sie abgeschoben. Den Afghanen versichert der Minister jedoch: "Wenn es die Lage in Afghanistan nicht erlaubt, wird niemand zur Rückkehr gezwungen."

Menschenrechts-Aktivisten und Oppositionelle halten das Vorgehen Bessons für Augenwischerei. Seine Kritiker betonen, viele "Dschungelbewohner" kämen aus Staaten, in denen Krieg und Verfolgung drohten. Dorthin könnten sie nicht zurück. Bei einem Asylantrag in Frankreich aber müssten diese Menschen damit rechnen, in jene europäischen Länder gebracht zu werden, in denen sie zuerst ankamen, etwa nach Griechenland oder Italien. Die Flüchtlinge wollten aber nach Großbritannien. Viele würden daher woanders abtauchen, wenn ihr Hüttendorf in Calais geräumt werde.

Probleme werden nur verlagert

"Wenn die Afghanen den Dschungel verlassen haben, gehen sie eben hundert oder zweihundert Meter weiter", gibt Pater Jean-Pierre Boutoille, der Sprecher einer Hilfsorganisation, zu bedenken. In den vergangenen Jahren seien ständig wilde Siedlungen geräumt worden. Geändert habe das nichts. Andere, wie der Pariser Stadtteilbürgermeister Rémi Féraud, finden, die Regierung verlagere das Problem mit den Slums nur. Immer wenn um Calais der Druck auf die Flüchtlinge steige, tauchten diese verstärkt in Paris auf. Férauds Lösung? "Wenn es solche Leute auf unserem Territorium gibt, muss man ihnen Unterkünfte zur Verfügung stellen. Das ist das Mindeste für ein Land wie Frankreich."

Die Regierung aber bleibt dabei, erst einmal das Lager in den Dünen zu räumen. Aus Gründen der Hygiene und der Ordnung könnten solche Ansiedlungen unmöglich geduldet werden, argumentiert Außenminister Bernard Kouchner. So werden in den nächsten Tagen wohl Polizisten und Bagger in den Dünen anrücken, um die Hütten und Zelte abzureißen. Eines aber bleibt der Dschungel von Calais: Ein Symbol für die Hilflosigkeit europäischer Einwanderungspolitik.

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