Ikea: Wenn Bürger begehren:Demokratie im Überfluss

Unversöhnliche Positionen: In einem Bürgerbegehren haben sich die Einwohner von Hamburg-Altona für eine Ikea-Filiale in ihrem Stadtteil ausgesprochen - trotzdem sollen sie erneut abstimmen

Ralf Wiegand

Im jüngsten Film des Hamburger Regisseurs Fatih Akin spielen ein paar Szenen dort, wo die Hansestadt nicht unbedingt am schönsten ist. Die Große Bergstraße im Stadtteil Altona hat ganz sicher schon bessere Zeiten gesehen.

Ikea, Hamburg, dpa

"Nein" zu Ikea sagte in einem Bürgerbegehren nur eine Minderheit in Hamburg Altona - doch es könnte ein zweites geben.

(Foto: Foto: dpa)

Hier steht das Frappant-Gebäude, ein Beton-Komplex, in dem früher einmal ein Kaufhaus allerlei Waren feilbot. Doch das Kaufhaus, in dem Akin seine erste Schallplatte gekauft haben will, ist längst Geschichte. Heute haben sich Künstler des Gebäudes angenommen und ihre Ateliers eingerichtet, ein Club zieht Szenepublikum an.

In Akins Film wird dort eine Party gefeiert. Der in Altona aufgewachsene, preisgekrönte Filmemacher hat den Drehort gewählt, sagte er in einem Interview, weil er bewusst an Plätze seiner Heimatstadt gegangen sei, "die es bald nicht mehr gibt".

Tatsächlich dürfte Altona demnächst in großem Stil umdekoriert werden - dann nämlich, wenn der schwedische Einrichtungsgigant Ikea sein Vorhaben in die Tat umsetzt und dort ein Möbelhaus baut, wo einst das Herz des Altonaer Einzelhandels schlug.

Die Ansiedlung des Selbstbau-Riesen ist dabei längst ein Politikum geworden, das über den Bezirk hinausweist. Denn selbst leidenschaftliche Kämpfer für direkte Demokratie - ausgeübt durch Bürgerentscheide oder Volksbegehren - befürchten, dass sich hier sogar zu viel Demokratie anbahnt. Nachdem nämlich am Donnerstag das Bürgerbegehren der Initiative "Pro Ikea" eine klare Mehrheit für die Ansiedlung ergeben hatte, wollen die Möbelhaus-Gegner nun eine weitere Abstimmung erreichen.

Unversöhnliche Positionen

"Es ist außerordentlich bedauerlich, dass zum Thema 'Ikea in Altona' kein gemeinsamer Bürgerentscheid der beiden Initiativen zustande gekommen ist", sagte Manfred Brandt, Vorstandsmitglied des Vereins "Mehr Demokratie". Bürgerentscheide sollten Frieden stiften. Entwicklungen wie in Altona würden "das Instrument beschädigen".

Im Prinzip müsste der Bürgerentscheid zum Bau der bundesweit ersten Ikea-Filiale in einer Fußgängerzone als beispielhaft für die direkte Bürgerbeteiligung gelten. Etwa 82.000 von 186.000 Wahlberechtigten in Altona nahmen an der Abstimmung teil - das sind mehr als bei der vergangenen Europawahl.

Das Votum fiel zudem eindeutig aus: 77,2 Prozent stimmten für die Ansiedlung. "Solche Ergebnisse gibt es in der Politik nicht alle Tage", sagt Michael Brandt, umso ärgerlicher sei der "dicke Schönheitsfehler" einer drohenden zweiten Abstimmung.

Gegner und Befürworter des Neubaus stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die einen befürchten, durch das Möbelhaus würden die ohnehin um ihr Überleben kämpfenden kleinen Geschäftsleute verdrängt, Mieten für Gewerbe und Wohnen in die Höhe schießen und die Verkehrsbelastung weiter steigen.

Die Befürworter wiederum erwarten das genaue Gegenteil, nämlich eine Belebung des Stadtteils und eine Stärkung des Einzelhandels. Die Ikea-Gegner wähnen sich zudem politisch und wirtschaftlich ausgebremst: Sie hatten ihren Anlauf zum Bürgerentscheid zuerst begonnen, aber die notwendigen 5600 Unterschriften zunächst nicht zusammenbekommen.

Die Pro-Initiative erfuhr schnell den Beistand der großen Parteien und des Einzelhandels, plakatierte großflächig und lieferte die Unterschriftensammlung im vergangenen November ab. "Mit ein bisschen gutem Willen wäre ein gemeinsamer Entscheid möglich gewesen", glaubt Michael Brandt vom Verein "Mehr Demokratie".

Unruhige Zeiten in Hamburg

Nun müssen Juristen die Sache prüfen: Am Montag reichten die Ikea-Gegner ihre Unterschriftensammlung beim Bezirksamt ein; sollten 5600 gültige darunter sein, könnte es einen zweiten Bürgerentscheid zum selben Thema geben - für einen solchen Fall sieht das Gesetz jedoch keine Regeln vor. "Wir betreten juristisches Neuland", sagte Kersten Albers, stellvertretender Leiter des Bezirksamts Altona.

Der Streit der Bürgerinitiativen fällt in unruhige Zeiten in der Hansestadt. Immer mehr Initiativen wehren sich dort gegen Projekte der Bezirke oder des Senats. Bürgerinitiativen vernetzen sich miteinander und tragen so jene Frage in die Mitte der Gesellschaft, die auch an der Fassade des Altonaer Frappant-Gebäudes plakatiert ist: Wem gehört die Stadt?

Fatih Akin hat die Frage neulich in einem Interview indirekt so beantwortet: "Mir gefällt es überhaupt nicht, wie sich die Stadt verändert." Deshalb sei Adam in seinem Film "Soul Kitchen" auch keiner, der weglaufe, "sondern einer, der sich gegen den Wandel sträubt".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: