Idomeni:Wenn die Wachen an den Grenzen in Europa Pause machen

Idomeni: Die Zäune entschärfen die Situation an den Grenzen keinesfalls.

Die Zäune entschärfen die Situation an den Grenzen keinesfalls.

(Foto: AFP)
  • Nach Deutschland führt die in Griechenland gestrandeten Flüchtlinge derzeit nur ein teurer und harter Weg - und der führt an der Bürokratie vorbei.
  • Zwar sind die Balkangrenzen offiziell für Flüchtlinge geschlossen, doch die Schlepper wissen, wo Löcher im Zaun sind und wann die Wachposten unaufmerksam sind.
  • Das Geschäft der Schlepper floriert noch immer. Europol und Interpol stellen auch in diesem Jahr eine "gleichbleibend hohe Nachfrage" an deren Angebot fest.

Von Nadia Pantel

Jeder, der in Idomeni ankam, trug das gleiche Papier bei sich. Eine Einreisebescheinigung der griechischen Behörden, ausgestellt auf einer der Inseln, an deren Strand die Boote mit den Syrern, Irakern und Afghanen landen. Auf die Bescheinigung stempelten griechische Beamte "Zielland Deutschland". Lange wurden diese Papiere in Idomeni gehütet wie Wartenummern im Behördenvorzimmer.

Inzwischen ist klar: Der Stempel ist wertlos. Wenn ein Weg nach Deutschland führt, dann an der Bürokratie vorbei. Und das, obwohl die große Mehrheit der Menschen in Idomeni aus Syrien, Afghanistan und dem Irak kommt und damit sehr gute Chancen auf Asyl in Deutschland hätte.

Als im vergangenen Sommer täglich Tausende Flüchtlinge in Deutschland ankamen, fragten viele, warum vor allem Männer kommen. Die Antwort hockte ein halbes Jahr später in Idomeni: Dort strandeten die Frauen und Kinder, die nachkommen sollten. Die meisten hatten mehr als ein Jahr auf einen Termin in einer deutschen Botschaft in der Türkei oder in Libanon gewartet. Schließlich gaben sie auf und bestiegen selbst die wackligen Boote. Als im März die Grenze bei Idomeni geschlossen wurde, waren laut UN-Flüchtlingshilfswerk 40 Prozent der Flüchtlinge, die auf den griechischen Inseln ankamen, Kinder, 22 Prozent waren Frauen.

Am Montag hat die Hilfsorganisation Safe the Children eine Studie veröffentlicht, für die sie Kinder aus Syrien, dem Irak und Afghanistan in Flüchtlingslagern in Athen und auf Lesbos interviewt hat. Im Durchschnitt waren diese Kinder vor eineinhalb Jahren zuletzt in der Schule. Sie sind in Europa angekommen, doch einen Zugang zum europäischen Bildungssystem haben sie nicht.

Für diejenigen, die es sich leisten können, bleibt die Balkanroute geöffnet

Wer kann, versucht aus Griechenland herauszukommen. Nur hat das nichts mehr mit Stempeln und Behörden zu tun, sondern mit der Ladefläche von Kleinlastern, mit Warten im Wald und mit dem Überweisen mehrerer Hundert bis Tausend Euro. Offiziell sind die Balkangrenzen für Flüchtlinge geschlossen, doch die Schlepper wissen, wo Löcher im Zaun sind und wann die Wachposten Pause machen.

Die Internationale Organisation für Migration (IOM) hat in der Woche vom 15. bis zum 22. Mai 876 Flüchtlinge registriert, die in Ungarn ankamen. Trotz Zaun. Für diejenigen, die es sich leisten können, bleibt die Balkanroute geöffnet. Sie führt weiterhin durch Ungarn und Serbien - und meist durch Bulgarien, statt durch Mazedonien.

In einem gemeinsamen Report bezifferten Europol und Interpol vergangene Woche den Umsatz, den Schlepper an Europas Grenzen machen, auf fünf bis sechs Milliarden Dollar, allein im Jahr 2015. Der Report stellt eine "gleichbleibend hohe Nachfrage" fest, auch im Jahr 2016.

Empathie scheint in Europa inzwischen aus der Mode gekommen zu sein

Schaut man sich entlang der sogenannten Balkanroute um, drängt sich eher der Eindruck einer gestiegenen Nachfrage auf. Gut 300 Flüchtlinge erreichen zum Beispiel wöchentlich Belgrad. Sie schlafen dort in Parks, bevor sie weiterfahren Richtung Ungarn. Das war auch im vergangenen Sommer so, als täglich Tausende ankamen.

Idomenii

Im Herbst wurde etwas Ordnung in das Chaos gebracht. Die Flüchtenden wurden an Serbiens Grenze namentlich registriert, sie warteten in staatlichen Camps, statt in Parks, zahlten den regulären Preis für eine Busfahrt Richtung Kroatien. Für die Schlepper waren das schlechte Zeiten.

Als Syrer, Afghanen und Iraker die Grenzen noch offiziell passieren durften, ließ sich der serbische Premier Aleksandar Vučić gerne mit Flüchtlingen fotografieren und betonte das humanitäre Engagement seines Landes. Doch Empathie scheint auf dem europäischen Kontinent inzwischen aus der Mode gekommen zu sein. Ein paar Tage nach Vučić' Wiederwahl im April wurde das zentrale Versorgungszentrum für Flüchtlinge am Belgrader Bahnhof geräumt und abgerissen. Der Platz wird gebraucht für das Luxus-Bauprojekt Belgrade Waterfront.

Diejenigen, die sich selbst verteidigen können, schaffen es aus Idomeni raus

Idomeni war zu einer Art Wallfahrtsort für Hilfswillige aus der ganzen Welt geworden. Sogar Christen aus Korea verteilten dort vegane Snacks und dokumentierten das auf Twitter. Doch auch eine Grenze weiter im mazedonischen Tabanovce harren mehr als Tausend Menschen aus, bis sich ein Schlupfloch Richtung Westen bietet.

Auch im serbischen Šid wird gewartet, im ungarischen Kiskunhalas. Von dort wird die Hoffnungslosigkeit nicht live ins Fernsehen übertragen. Und so fehlen die Vergleichsbilder, die zeigen, wer es aus Idomeni herausschafft: Es sind die alleinreisenden jungen Männer. Diejenigen, für die eine ganze Familie zusammengelegt hat. Diejenigen, die nicht von Kindern aufgehalten werden. Diejenigen, die sich selbst verteidigen können.

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