"Idioten"-Tweet:Und plötzlich war er weg

"Idioten"-Tweet: Heiko Maas ist seit Langem Mitglied der SPD-Spitze. 2001 rückte er in den Bundesvorstand auf, 2009 ins Präsidium. Ende 2013 wurde er Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz.

Heiko Maas ist seit Langem Mitglied der SPD-Spitze. 2001 rückte er in den Bundesvorstand auf, 2009 ins Präsidium. Ende 2013 wurde er Bundesminister für Justiz und Verbraucherschutz.

(Foto: Tobias Schwarz/AFP)

Heiko Maas griff einst Thilo Sarrazin per Twitter an, nun ist sein Satz gelöscht. Ist der Justizminister vom eigenen Gesetz betroffen?

Von Jannis Brühl

Im November 2010 schrieb Heiko Maas auf Twitter einen Satz, der ihn nun einholt: "Beim Besuch der islamischen Gemeinde Saarbrücken ist mir gerade wieder klar geworden, was für ein Idiot Sarrazin ist." Das war offensichtlich ein Angriff auf den SPD-Politiker Thilo Sarrazin, der unter anderem in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" muslimfeindliche Thesen verbreitet hatte. Seit dem Wochenende ist dieser Tweet verschwunden. Und das ist unangenehm für Maas, der damals SPD-Präsidiumsmitglied war - und heute Bundesjustizminister ist.

Dass Maas' sieben Jahre alte Polemik im Netz plötzlich unsichtbar ist, gilt vielen Gegnern des Ministers als Bestätigung ihrer Kritik am Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das dieser entworfen hat. Durch das neue Gesetz sollen strafbare Äußerungen im Internet schneller gelöscht werden. Es ist seit 1. Oktober 2017 in Kraft. Seit 1. Januar ist die Übergangsfrist vorbei: Nun drohen Plattformen wie Facebook und Twitter hohe Bußgelder, wenn sie etwa Beleidigungen oder Volksverhetzungen nicht löschen. Gegner des Gesetzes sagen, es schränke die Meinungsfreiheit ein, weil die Unternehmen aus Furcht nun jede auch nur mutmaßlich heikle Aussage löschten, ohne rechtsstaatliches Verfahren (siehe nebenstehenden Bericht). Allerdings ist fraglich, ob das Verschwinden des alten Tweets von Maas wirklich etwas mit dem neuen Gesetz zu tun hat.

In den sozialen Medien wird Maas von Gegnern seines Gesetzes mit Häme überschüttet: Einem Bumerang gleich richte sich das Gesetz nun gegen ihn selbst und schränke seine eigene Meinungsfreiheit ein. Tatsächlich gaben mehrere Nutzer an, den Tweet als illegal melden zu wollen, bevor er verschwand. Die hatten den alten Beitrag tief in Maas' Timeline entdeckt. Doch eines irritiert an der Geschichte: Twitter löscht im Rahmen des NetzDG eigentlich gar keine Beiträge. Das sollten nur Nutzer selbst können. Wenn Twitter einen Beitrag als in Deutschland illegal einstuft, wird er blockiert, und nicht gelöscht wie der Tweet über Sarrazin. Blockierte Tweets sind nur von dem Land aus nicht mehr sichtbar, für das Twitter ihn als illegal einstuft. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz lässt das Sperren eines als strafbar eingestuften Beitrages explizit zu - Hauptsache, Nutzer aus Deutschland bekommen ihn nicht mehr zu sehen. Dann wäre unter der Webadresse des Links ein entsprechender Hinweis zu finden: "Dieser Tweet wurde zurückgezogen." Unter der URL, unter der Maas' Tweet zu finden war, steht heute aber: "Sorry, diese Seite existiert nicht." Den konkreten Fall wollte Twitter auf Anfrage nicht kommentieren.

Aus dem Bundesjustizministerium heißt es, Mitarbeiter der Pressestelle hätten auch Zugriff auf das Nutzerkonto des Ministers, den Tweet aber nicht gelöscht: "Es war niemand von uns." Dafür, dass der Tweet von jemandem mit Zugang zum Konto gelöscht wurde, spricht allerdings, dass das Ministerium laut eigener Aussage keinerlei Information von Twitter zu einem Eingriff erhalten hat. Diese erhalten Nutzer eigentlich, wenn Twitter gegen ihre Beiträge vorgeht. Auf der Internetseite von Twitter heißt es: "Wenn wir Anträge auf Zurückziehung von Inhalten erhalten, benachrichtigen wir die betroffenen Nutzer unverzüglich, sofern uns das nicht ausdrücklich untersagt wird."

Der Minister selbst sagte in einem Interview mit bild.de mehrdeutig: "Ich habe keine Informationen von Twitter bekommen, weshalb er gelöscht wurde, oder ob er überhaupt von Twitter gelöscht wurde." Es könnte demnach auch sein, dass das Unternehmen einfach seine eigenen, schon lange existierenden Regeln durchsetzte.

Bleiben zwei Möglichkeiten: Twitter löschte den Tweet tatsächlich entgegen seiner üblichen Praxis. Oder Maas beziehungsweise jemand aus seinem Team löschte ihn am Wochenende, nachdem Maas' Kritiker den Beitrag aufgespürt hatten. Dann hätte derjenige aber schon am Montag überraschende Erinnerungslücken.

Im Streit über die Äußerungen von Politikern auf Twitter hatte das Unternehmen erst am Freitag bekannt gegeben, dass es die Äußerungen von Politikern mit weltweitem Gewicht privilegiere. Konten und Beiträge dieser sogenannten world leader würde man nicht blockieren, zu bedeutend seien deren Äußerungen für die Bürger. Besonders für den US-Präsidenten Donald Trump ist Twitter das wichtigste Sprachrohr, einige seiner Gegner fordern von Twitter, sein Benutzerkonto zu sperren. Er beschwöre mit seinen Tweets diplomatische Krisen oder gar Kriege herauf, etwa im Fall Nordkoreas. Ob Twitter auch Heiko Maas als world leader einstuft, ist nicht bekannt.

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