Ideologie des Kommunismus:Tod eines Gespenstes

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Der Kommunismus wird keine Rolle mehr spielen. Er ging unter in einer Welt, die zusammenrückte und die Fehler der anderen genauer zu betrachten lernte.

Stefan Kornelius

Der europäische Kommunismus in seiner regierungsamtlichen Form starb am Abend des 29. Juli 2009 eines kümmerlichen und wenig beachteten Todes. Er tat seinen letzten Atemzug in einem der kleinsten und sicherlich dem ärmsten Land des Kontinents, in Moldawien. Nicht, dass ihn dort noch jemand beachtet hätte. Die Kommunistische Partei Moldawiens hatte alles daran gesetzt, jeden Anschein von Ideologie abzustreifen, die der Idee des Kommunismus zur Ehre gereicht hätte. Bis auf den Namen eben.

Der Kommunismus hat sich selbst gerichtet - auch in Moldawien. (Foto: Foto: AP)

Nun aber ist es vorbei mit der Alleinherrschaft über vier Millionen Menschen. Ganz gleich, wie die moldauischen Geschicke nun gesteuert werden, und egal, ob die bisherigen Herrscher in Chisinau noch ein Zipfelchen Einfluss bewahren können - die letzte kommunistische Partei Europas ist vom Thron gestoßen worden.

Die mächtigste Ideologie des 20. Jahrhunderts, die wohl radikalste Utopie ist dort verblasst, wo sie einst ihre größte Wirkung entfalten konnte: in Europa. Beinahe hätte man es nicht gemerkt. Nicht, dass die verbliebenen kommunistischen Regime anderswo auf der Welt die reine Lehre bewahrten. In China versammelt die Kommunistische Partei unter ihrem Dach Repräsentanten so ziemlich aller politischen Denkschulen, die der Markt zu bieten hat: Basisdemokraten, Sozialisten, Neoliberale, Globalisierer, Nationalisten, Ökoradikale.

Sie alle formen die Kommunistische Partei, deren Aufgabe sich letztendlich auf den Machterhalt, die Machtverteilung und die Stabilisierung des Staates reduziert. Radikaler präsentiert sich die kommunistische Mutation in Nordkorea, die Karl Marx' Lehre in eine landeseigene Gebrauchsversion, ihre "Juche-Ideologie", übersetzt hat. Sie lebt wie in einem geschützten Reservat alle Perversitäten aus, die über knapp anderthalb Jahrhunderte unter dem Siegel des Kommunismus ausgedacht wurden.

Radikalität und Brutalität

Selbst die Vorzeige-Kommunisten auf Kuba müssen am Ende eingestehen, dass sie ihre Dauermacht nur der Staatssicherheit und der konsequenten Verfolgung Andersdenkender verdanken. Die karibische Projektion aller mitteleuropäischen Revolutions-Träumer wird zudem durch die verlässliche Feindschaft des großen Nachbarn USA am Leben gehalten. Eine wohlwollende Umarmung hätte die Castro-Clique längst erdrückt.

Anderswo hat der Kommunismus seinen Schuldigkeit getan. Der letzte lupenreine Diktator Europas verrichtet sein Werk in Weißrussland als Patriot und Nationalist, längst nicht mehr als Kommunist. Und die vielen Spielarten der postsowjetischen Parteienlandschaft haben sich demokratische Mäntelchen übergestreift, beschränken sich auf das Etikett sozialistisch oder wurden ganz abgewickelt. Kommunismus, das ist eine durch ihre Radikalität und Brutalität verbrauchte Ideologie. Sie verdankt ihr augenfälliges Ende, das sich in diesen Monaten zum 20. Mal jährt, nicht allein den Werftarbeitern von Danzig oder dem Papst oder einem mutigen Reformer im Kreml oder einem feurigen Antikommunismus im Westen. Das simpelste Argument gegen den Kommunismus war der Kommunismus selbst.

Die Sehnsucht nach Utopie

Was auch immer an utopischer Prophezeiung vom durchaus bürgerlichen Lebemann Karl Marx in London aufs Papier gebracht worden war, was auch immer die Theorie über die klassenlose Gesellschaft und den Wohlstand für alle parat hielt: Es funktionierte nicht. Der Kommunismus war eine Klammer, eine staatseinende Ideologie, die den sich formierenden Nationen, vor allem den rückständigen Agrargesellschaften, im Übergang von der Feudalherrschaft zur Herrschaft des Volkes ein eisernes Korsett verpassen sollte. Die utopischen Heilsversprechen des Kommunismus (und auch seines unseligen Bruders, des Nationalismus), seine religiöse Aufladung und seine Radikalität kamen in der Zeit des aufbrechenden nationalen Bewusstseins gerade recht, um die brodelnden Massen mit harter Hand zu zähmen.

Stalin und Mao waren die brutalsten Wächter dieses linken Totalitarismus - Diktatoren, die unter dem Vorwand von Gerechtigkeit, Brüderlichkeit und Gleichheit ihrem verbrecherischen Machttrieb freien Lauf ließen. Millionen und Abermillionen wegsperrten oder unter dem Vorwand des Fortschritts verrecken ließen. "Ein Toter ist eine Tragödie, eine Million Tote sind Statistik", soll Stalin gesagt haben. Wie entscheidend diese Gewaltherrschaft für den Zusammenhalt der Nationen war, hat Russland nach dem Zerfall der Sowjetunion an seinen Rändern erfahren. Und noch heute lässt sich auf dem Platz des Himmlischen Friedens erahnen, welche Furcht die chinesische Führung vor einer Konfrontation mit der Geschichte haben muss. Sie würde es auch nicht wagen, das Porträt des Großen Vorsitzenden am Eingang zur Verbotenen Stadt zu entfernen oder die kultische Verehrung einer historischen Überprüfung zu unterziehen.

Aber, so sagen die Verteidiger des Kommunismus, das war doch alles nicht gewollt. Man habe den guten Marx missbraucht. Und wie zum Beweis zeigen sie auf die Regalmeter mit den Neuerscheinungen zur Klassenkritik, die Neuinterpretationen Marxschen Denkens, die Übertragung seiner Gedanken auf die Zeit des zügellosen Kapitalismus, der Banken-Crashs. Und folgen die Globalisierungskritiker des 21. Jahrhunderts nicht ähnlichen Utopien wie einst die Kommunisten, aufgemotzt durch die Vision einer Welt ohne Umweltstress und soziale Ungleichheit auf dem ganzen Erbball? Könnte es also nicht gerechter zugehen auf der Welt, wenn der Kapitalismus gezügelt und gelenkt würde von der wirklich starken Hand des Staates?

Gerade hat sich der slowenische Philosoph Slavoj Zizek zu Wort gemeldet mit einem Klagegesang über die utopiefreie Welt, bevölkert von Hedonisten, getrieben von Gier und Schnäppchen, seelenlos und verantwortungsscheu. Strukturen vermisst er, "strukturierende Wahrheiten" gar. Da ist er wieder, dieser Menschheitswunsch nach einer Utopie, nach einem Heilsversprechen, nach der einen Wahrheit. Darf es vielleicht also doch ein Quäntchen politischer Ideologie sein, in dieser ideologiearmen Zeit? Vielleicht doch Marx, der die Wahrheit zu kennen vorgab, sie wissenschaftlich belegen wollte und quasi theologisch überhöhte - mit Revolutions-Gebot gar?

Inzwischen weiß man, dass es das Ende der Geschichte nicht geben wird, und dass selbst das postideologische Zeitalter nicht geschützt ist vor neuen Heilsversprechern, die sich zur Zeit eher als Nationalisten verkleiden. Der Kommunismus aber, das wichtigste politische Phänomen des 20. Jahrhunderts, wird dabei keine Rolle mehr spielen. Er ging unter in einer Welt, die zusammenrückte und dabei die Fehler der anderen genauer zu betrachten lernte. In Moldawien reichte ein Blick über die Grenzen in die EU, um das Wesen einer kommunistischen Partei zu erkennen, die aus Autokraten und raffgierigen Funktionären besteht. Die Wähler sahen ein Gespenst und beschlossen, sich davor nicht mehr zu fürchten.

© SZ vom 1.8.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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