Hungersnot in Ostafrika:In der Wüste der Verzweifelten

Schrecklich, aber vorhersehbar: Dass Ostafrika eine Dürre bevorsteht, ahnten Meteorologen bereits vor Monaten. Jetzt sollen Spenden die Not in Kenia, Somalia und Äthiopien lindern - dabei hätte man mit einem Bruchteil des Geldes die Katastrophe verhindern können.

Tim Neshitov

Die Welt beobachtet dieser Tage die wohl am penibelsten dokumentierte Hungersnot aller Zeiten. Das Famine Early Warning Systems Network, ein US-finanziertes Frühwarnsystem, hat detaillierte Karten der Hungergebiete am Horn von Afrika veröffentlicht.

Drought-hit Somalis continues to flee to the capital Mogadishu

Ostafrika erlebt die schlimmste Dürre seit 1950. Zehn Millionen Menschen sind auf sofortige Hilfe angewiesen, wie hier in einem Lager bei Mogadischu.

(Foto: dpa)

Je tiefer das Rot, wie etwa in Ostäthiopien oder nördlich der somalischen Hauptstadt Mogadischu, desto akuter die Not. Meteorologen und Geologen, Agrarexperten und Nasa-Forscher haben ihre Datenbanken zusammengelegt, Regenmengen pro Quadratkilometer ausgerechnet und Satellitenbilder ausgewertet. Sie wissen, dass die Hirten in Somalias Shabelle-Region bis zur Hälfte ihrer Schafe verloren haben und dass der Hirsepreis auf den Dorfmärkten in Nordkenia im vergangenen Jahr bis um das Zweifache gestiegen ist.

Ihr Fazit: Ostafrika erlebt die schlimmste Dürre seit 1950, zehn Millionen Menschen, vor allem in Kenia, Somalia, Äthiopien und Dschibuti, sind auf sofortige Hilfe angewiesen. Zehntausende fliehen in überfüllte Flüchtlingslager der Vereinten Nationen. Alleine in Kenia schweben mehr als 65.000 Kinder in akuter Lebensgefahr.

Der Appell des US-Warndienstes an die Hilfsorganisationen, "humanitär einzugreifen", ist mehr als einen Monat alt. Dass die Dürre im Kommen war, ahnten die Meteorologen bereits im Januar. Die Hilfsaktionen laufen aber erst jetzt an, nachdem die zweite Regenzeit in Folge in einem der trockensten Gebiete des Planeten definitiv ausgefallen ist und die ersten Kinder verhungert sind.

"Leider sind wir bereits hinter der Kurve", schrieben die UN-Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO, das Welternährungsprogramm WFP und die Hilfsorganisation Oxfam in ihrem jüngsten gemeinsamen Spendenappell. Man habe die Gelegenheit verpasst, die Menschen auf die Dürre vorzubereiten. Was nach Selbstkritik klingt, offenbart das grundlegende Problem von Hilfsorganisationen heute: Es ist oft nur möglich Spenden zu sammeln, wenn die Katastrophe bereits ausgebrochen ist. "Wir müssen uns leider um das Wrack des Flugzeugs kümmern, anstatt die Panne vorher zu beseitigen", sagt ein Mitarbeiter von Save the Children, eines britischen Hilfswerks.

Spendenappelle reichen nicht

Je fortschrittlicher die Prognosemethoden für Hungersnöte werden, desto skurriler wirken aufgeblähte Kinderbäuche im Fernsehen. Vor 25 Jahren hatte die Regierung von Ronald Reagan das Hunger-Frühwarnsystem gegründet, damit sich eine Katastrophe wie der äthiopische Hunger von 1984 bis 85 nie wiederholen kann. Damals starben fast eine Million Menschen. Ob die derzeitige Krise solche Dimensionen erreichen wird, hängt vom Umfang der Spenden ab, die in den nächsten Monaten nach Ostafrika fließen werden. Allerdings haben Ökonomen bei Oxfam ausgerechnet, dass diese Hungersnot mit nur einem Bruchteil dieser Spenden hätte verhindert werden können.

"Es handelt sich um kein Verständnisproblem, sondern um eine Frage des Ausmaßes", hieß es bereits in einem Oxfam-Bericht, der kurz vor der vorherigen Dürre in Ostafrika, Ende 2009, veröffentlicht wurde. Als Sinnbild der Ineffizienz wird darin das Hilfsprogramm der USA in Äthiopien angeführt, dem größten Geber in der Region. 561 Millionen US-Dollar wurden im Jahr 2008 als direkte Lebensmittelhilfe an hungernde Dorfbewohner ausgegeben. Nicht mal 60 Millionen Dollar sind in Initiativen geflossen, die äthiopische Bauern mit Dünger und besseren Anbautechniken ausstatteten.

OECD, die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, hat ausgerechnet, dass jährlich weniger als ein Prozent der weltweiten Entwicklungshilfe solchen nachhaltigen Projekten zugute kommt. Die Weltgemeinschaft reagiert lieber mit Spendenappellen auf jede einzelne Dürre.

Der Klimawandel - eine willkommene Ausrede für die Politik

Das dürfte in Zukunft immer schwieriger werden. Denn Dürren sind am Horn von Afrika ein zyklisches Phänomen. Meteorologen sagen voraus, dass die Regenzeiten in den nächsten zwei Jahrzehnten noch häufiger ausfallen werden. Von 2025 soll es in drei von vier Jahren eine Dürre geben.

Der Klimawandel ist natürlich nicht der einzige Grund, warum Millionen Ostafrikaner heute hungern müssen. Aber Klima ist zum Beispiel für Äthiopiens langjährigen Herrscher Meles Zenawi, der wegen seiner katastrophalen Landwirtschaftspolitik seit jeher in der Kritik steht, eine willkommene Ausrede. Auch die islamistische Miliz al-Shabaab, die in Somalia bis vor kurzem Lebensmittellieferungen plünderte und Mitarbeiter von Hilfsorganisationen entführte, zieht es vor, den Klimawandel für die Probleme des Landes verantwortlich zu machen.

Ein wichtiger Grund für den Anstieg der Lebensmittelpreise sind auch die Spekulationen mit Getreide auf den Weltbörsen. Eine Studie der Hochschule Bremen im Auftrag der Welthungerhilfe schätzt, dass die Kapitalanleger auf den Terminmärkten für Getreide im Jahr 2008 für etwa 15 Prozent des überhöhten Preisniveaus verantwortlich waren.

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