Humor in Brasilien:Lachen, um leben zu können

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Die Brasilianer lieben den seichten Humor, der sie von der Härte des Alltags ablenkt - tiefsinnig wird selten geblödelt.

Peter Burghardt

Ein brasilianischer Dienstag neigt sich dem Ende entgegen, die Abendnachrichten haben von den Korruptionsfällen der regierenden Arbeiterpartei berichtet und von illegalen Brandrodungen. Anschließend fesselte ein weiteres Melodram der Seifenoper "Paraíso Tropical" die Nation. Nun folgt auf TV Globo um 22 Uhr der wöchentliche Höhepunkt des Klamauks. "Erst ab 14 Jahren", wird warnend vorausgeschickt.

Gelacht wird in Brasilien viel und gerne - vor allem während des Karnevals. (Foto: Foto: dpa)

Dabei sind die leicht bekleideten Damen und anzüglichen Gags so harmlos wie der Rest der Sendung. Bald ist in dieser halben Stunde von "Casseta & Planeta, Urgente!" auch Präsident Luiz Inácio Lula da Silva zu besichtigen, als lispelnder Tiefseeschwamm nach Art der Comicfigur Spongebob. Er gibt bekannt, dass wie immer nichts funktioniert, Luftblasen steigen auf. Ansonsten geht es unter anderem um einen arbeitslosen Transvestiten und trottelige Sicherheitsleute mit Knüppeln wie im Kasperltheater.

Einige Millionen Menschen schauen zu, viele lachen vermutlich sogar. Sonst hätte diese Sendung nicht seit 15 Jahren solch sagenhaften Erfolg. "Wir sind die Champions", sagt Marcelo Madureira, geboren als Marcelo Garmatter, als Sohn deutscher Einwanderer. Er empfängt in seiner großzügigen Wohnung am Botanischen Garten von Rio de Janeiro.

Eher Didi Hallervorden als Harald Schmidt

Im Hintergrund grüßt die Christus-Figur vom Corcovado, was den Hausherren nervt. Er ist überzeugter Atheist und war früher Kommunist. Madureira gehört seit Anfang an zu dieser Komikertruppe und schreibt gemeinsam mit dem Kollegen Hubert unter dem Titel Agamenon auch die sonntägliche Kolumnen in der Zeitung O Globo, die wie der TV-Sender zum Globo-Imperium gehört, dem bedeutendsten Mediengiganten Lateinamerikas. Männer wie Madureira sind Stars einer Humorindustrie, die zunehmend Kalauer produziert, Didi Hallervorden ähnlicher als Harald Schmidt.

Anspruchsvolles Politkabarett ist in solchen Programmen kaum zu erwarten. Das passt weder zum Unterhaltungskonzept von Globo für die Massen noch zum mehrheitlichen Lebensgefühl im größten Land des Subkontinents. Viele Brasilianer sind trotz Wahlpflicht tendenziell unpolitisch und den angenehmen Seiten des Lebens zugewandt - vor allem in Rio und anderen Küstengebieten will man sich von den täglichen Katastrophen so wenig wie möglich die Laune verderben lassen.

Die Begrüßungsformeln lauten "Tudo bem", alles gut, "tudo joia", alles Perle, oder "tudo beleza", alles Schönheit. Dazu wird der rechte Daumen erhoben, Einzelheiten zum Befinden sind nachrangig. Wozu sich unnötig über Kleinigkeiten wie klauende Politiker oder schießwütige Polizisten aufregen bei all den weißen Stränden, schönen Frauen und eiskalten Bieren? Die Welt lässt sich ja doch nicht ändern.

Etwas feinsinniger blödeln wenige wie der Kolumnist José Simao von der Zeitung Folha de São Paulo. Sein Gegenprogramm zu "Casseta & Planeta, Urgente!" nennt sich "Macaco Simao Urgente!", Dringendes von Affe Simao. Das schlechte Portugiesisch und den Sprachfehler von Staatschef Lula nennt Simao "Lules", erfindet dazu jedes Mal eine neue Vokabel und schließt mit der Feststellung: "Lules ist einfacher als Englisch". Englisch spricht Lula nicht.

"Der Mann in den Hauptnachrichten, die Frau im Playboy"

Die frühere Sexualberaterin Marta Suplicy bezeichnete er während ihrer Zeit als Bürgermeisterin von São Paulo als "Blondine, die den Verkehr zum Erliegen bringt". Als die heutige Tourismusministerin Suplicy das Chaos mit Unfällen und Verspätungen im Luftverkehr mit dem Hinweis versah, die wartenden Fluggäste sollten "relaxen und genießen" ("relaxar e goza"), da machte Simao die Fluggesellschaft Varig zu "Viacao aereo relaxar e gozar", Vareg. Und aus der Affäre um Senatspräsident Renan Calheiros und dessen Geliebte, die sich im Playboy auszieht, zog er diesen Schluss: So etwas endete in Brasilien immer gleich - "der Mann in den Hauptnachrichten, die Frau im Playboy".

Schoten zu zwischenmenschlichen Beziehungen kommen beim Publikum am besten an. Brasilien pflegt dazu ein unverkrampftes Verhältnis. Das zeigt sich auch bei der Flut von Witzen ("Piadas"), die über die Computer in Wohnungen und Büros hereinbrechen. Mehrere Internet-Portale befassen sich mit diesem Zeitvertreib. Bei www.piadas.com.br zum Beispiel sind derzeit 34 180 Scherze von 193 536 registrierten Nutzern im Angebot.

Die Rangliste der Themen: Unangefochten auf Platz eins steht die Kategorie "adultas", da geht es um die Wirrungen des Geschlechtslebens. Es folgen Zielgruppen wie "Portugiesen", "Argentinier" und "Gauchos". Letzteres sind die meist europäischstämmigen Einwohner von Brasiliens Süden, alle drei Stämme werden veralbert wie in Süddeutschland Ostfriesen oder Österreicher.

Charmante Witze über den Papst

Nach den New Yorker Terroranschlägen vom 11. September 2001 geisterten Bilder durchs brasilianische Netz, auf denen Osama bin Laden das Trikot der argentinischen Fußball-Nationalelf trug. Es gibt auch ein paar geschmackvollere Ideen wie die vom Papstbesuch im Mai: Benedikt XVI. könne bereits heiliggesprochen werden, denn er habe vor den Augen von Millionen Menschen drei Wunder vollbracht, sogar eines mehr als verlangt, schrieb eine gewisse Idely. Sein Flugzeug sei 30 Minuten vor der angekündigten Landung in São Paulo eingetroffen. Er habe Polizisten auf die Straße gebracht. Und, obwohl er Deutscher sei und in Rom lebe, "hat er besser Portugiesisch gesprochen als Lula".

Man darf da nicht zimperlich sein und auf keinen Fall politisch korrekt, findet Marcelo Madureira alias Garmatter von "Casseta & Planeta". "Wir dürfen nichts und niemanden verschonen", doziert er und fläzt quer im Sessel. "Wir brauchen Humor, um das Leben zu ertragen", gerade in Rio, wo die Favelas mit ihren Schießereien unmittelbar neben den Luxusvierteln liegen, glücklicherweise nicht neben seinem. "Rio ist ein Resonanzkörper für ganz Brasilien, wir haben ein hervorragendes Klima für Witze", sagt Madureira. Auf ihre Weise macht sich seine Combo über alles lustig, gerne auch über die katholische Kirche, der offiziell drei von vier Landsleuten angehören. Religion hält Madureira generell für "einen Rückschritt der Menschheit", vom Bayern Ratzinger ganz zu schweigen.

Manchmal im Ton vergriffen

Vor dem Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 2002 vergriffen sich die Scherzkekse im Ton und schrieben, "der wahre Nationalsport der Deutschen ist der Völkermord", das führte zu diplomatischem Entsetzen. Der damalige Anführer der Blödeltruppe, Claudio Besserman, Künstlername Bussunda, starb vier Jahre später während der WM nahe München an einem Herzinfarkt. Auch Stürmer Ronaldo und Staatschef Lula trauerten. Dabei wurden sie bevorzugt von Bussunda nachgemacht.

Ohne Bussunda geht es weiter. In diesen Wochen will sich "Casseta & Planeta Urgente!" verstärkt dem Schmiergeldskandal um Lulas Partei widmen. Das Volk wird sich amüsieren. Wieder gewählt wurde Lula trotzdem - mit absoluter Mehrheit.

© SZ vom 5.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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