Horst Köhler:Ein Jahr auf Bewährung

Als Quereinsteiger ist der Bundespräsident unversehens in den Mittelpunkt der Tagespolitik geraten - und was er auch tut, er steht unter Verdacht.

Von Christoph Schwennicke

Oslo/Berlin, im Juni - Ein schönes Land, und diese Ruhe hier, himmlisch. Die Fußgängerüberwege in Oslo sind aus hellem Granit, die Flaniermeile Akker Brygge am Hafen ebenfalls komplett frisch in Stein gelegt, die Hauptstadt hat sich rausgeputzt zur Hundert-Jahr-Feier der Unabhängigkeit.

Köhler, AP

Köhler bei der Bundesgartenschau in München: Er hat repräsentative Aufgaben, aber er mischt sich auch ein.

(Foto: Foto: AP)

Ein entspanntes Land ist dieses Norwegen, ein Arkadien, gerade für einen politischen Besucher aus dem darbenden Mangel-Deutschland. Hier fällt der Strom als Wasser von den Bergen, und das Öl im Meer beschert einen Reichtum, der die finanzpolitische Debatte Norwegens darauf reduziert, wie viel Ölgeld direkt in den Haushalt fließen soll oder doch besser auf die hohe Kante kommt.

Ein Land also, in dem Milch und Honig fließen und der Fisch die Netze füllt. Das Nationaltheater nahe des Schlossparks spielt, wie um das Idyll komplett zu machen, Pippi Langstrumpf.

Ein paar Tage ausspannen von den Nöten und den Aufgeregtheiten Berlins: Irgendwie passt der Besucher aus Deutschland, der gerade in einem schuhkartonartigen Raum im Amtssitz des Ministerpräsidenten Kjell Magne Bondevik steht, gut in dieses Norwegen.

Unten am Eingang eines im Vergleich zu den feudalen Bürgersteigen gelinde gesagt funktionalen Waschbetongebäudes hat ihn eine kleine Blaskapelle in Uniform begrüßt, von militärischen Ehren ist ansonsten nicht viel zu sehen. Ein paar Passanten halten an, gucken kurz und gehen ihres Weges.

Der Weg zur Wahl

Oben im Schuhkarton sagt Bundespräsident Horst Köhler dann, Deutschland könne von Norwegen "a certain sense of modesty" lernen, später am Abend am Kamin des Gästehauses der Regierung wird er von einer "selbstbewussten Bescheidenheit" sprechen, die ihm imponiere an diesem Land. Jetzt, in der Pressekonferenz im Schuhkarton, preist er den Umgang Norwegens mit seinem flüssigen Nordseegold als Ausdruck eines "longterm thinking", also einer Politik, die nicht die Saatkartoffeln verfrisst, statt sie zu pflanzen.

Das ist nach dem Geschmack dieses Bundespräsidenten, der, wie inzwischen hinreichend bekannt, im Schwäbischen aufgewachsen ist, wo man den gediegenen Wohlstand hinter einfachen Fassaden versteckt, man lieber einen Mittelklasse-Daimler fährt, obwohl es zur S-Klasse reichen würde.

Ein Jahr ist der Norwegen-Reisende Horst Köhler nun der neunte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, und während sein Vorgänger zu diesem Zeitpunkt seiner Amtszeit mit dem Problem zu kämpfen hatte, zu wenig Aufmerksamkeit auf sich gezogen zu haben, ist bei Köhler eher das Gegenteil der Fall.

Von Anfang an war seine Präsidentschaft ein Politikum, kein anderer Präsident hat in so kurzer Zeit polarisiert und sich der parteipolitischen Einflussnahme verdächtig gemacht wie Horst Köhler, der 23 Jahre lang Mitglied der CDU war.

Gift und Galle spuckte zuletzt die Linke der SPD in Richtung Bellevue, alle Regeln der politischen Etikette waren außer Kraft gesetzt. Angela Merkels Präsident, der im Gewand des neutralen Notars für Deutschland als Wegbereiter der Machtübernahme agiert - das ist das Feindbild zum Beispiel des Fraktionsvizes Michael Müller.

Dabei rühmt Köhler den Agenda-Mut des Kanzlers. Es sei womöglich eine "historische List der Vernunft", dass Rot-Grün die Aufgabe zufiel, den Beginn einer Deutschland-Reform zu markieren, hat er einmal in kleiner Runde gesagt.

Und eben der, der dies sagte, hat es nun selbst in der Hand, das Land in eine neue Ära zu überführen. Paradoxerweise gibt es einerseits Stoßgebete aus dem Kanzleramt, er möge dies doch bitte ohne Vorbehalte tun, zugleich aber kommen gerade aus der SPD Stimmen, die es Köhler schwer machen, diese Entscheidung so zu treffen.

Ein Jahr auf Bewährung

An seinem festen Willen, den Weg für Neuwahlen in Deutschland frei zu machen, kann es keine ernsten Zweifel geben. Mit Roman Herzog hat er sich darüber unterhalten, dem Vor-Vorgänger und Verfassungsrechtler. Man darf ganz sicher sein: Köhler sucht nicht den Weg, der Neuwahl im Weg zu stehen. Er sucht den Weg, die Neuwahl möglich zu machen.

Köhler, AP

Ein Mann der polarisiert: Horst Köhler

(Foto: Foto: AP)

Dann wäre der 62-jährige Präsident formal der Wegbereiter einer wahrscheinlichen neuen Regierung unter der Kanzlerin Angela Merkel. Er, der von Merkel im Wohnzimmer von Guido Westerwelle für das höchste Staatsamt ausgeguckt und mit ihrer Mehrheit in der Bundesversammlung gewählt wurde.

Teil des Deals

Passt das nicht alles zusammen, fragen sich seine Kritiker? Das sei doch kein Zufall, dass der Pressesprecher des Bundespräsidenten, Martin Kothé, auf den wir noch zu sprechen kommen, direkt von Westerwelle zu Köhler wechselte. Viele in Berlin sagen, das sei Teil des Deals gewesen.

Und auch wenn sich Horst Köhler in einem persönlichen Gespräch richtig empört zeigen kann, dass nach seiner "Vorfahrt für Arbeit"-Rede bei den Arbeitgebern die CDU-Vorsitzende Merkel gleich darauf in ihrer Antwort auf eine Regierungserklärung Schröders am 17. März vor dem Jobgipfel eins zu eins bei ihm abkupferte: Dieser Gleichklang der Worte von Präsident, Kanzlerkandidatin und potenziellem Koalitionspartner ist auffallend.

Wenn Köhler nicht Merkels Präsident ist, dann ist er zumindest in Gefahr, wie Merkels Marionette zu wirken.

Neu daran wäre nicht, dass diejenigen, die über die Mehrheit in der Bundesversammlung verfügen, ihren Kandidaten nach Gusto ausgucken. Das haben Oskar Lafontaine und Gerhard Schröder mit Johannes Rau auch getan, dem sie damit einen Lebenstraum erfüllten.

Neu wäre ein politischer Kampfauftrag, der mit dieser Nominierung verbunden ist, oder auch nur eine Instrumentalisierung.

Horst Köhler stand von Anbeginn unter Verdacht. Schon am Tage seiner Wahl zum Bundespräsidenten sah sich Richard von Weizsäcker, Altbundespräsident und Vergleichsgröße für alle seine Nachfolger, gehalten, seiner CDU Einhalt zu gebieten, die in Machtbesoffenheit ihren Köhler-Coup als Einstieg in den Ausstieg von Rot-Grün feierte. Das Amt des Bundespräsidenten sei "ein Amt der absoluten Überparteilichkeit", mahnte Weizsäcker.

Hilfe vom Kanzler

Merkel, die das als disziplinierende Maßnahme des Unionsgranden empfinden musste, sagte hinterher trotzig: "Es bleibt uns unbenommen, dass wir weiter sagen dürfen, wie wir das alles verstehen."

Leute, die mit Köhler den Saal verließen, konnten daraufhin berichten, der neue Bundespräsident habe sehr gestaunt über das Scharmützel, das sich da an seiner Person entzündet hatte. "Was hatte das alles zu bedeuten?", soll er gefragt haben.

Was immer seither geschehen ist: Das erste Jahr seiner Amtszeit war nicht dazu angetan, den Verdacht der Parteipolitisierung von Bellevue zu schmälern, im Gegenteil. Doch wenn Köhler tatsächlich eine Marionette Merkels wäre, dann hätte ironischerweise ausgerechnet Gerhard Schröder seiner Herausforderin die Fäden an die Hand gegeben.

Denn wäre es vorstellbar, dass der frühere Finanzstaatssekretär und Gipfelvorbereiter für den Kanzler Helmut Kohl vom Posten einer vergleichsweise unbedeutenden Osteuropabank in London auf diesen Schild gehoben worden wäre? Schwerlich.

Dazwischen lag eine Station als Chef des Internationalen Währungsfonds (IWF), die Köhler ausschließlich Bundeskanzler Gerhard Schröder zu verdanken hat.

Eine deutsche Besetzung des IWF-Chefsessels gehörte im Jahre 2000 zu einem Prestige-Projekt des Kanzlers. Mit seinem ersten Kandidaten, dem Staatssekretär Caio Koch-Weser, scheiterte Schröder allerdings am Widerstand der US-Regierung, damals noch unter Bill Clinton.

Der zweite Anlauf mit Horst Köhler, zu der Zeit Chef der Osteuropa-Bank in London, klappte. Köhler war Schröder, so geht die Rede, von Altkanzler Helmut Schmidt empfohlen worden.

Köhler sei in "ungewöhnlicher Weise" für das Amt an der Spitze des IWF geeignet, sagte der Kanzler damals. Schwer vorstellbar, dass Schröder diesen Tipp in die Tat umgesetzt und so geredet hätte, wenn er gewusst hätte, dass er Köhler damit erst präsidiabel machte.

Und auch eine Laune der jüngsten Geschichte zwingt den Kanzler und den Präsidenten weiter zusammen. Am 23. Mai hatte Horst Köhler sein einjähriges Dienstjubiläum, nimmt man seine Wahl zum Bundespräsidenten als Zeitmaß. Weil der Bundeskanzler am Abend vorher, am 22. Mai, im Lichte der Wahlniederlage von Nordrhein-Westfalen seinen Wunsch nach Neuwahlen aussprach, ging dieser Termin glattweg unter.

Am 1.Juli nun jährt sich zum ersten Mal die Vereidigung des Bundespräsidenten Horst Köhler, und abermals wird nicht viel Muße bleiben zur bilanzierenden Betrachtung, weil Gerhard Schröder an jenem Tag im Bundestag die Vertrauensfrage stellen wird.

Ein Jahr auf Bewährung

Niemand wird also noch einmal Köhlers schwierige und gelungene Israel-Reise Revue passieren lassen wollen oder seine zahlreichen Auftritte zum Gedenken an das Kriegsende vor 60 Jahren, die er durchaus präsidial absolvierte.

Alles, was dann an Horst Köhler interessant sein wird, ist die Frage, ob er das Verfahren zur Neuwahl mit seiner Unterschrift legitimiert oder nicht. Wieder wird nicht eine betuliche Bilanz des Präsidenten anstehen, sondern alle Blicke werden sich gebannt auf die rechte Hand des Staatsoberhauptes richten.

Wie schon angedeutet: Um die Verwerfungen zwischen Bellevue und Kanzleramt zu verstehen, muss auch von der Pressepolitik des Bundespräsidenten geredet werden.

Ungehalten war man im Kanzleramt seinerzeit, als ein Brief des Bundespräsidenten an den Kanzler in den Zeitungen stand, in dem Köhler Schröder mitteilte, was er von der Streichung des Feiertages am 3. Oktober aus Finanznot halte, nämlich gar nichts.

Bestätigt sah man den Argwohn gegen Köhlers Pressesprecher Martin Kothé im Kanzleramt, als jüngst nach einem Gespräch zwischen Schröder und Köhler über die geplante Vertrauensfrage Einzelheiten daraus bekannt wurden.

So soll Schröder dem Präsidenten seinen Wunsch nach Neuwahlen damit begründet haben, dass er sich einem "Erpressungspotenzial" seiner eigenen Leute ausgesetzt sehe. So etwas sollte in einem gesunden Klima zwischen Kanzler und Präsident normalerweise vertraulich bleiben.

Doch tut alle Welt Horst Köhler Unrecht, wenn sie ihn als "Arbeitgeberpräsidenten" brandmarkt und als Steigbügelhalter einer Kanzlerin Angela Merkel?

Er wolle Deutschland helfen, kann Horst Köhler mit ungeheuer ehrlich wirkendem Augenaufschlag sagen, zum Beispiel am Kamin im Gästehaus in Oslo. Wer will ihm den Willen dazu absprechen, ihm, der die Welt gesehen hat, der gesehen hat, dass es die anderen auch nicht unbedingt besser können, es aber trotzdem besser machen?

Der erlebt hat, dass sich soziale Gerechtigkeit nicht mehr nur innerhalb eines Landes definieren lässt, sondern vor dem Hintergrund dessen, was sich in China und Lateinamerika abspielt. Wie Köhler über Afrika redet, über Brasilien und Kolumbien - so redet keiner, der die Abrissbirne über dem Sozialstaat schwingt.

Man kann über Köhler streiten: Dieser Mann ist sperrig, dieser Mann ist teilweise tapsig auf dem politischen Parkett, aber ein gefühlskalter Deutschland-Sanierer ist er nicht.

Wer will ihm nicht abnehmen, dass seine so genannte Brandrede bei den Arbeitgebern längst geplant war und dann aus einer Laune der politischen Zeitläufe heraus so stilisiert wurde zum großen Präsidentenwort vor dem Jobgipfel?

"Nur traurig" macht es ihn, wenn die Stellvertreter des SPD-Fraktionsvorsitzenden Franz Müntefering nun aus allen Rohren auf ihn schießen. Eine wunderliche Wortwahl: Wann war zuletzt einer traurig in Berlin?

Politik macht wach

Es ist ihm wohl kaum zu verdenken, dass er an Deutschland leidet, dem er so viel zurückgeben will von dem, was es ihm gegeben hat. Er ist ungeduldig und kann sich selbst kaum politische Enthaltsamkeit auferlegen.

Auch wenn er bei einem Treffen schon eingangs sagt, er sei müde und man werde nicht mehr lange zusammensitzen, politisiert er sich doch in Schwung und sucht nach den Rezepten für die Medizin, die der Patient Deutschland braucht.

Dass seine Rezepte und die Medizin allesamt aus dem Arzneischrank der Union stammen, ist dabei auffallend. Und auffällig ist auch der Umstand, dass sich sein Vorgänger Johannes Rau zum Beispiel, obwohl jahrzehntelang Parteipolitiker durch und durch, an keinem Kamin der Welt so tief in die operative Politik hätte ziehen lassen, schon gar nicht bei dem festen Vorsatz, früh schlafen gehen zu wollen.

Zu Köhlers Amtsantritt hat der Journalist Hugo Müller-Vogg einen Gesprächsband mit dem Bundespräsidenten veröffentlicht. Das Gespräch zu lesen ist mehr berufliche Pflicht als Leselust, aber interessant nimmt sich aus heutiger Sicht das geneigte Vorwort Müller-Voggs aus.

Eingehend auf die Unterstellungen, Köhler könnte eine Art U-Boot Merkels im Schloss Bellevue sein, schreibt Müller-Vogg im Mai des vergangenen Jahres, es könne sich "sogar eine ebenso interessante wie wirkungsvolle Konstellation ergeben".

Diese bestünde darin, dass sich der Kanzler, vom Ballast des SPD-Parteivorsitzes befreit, neu erfinde und auf die Unterstützung eines "andersfarbigen" Präsidenten bauen könne.

Nun ist alles etwas anders gekommen, als man noch vor einem Jahr annehmen konnte. Deshalb steht vermutlich bald jene Passage auf dem Prüfstand, in der Müller-Vogg sagt, sowohl der gegenwärtige Regierungschef als auch mögliche Nachfolger täten gut daran, "sich auf einen eigenständigen, völlig unabhängigen Präsidenten" einzustellen.

Sich vereinnahmen, "gar instrumentalisieren zu lassen", sei "seine Sache nicht". So gesehen kann aller Voraussicht nach erst das zweite Amtsjahr von Horst Köhler erweisen, ob sich womöglich ganz viele in ihm getäuscht haben.

An jenem Tag, an dem dieser Beweis geführt würde, hätten der stellvertretende SPD-Fraktionschef Michael Müller und Angela Merkel das erste Mal etwas gemeinsam in ihrem Leben. Sie hätten sich beide in Horst Köhler geirrt.

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