Horst Köhler:Der stumme Präsident

Horst Köhler fehlen die Worte. Seine wichtigste Rede ist eine bislang ungehaltene, auf die man wartet. Aber vergeblich.

Heribert Prantl

Horst Köhler kennt die Wirtschaft so gut wie noch kein Bundespräsident vor ihm. Er ist Ökonom, er ist also der Richtige, um etwas über das dort grassierende Leporello-Phänomen zu sagen.

Horst Köhler

Horst Köhler - der stumme Präsident.

(Foto: Foto: AP)

Leporello ist, wie der Opernkenner weiß, der Diener des Don Giovanni, der dessen Eroberungen in einer berühmten Arie preist: In Italien 640, in Deutschland 231, 100 in Frankreich, 91 in der Türkei und in Spanien 1003 Frauen.

In solchem Leporello-Stil verkünden Wirtschaftsunternehmen heutzutage Entlassungen und Arbeitsplatzabbau: Bei Karmann 1250, bei Bayer-Schering 6000, bei Siemens-Nokia 9000, 14500 bei DaimlerChrysler, 20000 bei VW und bei der Telekom 32000. Angesichts der Gewinne, die gleichzeitig bekannt gemacht werden, erscheint das auch den Zeitgenossen, die mit sozialistischem Gedankengut gar nichts am Hut haben, als gefährliche Frivolität.

Verstört und immer öfter zornig fragen auch die Anhänger der Volksparteien nach der sozialen Verantwortung von Unternehmen und danach, wie das eigentlich weitergehen soll. Gut also, dass Deutschland einen Bundespräsidenten hat, der sich gut in der Wirtschaft auskennt.

Köhler fehlen die Worte

Doch diesem Bundespräsidenten ergeht es so, wie es einst dem jungen Parzival auf der Gralsburg ergangen ist: Horst Köhler findet das richtige Wort nicht. Seine wichtigste Rede ist eine bisher ungehaltene Rede, eine, auf die man wartet, die aber nicht kommt. Köhler wird deswegen nicht verflucht, so wie dies einst dem Parzival widerfahren ist.

Aber er verschwindet mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben. Als er vor zwei Jahren sein Amt antrat, hat er das Land mit einer fast ein wenig schelmischen Rede überrascht, hat er ohne Pathos und ohne Grämlichkeit die Malaisen des Landes aufgezählt und dabei auf die damals noch allgemein übliche herrisch-entschlossene Reform-Rhetorik verzichtet.

Der stumme Präsident

In dem Maß freilich, in dem dann die Politik nach Bildung der großen Koalition auf diese Töne verzichtet hat, hat der Präsident sich diese wieder angewöhnt. Sein Plädoyer zu Gunsten der "Vorfahrt für Arbeit", hat sich mittlerweile durch Wiederholung verbraucht; es kam nichts Neues mehr hinzu.

Aus dem erfrischend konservativen Präsidenten, als der er vor zwei Jahren antrat, wurde ein Artefakt eines gescheiterten Projekts - nämlich der damals, bei seiner Wahl noch geplanten Koalition aus Union und FDP. Der Präsident hat es bisher nicht geschafft, diese Umstände seiner politischen Geburt vergessen zu machen.

Spurlos

Es hilft ihm daher wenig, wenn die FDP ihn heute preist und ihn gegen Kritik aus der SPD in Schutz nimmt. Seit zwei Jahren schaut das Land, anfänglich mit Wohlgefallen, jetzt mit Verwunderung, dabei zu, wie ein Bundespräsident seinen Weg sucht, ihn aber nicht findet. Köhler tritt auf merkwürdige Art und Weise auf der Stelle.

Er verschwindet daher aus dem öffentlichen Bewusstsein, er hinterlässt keine Spuren mehr. Das hat weniger damit zu tun, dass Horst Köhler die Hinterlassenschaft einer nicht zustande gekommenen schwarz-gelben Koalition ist, sondern dass er es bisher nicht geschafft hat, sich selbst zu befreien und über den Parteien zu stehen.

Horst Köhler ist kaum mehr da, auch wenn er noch da ist. Sein Vorgänger Johannes Rau hatte vor sieben Jahren ähnliche Schwierigkeiten - gerade weil er ein so erfahrener Politiker war, weil er jahrzehntelang in der Öffentlichkeit gestanden hatte, weil er sich, auch im Urteil der Öffentlichkeit, erst aus der Politik herausarbeiten musste.

Der stumme Präsident

Köhler gelingt es nicht, sich hineinzuarbeiten; er müsste über den Bankmenschen, über den Makroökonomen in sich hinauswachsen; er hat das bisher nicht geschafft. Er ist ein schmalspuriger Präsident geblieben.

Dabei hat kein Präsident vor ihm schon in seinem ersten Amtsjahr das Rütteln an den klassisch-kleinen präsidialen Kompetenzen so sehr zu seinem Markenzeichen gemacht wie Horst Köhler. Er wollte herunter vom Podest des Integrators, er wollte ein Präsident der Tat, nicht nur des Rates sein, ein Gestalter und Reformator.

Zweite Chance für Parzival

Hier trat er, in Gerhard Schröders Zeiten, in Konkurrenz zum Bundeskanzler, das machte die Sache pikant; denn das Mobile der deutschen Verfassungsorgane ist sorgsam austariert. Köhler schien Lust darauf zu haben, es zum Tanzen zu bringen. Seitdem Angela Merkel mit einer großen Koalition regiert, tanzt da nichts mehr. Köhler ist ein abgeschnittener Präsident.

Nicht Angela Merkel und nicht Franz Müntefering haben ihn abgeschnitten. Er selber hat es getan, als er vor einem knappen Jahr seinem eigenen Antrittsmotto nicht gerecht wurde: Offen wollte er sein, "notfalls unbequem". Aber er ging, als er vor Jahresfrist, im Juli 2005, das Parlament auflöste und mit einer übertrieben-dramatischen Fernsehansprache die Neuwahl anordnete, den bequemen Weg.

Diese Entscheidung war populär, sie entsprach den Erwartungen der Parteien, dem Wunsch des damaligen Bundeskanzlers, den Sehnsüchten der Angela Merkel, den Hoffnungen des Guido Westerwelle. Horst Köhler war also der politischen Klasse zu willen. Das hat sich an ihm gerächt. Er müsste nun über seine Genese hinauswachsen. Parzival hatte eine zweite Chance. Horst Köhler hat noch drei Jahre Zeit.

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