Honorarreform:Ärzte setzen auf Eskalation

Schlachtplan für maximalen Druck auf die Regierung: Mit Praxisschließungen und Massenprotesten wollen Ärzte gegen die Honorarreform kämpfen.

G. Bohsem

Andreas Köhler war Ringer, als er noch ein junger Mann und nicht Vorstandschef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) war. Das erklärt seinen massigen Körperbau und den ausgeprägten Stiernacken. Wer sich etwas auskennt mit dieser Sportart, weiß, dass gute Ringer nicht nur stark müssen. Entscheidend ist, dass sie Finten und Kniffe beherrschen, taktisches Geschick haben und die Schwächen des Gegners kennen.

Honorarreform: Ärzte-Protest in Berlin:  Mit diversen Eskalationsstrategien wollen die Mediziner Druck auf Bundes- und Landesregierungen ausüben.

Ärzte-Protest in Berlin: Mit diversen Eskalationsstrategien wollen die Mediziner Druck auf Bundes- und Landesregierungen ausüben.

(Foto: Foto:)

Man kann annehmen, dass der ehemalige Ringer Köhler am 10. Februar ganz in seinem Element war. In einem internen Treffen von KBV und Facharztverbänden trug er vor, wie die missglückte Reform der Honorarzahlungen für die etwa 140.000 niedergelassenen Ärzte noch zu retten ist: mit mehr Geld.

In einer Power-Point-Präsentation legte Köhler seine Forderungen dar und präsentierte dabei einen Plan, wie Bundes- und Landesregierungen im Jahr der Bundestagswahl unter Druck gesetzt werden können, falls die Ärzteschaft ihre Ziele nicht erreicht. "Eskalationsstrategien bis September 2009 bei Scheitern der Verhandlungen", lautet der Titel der ersten Stufe. Sollte es dann noch keine Lösung geben, soll Stufe zwei folgen. Sie heißt: "Maximale Eskalation vor dem Hintergrund der Bundestagswahl 2009".

Der erste Teil des Schlachtplans sieht eine umfangreiche Medienkampagne vor. Die Ärzte wollen eine breite Debatte über "Rationierung und Priorisierung" im Gesundheitssystem anstoßen. Der Öffentlichkeit soll klar gemacht werden, dass wegen der mangelhaften Finanzierung nicht mehr alle medizinisch notwendigen Leistungen erbracht werden können und die Ärzte gezwungen werden könnten, manche Patienten vordringlich und andere erst später zu behandeln.

Um die Debatte zu verstärken, sind vereinzelte Protestaktionen vorgesehen. In bestimmten Regionen sollen Arztpraxen zeitweise schließen. An die Mediziner ergeht zudem die Aufforderung, Wartelisten anzufertigen. Patienten und der Öffentlichkeit soll so deutlich gemacht werden, wie schlecht es um die Versorgung der Kranken bestellt wäre, wenn die Ärzte Dienst nach Vorschrift machten und nicht zusätzliche Stunden ohne Bezahlung arbeiteten.

In der zweiten Stufe dann planen die Vorstände aller 17 regionalen Kassenärztlichen Vereinigungen und die der Bundesorganisation, ihre Ämter niederzulegen. Damit dieser Paukenschlag gelingt, muss er nach Köhlers Vorstellung zunächst intensiv vorbereitet werden. Mit den Rücktritten stünde die eine Hälfte der Selbstverwaltung aus Ärzten und Krankenkassen von einem Tag auf den anderen ohne Führung und politischen Ansprechpartner da. Zugleich sollen die Fachverbände Köhlers Vorgaben nach in den Wochen vor der Bundestagswahl die Ärzte dazu aufrufen, ihre Praxen flächendeckend zu schließen. Ebenso flächendeckend soll es zusätzlich zu Protestaktionen kommen.

Köhler sieht sich angesichts der massiven Proteste gegen die misslungene Honorarreform zu drastischen Schritten gezwungen. Ziel des Vorhabens war es, das Verfahren so umzustellen, dass die Ärzte nicht mehr nach Punkten sondern in Euro und Cent abrechnen können. Dabei sollten die Honorare der Ärzte im Osten angeglichen werden, ohne einen Mediziner im Westen schlechter zu stellen.

Um die Reform zu finanzieren, müssen die Kassen im Jahr drei Milliarden Euro zusätzlich zahlen. Während viele Mediziner profitieren, führt die Umstellung des Systems bei anderen zu massiven Einbrüchen von bis zu 40 Prozent. Vor allem Mediziner in Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein sind betroffen. In ihrer Wut wehren sich manche Ärzte, indem sie ihre Patienten widerrechtlich nur noch gegen Vorkasse oder auf Rechnung behandeln.

Während Gesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) die Ärzteorganisation für das Scheitern verantwortlich macht, verweist die KBV auf viel zu späte Weichenstellungen des Ministeriums. Kassen und KBV wollten am Freitag erneut über die Reform verhandeln. Ein Kompromiss zeichnete sich nicht ab. Köhlers Ringer-Strategie ist damit ein Stück wahrscheinlicher geworden.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: