"Regenschirm-Revolte":Nächste Runde im Kampf um Hongkongs Zukunft

"Regenschirm-Revolte": Das Lager der Demonstranten ist in Fraktionen zerfallen: Wo 2014 Hunderttausende protestierten, kamen jetzt gerade noch 3000 Menschen zusammen.

Das Lager der Demonstranten ist in Fraktionen zerfallen: Wo 2014 Hunderttausende protestierten, kamen jetzt gerade noch 3000 Menschen zusammen.

(Foto: Dale de la Rey/AFP)
  • In Hongkong wird am Mittwoch über den Gesetzesentwurf abgestimmt, der im vergangenen Jahr die sogenannte "Regenschirm-Revolte" ausgelöst hatte.
  • Das Gesetz würde Hongkongs Bürgern zwar die direkte Wahl des Regierungschefs ermöglichen, allerdings nur aus einem von Peking zuvor genehmigten Kandidatenkreis.
  • Im September 2014 hatten Hunderttausende gegen das Gesetz demonstriert.

Von Kai Strittmatter, Peking

An diesem Mittwoch geht der Kampf um die Zukunft Hongkongs unter chinesischer Herrschaft in eine neue Runde. Hongkong ist keine Demokratie, aber es hat ein Parlament, den " Legislativrat", in dem das demokratische Lager 27 von 70 Abgeordneten stellt. Gestalten kann dieser Stimmenblock nichts, wohl aber verhindern - und wenn man den Ankündigungen der Demokraten glauben darf, dann wollen sie genau das tun: Zur Debatte und zur Abstimmung steht am Mittwoch nämlich eben jener von Peking diktierte, umstrittene Gesetzesentwurf, der im vergangenen Jahr die "Regenschirm-Revolte" ausgelöst und zur wochenlangen Besetzung des Stadtzentrums durch Demonstranten geführt hatte.

Der Streit um das Gesetz über den künftigen Wahlmodus des Regierungschefs bleibt bis zur letzten Minute spannend. Es ist ungewiss, ob die Einigkeit des demokratischen Lagers hält, oder ob es den Pekingtreuen nach Monaten des Lockens und Drohens gelingt, einzelne Abgeordnete in ihr Lager hinüberzuziehen und den Gesetzentwurf zu verabschieden. Nur vier der 27 demokratischen Abgeordneten müssten kippen, dann könnte das Gesetz den Legislativrat passieren. Falls dies geschieht, drohen der Stadt neue Proteste und Demonstrationen.

Die Gegner halten Pekings Vorlage für Etikettenschwindel

Konkret geht es darum, wie Hongkong in Zukunft seinen Regierungschef bestimmt. Bei der Rückkehr der ehemaligen britischen Kronkolonie nach China hatte Peking der Stadt 1997 für mindestens 50 Jahre "ein hohes Maß" Autonomie versprochen. Später sagte Peking den Hongkongern für das Jahr 2017 die freie und direkte Wahl des Regierungschefs zu. Bislang wird er von einem 1200 Personen starken Wahlkomitee bestimmt, dessen Mitglieder Peking aussucht.

Der im vergangenen Sommer in Peking vorgestellte Gesetzesentwurf sieht nun zwar tatsächlich für 2017 die direkte Wahl des Regierungschefs durch Hongkongs Bürger vor. Allerdings sollen sie nur die Auswahl haben dürfen zwischen von Peking zuvor für gut geheißenen Kandidaten. Die Demokraten nennen das Etikettenschwindel. Bei den Demonstrationen der "Occupy Central"-Bewegung im vergangenen September protestierten an manchen Tagen mehr als Hunderttausend Bürger gegen solche "Wahlen wie in Nordkorea", wie es die Banner damals nannten.

Die Demonstrationen liefen sich nach anfänglicher Euphorie allerdings tot, im Dezember wurden die letzten Straßenblockaden aufgelöst, ohne dass die Regierungen in Hongkong oder Peking den Demonstranten in irgendeiner Weise entgegengekommen wären. Das Lager der Demonstranten ist heute ernüchtert, frustriert und in viele Fraktionen zerfallen.

Erstmals sind die Gegner des Gesetzes in der Überzahl

Die Abstimmung am Mittwoch aber hält die Stadt nun wieder im Bann. Am Sonntag demonstrierten die Gegner des Gesetzes, es nahmen nur etwas mehr als 3000 Leute an der Demonstration teil. Eine Fernsehdebatte zwischen prominenten Befürwortern und Gegnern des Gesetzes am Wochenende zeigte allerdings, dass es dem Regierungslager trotz intensiver Propaganda in den letzten Monaten nicht gelungen ist, die Mehrheit der Bürger auf ihre Seite zu ziehen.

Im Gegenteil: Eine gemeinsame Umfrage dreier großer Universitäten der Stadt ergab am Freitag, dass die Zahl der Gegner des Gesetzes erstmals die der Befürworter überholt hatte. Und auch bei den Zuschauern der TV-Debatte kippte die Stimmung: Vor der Debatte sagten der South China Morning Post zufolge 49 Prozent der Befragten, das Gesetz solle abgelehnt werden, danach waren es 54 Prozent. Am Montag gab die Polizei bekannt, sie habe neun Personen festgenommen, die verdächtigt würden, Sprengsätze herzustellen, man habe unter anderem Chemikalien und Bauanleitungen sichergestellt.

Das Gesetz sei eine "historische Chance" für Hongkong

China warb bis zuletzt für seinen Vorschlag. Der Plan sei "machbar, vernünftig und pragmatisch", sagte in Peking Außenamtssprecher Hong Lei. Das Gesetz sei eine "historische Chance" für Hongkong. Hongkongs demokratische Abgeordnete sehen jedoch darin jedoch nur "Pseudodemokratie". Emily Lau, Vorsitzende der Demokratischen Partei prophezeite das Scheitern des Entwurfs. "Dann sind wir wieder zurück am Anfang", sagte sie. "Es ist tragisch." Der Kampf für mehr Demokratie werde jedoch weitergehen.

Das Thema berührt so viele Hongkonger, weil sie schon jetzt die zunehmende Einmischung Pekings beklagen und konkret fürchten, durch Pekings Kandidaten von Jahr zu Jahr schlechter regiert zu werden. Der jetzige Regierungschef Leung Chun-ying kam 2012 mit gerade 689 Stimmen ins Amt, er steht in der Schusslinie der Kritik, gilt vielen jedoch nur als letztes Beispiel einer Reihe schwacher Statthalter Pekings. Vor allem unter jungen Hongkongern wächst Unmut darüber, dass China die Regierung ihrer Stadt vor allem in die Hände schwerreicher Unternehmer gelegt hat. Sie beklagen explodierende Wohnungspreise, schwindende Zukunftsaussichten und eine sich gewaltig auftuende Schere zwischen Arm und Reich.

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