Ehe für alle in den USA:Freiheit, Gleichheit, Liebe

The White House is illuminated with rainbow colors

Nach dem Urteil zur Homo-Ehe in den USA erstrahlt das Weiße Haus in Regenbogenfarben.

(Foto: dpa)

Das Urteil des Obersten Gerichts zur Homo-Ehe ist ein Bekenntnis Amerikas zur modernen Gesellschaft. Es wird auch in Deutschland Wirkung zeigen.

Von Johannes Kuhn, San Francisco

"Keine Verbindung ist tiefer als eine Ehe, sie verkörpert die höchsten Ideale von Liebe, Treue, Hingabe, Opferbereitschaft und Familie. Wenn zwei Menschen den Bund der Ehe eingehen, verwandeln sie sich in etwas, das größer ist als das, was sie einst waren."

Der Supreme-Court-Richter Anthony Kennedy hat diese Sätze geschrieben, sie werden wie das Urteil, das sie begründen, einmal in den Geschichtsbüchern stehen: Am 26. Juni 2015 hat der Oberste Gerichtshof der USA die gleichgeschlechtliche Ehe im ganzen Land für rechtens erklärt.

Für jene, die eine Hochzeit als schlichte Institutionalisierung einer Partnerschaft betrachten, klingt Kennedys Lob der Ehe fremd und konservativ - und in der Tat ist Kennedy ein Konservativer. Jene, die die Bedeutung der Ehe im Alltag immer wieder erleben, erkennen in seinen Worten eine höhere Wahrheit.

Stärkung des Säkularen

Homosexuellen in den USA ist die Entscheidung, ob die Ehe ein Teil ihrer Partnerschaft wird, lange Zeit verwehrt geblieben. Und hätte der Supreme Court anders entschieden, wäre selbst der Status von bereits Verheirateten vielerorts unklar gewesen.

Diese Unsicherheit hat der Oberste Gerichtshof nun beendet, ja hinweggefegt, wenn auch mit knapper Mehrheit. Es ist ein Sieg für die Freiheit, zu lieben - und ein Urteil in der Tradition von Bürgerrechts-Entscheidungen wie der Gleichstellung der Afroamerikaner in den Sechzigern.

Der 14. Zusatzartikel der Vereinigten Staaten garantiert die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz. Dass dies nun auch für die Ehe gilt, stärkt auch die säkulare Säule Amerikas: Nicht die Kirche, sondern der Staat definiert, was unter Ehe zu verstehen ist. In einem Land mit einer stark religiösen Tradition, in dem Teile der Freikirchen weiterhin offen Homophobie predigen, ist das bemerkenswert.

Millionen von Amerikanern wurden wegen ihrer sexuellen Orientierung über Jahrhunderte als abnormal, pervers, moralisch niederwertig oder sogar geisteskrank gebrandmarkt. Kein Urteil, kein Gesetz kann Diskriminierung und Vorurteile mit einem Federstrich löschen, und selbst flächendeckende Akzeptanz ist in diesem Land mit seinen starken Gegensätzen keine Selbstverständlichkeit. Doch der Staat sagt nun: Lasst die Menschen ihre Schilder mit "Gott hasst Schwule" hochhalten, du und dein Partner seid nicht schlechter oder besser als das Hetereo-Ehepaar von nebenan. Das ist ein starkes Signal.

Die neue Normalität

Bis vor 20 Jahren hatte sich der Supreme Court nicht mit diesem Thema beschäftigen wollen. Das Urteil trägt deshalb der Veränderung der amerikanischen Gesellschaft Rechnung, einer stetig einsickernden Normalität, die vor allem für junge Menschen und in größeren Städten längst selbstverständlich ist. Inzwischen sprechen sich Umfragen zufolge mehr als 60 Prozent der Amerikaner für gleichgeschlechtliche Ehen aus.

Europa ist schnell dabei, den USA einen illiberalen Kern und die Tendenz zur Stagnation zu unterstellen. Dabei unterschätzt die andere Seite des Atlantiks manchmal die Dynamik, die in dieser sich stets erneuernden Gesellschaft liegt. Dieser Tag wird deshalb auch an Deutschland nicht spurlos vorübergehen: 14 Jahre nach der Verabschiedung des Gesetzes zur gleichgeschlechtlichen Lebenspartnerschaft ist es Zeit für eine Debatte über die Ehe zwischen Menschen, unabhängig von Geschlecht und sexueller Präferenz.

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