Holocaust:"Wie ein Insekt, dem man die Fühler ausgerissen hat"

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Saul Friedländer in einem Hotel in Paris. Den Holocaust überlebte er versteckt in einem Internat in Frankreich. (Foto: N/A)

Der israelische Historiker Saul Friedländer erzählt im SZ-Interview, wie er den Holocaust überlebte, und wie ihn danach Ängste plagten. Er spricht Deutsch, auf eigenen Wunsch.

Von Ronen Steinke und Joachim Käppner

Wenn er seine Gefühle in Deutschland beschreibt, umschließen seine Hände kurz den Hals. Jahrelang hatte er unkontrollierbare Ängste. Nicht nur in Deutschland. Aber hier besonders. Es war wie eine Automatismus, so erzählt er: Wenn er nach Deutschland kam, wurde er krank, erkältet, Fieber. Einmal, 1962, als ein Arzt ihn fragte: Ihre Eltern sind gesund?, da ist er aufgestanden und einfach aus der Praxis gelaufen. "Das war zwar eine völlig normale Frage", sagt Saul Friedländer, heute 83, der große Historiker des Holocaust, vielleicht der bedeutendste. "Aber ich konnte ihm doch nicht sagen: Meine Eltern sind hier ermordet worden."

Wenn Saul Friedländer das erzählt, dann mit erstaunlichem Humor, immer wieder lacht er über sich selbst, dabei schildert er seine Jugend in seiner gerade erschienenen Autobiografie "Wohin die Erinnerung führt" mit Sätzen wie diesen: Lange sei er unfähig gewesen, sich emotional berühren zu lassen nach den Traumata der Kindheit. Wie "ein Insekt, dem man die Fühler ausgerissen hat".

Friedländer versteckte sich in einem katholischen Internat in Frankreich

Als Historiker des Holocaust ist es Friedländers Leistung, den Opfern ihre Stimme zurückgegeben zu haben. Sein Standardwerk "Das Dritte Reich und die Juden" verknüpfte Politik- mit Kultur- und Alltagsgeschichte der europäischen Juden. 1932 in Prag geboren, überlebte Friedländer den Völkermord versteckt in einem katholischen Internat in Frankreich. Nach dem Krieg lebte er in Israel und den USA.

Im Interview mit der SZ hat er auf eigenen Wunsch hin Deutsch gesprochen. Es ging um Angela Merkel und die AfD. Und dann erzählte er von einer bislang unbekannten Begegnung mit dem rechtskonservativen Historiker Ernst Nolte, der vor Kurzem gestorben ist - und dem Schlüsselerlebnis, das es ihm ermöglichte, nach dem Krieg doch wieder zu fühlen.

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