Holocaust-Denkmal:Fragezeichen statt eines Schlusspunkts

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden vermisst am heute eröffneten Mahnmal die Frage nach dem Warum, der Architekt gesteht ein, dass sein Bau provozieren kann, und Bundestagspräsident Thierse begrüßt die Kontroversen. Denn die Zeitzeugen, die ans Geschehen erinnern könnten, verschwinden.

"Es ist mir eine Ehre, das Denkmal dem deutschen Volk zu übergeben", sagte der amerikanische Architekt Peter Eisenman vor 1000 Ehrengästen. Dazu gehörten Überlebende des Holocaust, Bundespräsident Horst Köhler und Bundeskanzler Gerhard Schröder.

Holocaust-Mahnmal Berlin, Reuters

Paul Spiegel, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Architekt Peter Eisenman und Bundestagspräsident Wolfgang Thierse bei der Eröffnung des Holocaust-Mahnmals in Berlin.

(Foto: Foto: AP)

Das Mahnmal wurde am Nachmittag nach 17 Jahren teils sehr kontroverser Debatte eröffnet. Es liegt in unmittelbarer Nähe des Brandenburger Tores und besteht aus einem 19.000 Quadratmeter großen Stelenfeld und einem unterirdischen "Ort der Information". Dort werden die Besucher über Verfolgung und millionenfache Ermordung der Juden unterrichtet.

Der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, äußerte bei der Eröffnung des Holocaust-Denkmals deutliche Kritik: Das Mahnmal entziehe sich der Frage nach dem "Warum" und enthalte sich jeder Aussage über die Schuldigen. Gleichwohl äußerte er seine Wertschätzung für das Projekt "insgesamt", das "Solidarität mit der jüdischen Gemeinschaft" zum Ausdruck bringe.

Provozierende Einfachheit

Das Holocaust-Mahnmal soll nach Worten des Architekten Eisenman ein "dauerhaftes Gedächtnis" an die ermordeten Juden Europas schaffen. Er habe mit dem von ihm entworfenen Stelenfeld nicht provozieren wollen, sagte der Amerikaner. Er habe etwas vermitteln wollen von dem Leid der verfolgten und ermordeten Juden. "Diese Einfachheit ist es vielleicht, die es zur Provokation macht", sagte er.

Auf Anregung der Mitinitiatorin des Projekts, Lea Rosh, werden in einer Stele ein Backenzahn und ein Judenstern von zwei Ermordeten eingefasst. Lea Rosh sagte, ein Ziel des Mahnmalprojekts sei es gewesen, den Ermordeten ihre Namen zurückzugeben. Sie sei dankbar, dass dies nun gelungen sei.

Bundestagspräsident Thierse sagte, das Denkmal werde Anstoß bleiben, "der Streit darum wird weitergehen." Nicht alle Gegenargumente seien widerlegt worden. "Seine Widmung bleibt umstritten." Das Denkmal erinnert an die Ermordung von sechs Millionen Juden, aber nicht an andere Opfer der Nazi-Diktatur. Thierse wies darauf hin, dass im "Ort der Information" auf andere Gedenkstätten hingewiesen werde. Das Holocaust-Mahnmal erhebe "keinen Monopolanspruch aufs Gedenken".

Das Mahnmal werde nach seiner Überzeugung einen wichtigen Beitrag dazu leisten, die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten in Erinnerung zu halten. Bei der Eröffnung der Gedenkstätte am Dienstag in Berlin sagte Thierse laut Redetext: "Was heute noch in großer Eindringlichkeit Zeitzeugen erzählen können, müssen in Zukunft Museen, muss Kunst vermitteln." Das Denkmal sei aber nicht der "steinerne Schlusspunkt unseres öffentlichen Umgangs mit unserer Nazi-Geschichte", sagte Thierse, der auch Stiftungsratsvorsitzender für das Mahnmal ist.

"Keine negative Nostalgie"

Der Bundestagspräsident äußerte die Hoffnung, dass insbesondere junge Menschen "die begriffslose Ausdruckskraft" des Mahnmals spüren und von ihm betroffen sein werden. Er bezeichnete das Mahnmal als eine "begehbare Skulptur", die eine große emotionale Kraft entfalte. "Es ist eine bauliche Symbolisierung für die Unfasslichkeit des Verbrechens." Es solle keine "negative Nostalgie" erzeugen, "sondern ein Gedenken der Opfer, das uns in der Gegenwart und Zukunft verpflichtet".

Thierse betonte zugleich, Deutschland gerate mit dem Mahnmal an die "Grenze dessen, was einer sozialen Gemeinschaft möglich ist". Dies könne "die Heftigkeit der Debatte um das Denkmal, auch manchen Widerstand erklären und rechtfertigen". Es werde wohl auch künftig Kontroversen um das Mahnmal geben, "was gewiss nicht das Schlechteste sein muss".

Die Holocaust-Überlebende Sabina van der Linden aus Sydney, deren Familienschicksal im unterirdischen "Ort der Information" dokumentiert ist, berichtete von den "unbeschreiblichen Grausamkeiten", die sie als Elfjährige miterlebte. Man könne die Nachgeborenen nicht für die Taten ihrer Vorfahren verantwortlich machen, doch "für das, was sie mit der Erinnerung an die Verbrechen ihrer Vorfahren tun".

Der am Dienstag mit dem Leo-Baeck-Preis des Zentralsrats der Juden ausgezeichnete Bundesaußenminister Joschka Fischer sagte, das Mahnmal erinnere "an den schwärzesten Abgrund unserer Geschichte". Gleichzeitig sage es "sehr viel über unsere Demokratie, über die zweite Chance" Deutschlands aus.

Israel hat die Einweihung des Holocaust-Mahnmals als "positiven Schritt" gewürdigt. "Wir begrüßen dieses Projekt und sehen die deutsche Regierung als Verbündete im Kampf gegen den weltweiten Antisemitismus" sagte der Sprecher des israelischen Außenministeriums, Mark Regev.

Israel sei "all den Menschen in Deutschland dankbar, die sich für die Einrichtung des Mahnmals eingesetzt haben". Es sei auch symbolhaft für die Beziehungen zwischen Israel und dem neuen Deutschland.

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