Holger G. im NSU-Prozess:"Ich habe mich gut gefühlt damit"

NSU-Prozess

Will nichts von den Morden gewusst haben: Holger G.

(Foto: dpa)

Hilfe für die Freunde im Untergrund: Im NSU-Prozess gesteht ein sehr nervöser Holger G., wie er dem Trio eine Waffe überbracht hat. Von den Morden will er nichts gewusst haben. Als erster Angeklagter beteuert Holger G. zudem sein Bedauern - doch eine Opferangehörige nimmt ihm das nicht ab.

Aus dem Gericht von Anna Fischhaber

Die junge Frau wirkt erschöpft, als sie an diesem Donnerstagmittag vor das Gerichtsgebäude tritt. "Ich hab ihm das nicht abgenommen", sagt sie. Ihr Vater wurde 2005 in einer Imbissbude in Nürnberg erschossen, er verblutete. Acht Jahre später hört die Tochter von Ismail Yaşar zu, wie der mutmaßliche NSU-Helfer Holger G. vor dem Münchner Oberlandesgericht seine Erklärung verliest - und als erster Beschuldigter auch sein Bedauern äußert. Was er getan habe, tue ihm fürchterlich leid. "Ich möchte mich dafür entschuldigen", sagt er. Beteuert aber auch: Sein Tatbeitrag sei nicht derjenige, den ihm die Bundesanwaltschaft vorwerfe. "Ich habe es nicht für möglich gehalten, dass die drei Gewalt in dem hier vorgeworfenen Ausmaß gegen andere ausüben könnten."

Holger G. ist sichtlich nervös, er redet schnell. So schnell, dass der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ihn immer wieder unterbrechen muss. Es ist der siebte Verhandlungstag im NSU-Prozess und nach dem Angeklagten Carsten S. macht nun auch Holger G. Angaben. Er spricht direkt in den Nacken von Beate Zschäpe, der Frau, mit der er lange befreundet war. Genau wie mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Nun ist Holger G. für die rechte Szene zum Verräter geworden. Der blonde Mann mit der Nickelbrille, der sein Gesicht vor den Fotografen hinter Papieren versteckt, hat schon vor Prozessbeginn als Erster einen Einblick in das Innenleben des NSU geliefert. Nun gilt er als eine Art Kronzeuge.

Am Donnerstag berichtet er erneut, wie er dem Trio im Untergrund mit Geld, Ausweisen, einem Führerschein und einer Krankenkassenkarte geholfen habe. Mit dem Führerschein soll der NSU Wohnmobile angemietet haben - wobei die Zeitpunkte der Anmietungen mit mehreren der zehn Morde zusammenfallen. Und Holger G. schildert, wie er als Kurier für den Mitangeklagten Ralf Wohlleben dem NSU eine Waffe lieferte. Dass es sich um eine Waffe handelt, habe er erst im Zug gemerkt. Zschäpe soll ihn vom Bahnhof abgeholt haben. Nicht klar ist aber, ob es sich bei der Pistole um eine der späteren Tatwaffen handelte. Der Haftbefehl wegen Beihilfe zum Mord gegen Holger G. wurde deshalb aufgehoben. Er muss sich nun - anders als Carsten S. und Wohlleben - nur wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung verantworten.

Beate Zschäpe lächelt an diesem Vormittag deutlich weniger als in den vergangenen Tagen. Carsten S. hatte sie bei seiner Aussage nur mit einem kurzen, mitleidigen Blick gewürdigt, zu Holger G. dreht sie sich immer wieder um, fixiert ihn. Er blickt dann auf die Anklagebank, wo seine Zettel liegen. Der Angeklagte will nicht frei sprechen, will zumindest zur Sache nur eine schriftliche Erklärung verlesen. "Hohes Gericht", so beginnt seine Erklärung. Fragen beantwortet er zunächst nicht.

"Mach dir keinen Kopf, du bist halt so"

Holger G. verliest, wie er Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos in den neunziger Jahren kennengelernt habe. Sie seien eine Jugendclique gewesen. Sie wollten etwas verändern. Aber sie seien nicht prügelnd und grölend durch die Straßen gezogen, betont er. Böhnhardt sei damals schon angesehen gewesen, und er habe sich aufgewertet gefühlt. Entgegen den Abmachungen habe er schon früher bei der Polizei manchmal Dinge zugegeben. "Mach dir keinen Kopf, du bist halt so", hätten die drei zu ihm gesagt. Holger G. sagt nun: "Das hat mich beeindruckt, dass sie meine Freunde blieben, obwohl ich einen Fehler gemacht habe." Diskussionen über den Einsatz von Gewalt seien für ihn immer theoretisch gewesen. Als die Freunde schließlich in den Untergrund gingen, habe er ihnen helfen wollen. Habe sich verpflichtet gefühlt. "Unsere ganze Szene zielte damals auf Kameradschaft ab. Ich habe mich gut gefühlt damit", sagt Holger G.

Systemchecks bei Kuchen

Immer wieder hätten ihn die drei besucht, hätten sich auch in der Öffentlichkeit mit ihm gezeigt. "Abgesehen davon, dass ich sie mit ihren Tarnnamen ansprach, waren diese Treffen für mich normal", berichtet Holger G. Man habe über Urlaube und alte Bekannte gesprochen, Doppelkopf gespielt. Politik sei selten Thema gewesen. Die Staatsanwaltschaft glaubt, dass Böhnhardt, Zschäpe und Mundlos G. aushorchen wollten, falls sie mit den geliehenen Ausweisdokumenten kontrolliert würden. "Systemchecks" nennt sie diese Treffen. Holger G. sieht Böhnhardt ein wenig ähnlich und soll sein Äußeres für Passfotos angepasst haben. "Ich wusste nicht, dass das Systemchecks waren", sagt Holger G. jetzt, erst im Nachhinein sei ihm das klargeworden. "Sie können mich naiv nennen." Aber für ihn habe es keinen Anlass gegeben, den Freunden nicht zu trauen.

Dass die drei im Untergrund leben, habe er akzeptiert. Nicht in seinen schlimmsten Träumen habe er sich aber vorstellen können, dass sie Menschen töten. Am Ende habe er auch mit seinem Ausweis nicht mehr helfen wollen, dann ließ er sich aber trotzdem, noch im Mai 2011, die Haare für das Passfoto schneiden. Die drei seien zu Besuch gekommen, Zschäpe habe extra einen Kuchen gebacken. Und Böhnhardt und Mundlos hätten ihn überredet und ihm gedroht. Schließlich habe er wieder eingewilligt. Man dürfe nicht vergessen, dass bis zum Tod von Böhnhardt und Mundlos niemand etwas wusste, sagt Holger G. "Auch ich nicht", betont er noch einmal. Wie Carsten S. am Vortag belastet auch er mit seiner Aussage die Mitangeklagten schwer und weist jedes Wissen über die Morde von sich.

"Das war der Entwicklung nicht förderlich"

Zuvor berichtete Holger G. über sein Leben und ließ auch Fragen zu. Sein Gesicht ist dabei nicht zu sehen. Er wendet sich nur an den Vorsitzenden Richter. Er erzählt von seiner Jugend in der DDR, von Arbeitslosigkeit und wechselnden Jobs, von seinem regelmäßigen Drogenkonsum und wie er spielsüchtig wurde und Schulden machte. Er erzählt von seiner Mutter, die sich auf ihn - das Nesthäkchen - konzentriert hätte. "Das war der Entwicklung nicht förderlich", sagt Holger G. mehrmals. Und er erzählt von seiner Lebensgefährtin, die in den vergangenen Jahren sein Leben umgekrempelt habe. Er beschreibt sich nun als fleißigen, braven Mann, der erstmals Verantwortung übernommen habe. Und obwohl er der Freundin nichts von seiner Vergangenheit gesagt habe, habe sie zu ihm gehalten. Sie kenne ihn schließlich. "Die Frau ist der Hammer", sagt der Angeklagte. Immer wieder wirken seine Aussagen auch unfreiwillig komisch.

Von seiner politischen Karriere will Holger G. nichts erzählen, aber er redet über seinen angeblichen Ausstieg. Dass er irgendwann nette ausländische Kollegen gehabt hätte, auch Türken. Dass sich bei seinen Bekannten alles mehr in die Spaßrichtung entwickelt habe. Am Ende sei er nur noch auf Demos gewesen, um alte Bekannte zu treffen. Überhaupt habe er viele Bekannte, aber nur noch einen einzigen Freund, der ihm wichtig sei. Was Freundschaft für ihn denn ausmache, fragt der Richter. Dass ein Freund verlässlich sei, einem sage, wenn man etwas falsch macht, sagt Holger G.

Waren Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auch Freunde?, fragt der Richter. Ja, sagt Holger G. jetzt. Natürlich.

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