Hochwasserschutz:Ab in die Badewanne

Hochwasser in Sachsen Anhalt - Lenzen

Ein Fluss wie ein See: Die Elbe bei Lenzen in Brandenburg während der Hochwasser-Katastrophe 2006.

(Foto: Jan Woitas/dpa)

Deutschlands Deiche sollen wieder rückgebaut werden. Um Flutkatastrophen zu verhindern, will der Bund Flüssen mehr Raum geben.

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Warum das alles jetzt erst passiert, weiß auch Christian Schmidt nicht so genau. Es sei ja eigentlich schon lange bekannt, dass Wasser von oben nach unten fließe, sagt der Landwirtschaftsminister von der CSU. Trotzdem habe man zugelassen, dass immer höhere Deiche jedes Hochwasser aus den oberen Regionen der Flüsse abtransportierten - bis dann die Städte am Unterlauf unter Wasser standen. "Wir gehen jetzt dahin zurück, wo wir schon einmal waren", sagt Schmidt. "Bevor Wasserstraßen schiffbar gemacht wurden". Diesmal aber wirklich. Versprochen.

Die unterschiedlichen Interessen der "Oberlieger" und der "Unterlieger" waren noch nach jedem größeren Hochwasser ein Thema. Je besser die Deiche an den Oberläufen waren, desto schneller gelangte das Hochwasser in die unteren Bereiche. Desto zerstörerischer wurden die Fluten dort. Mit jedem weiteren Deich am Unterlauf wurden die Probleme nur weiter flussabwärts verlagert. Das soll sich nun ändern, auch mit einem gemeinsamen Programm von Landwirtschafts- und Umweltministerium. 300 Millionen Euro, so gaben beide Häuser am Dienstag bekannt, sollen dafür in den nächsten drei Jahren bereitstehen. "Wir wollen vorbeugen, nicht hinterher wieder aufbauen", sagt Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD). Bund und Länder seien da einer Meinung.

Die Einsicht geht zurück auf das jüngste sogenannte Jahrhunderthochwasser von 2013. Damals waren vor allem Donau, Elbe und viele ihrer Nebenflüsse betroffen, die Schäden gingen in die Milliarden. Damals beschlossen Bund und Länder ein "Nationales Hochwasserschutzprogramm". Es sollte helfen, das Wasser besser zu verteilen, schon am Oberlauf der Flüsse.

Wasser mit dem Volumen von 500 000 Schwimmbecken soll zurückgehalten werden

Wie sich das bewerkstelligen lässt, ist ebenfalls schon lange bekannt. Deiche lassen sich ins Hinterland verlegen, sodass sich die Flüsse weiter ausbreiten können. Entlang der Flussläufe können Polder entstehen, in die ein Teil des Hochwassers ablaufen kann wie in eine Badewanne. 1180 Millionen Kubikmeter wollten Bund und Länder so zurückhalten, genug für eine halbe Million olympische Schwimmbecken. Hinzu sollen 20 000 Hektar Überflutungsfläche entstehen, Platz für 28 000 Fußballfelder. Insgesamt 5,4 Milliarden Euro sind dafür veranschlagt, der Bau wird bis weit ins nächste Jahrzehnt reichen. "Neu ist, dass jetzt die Rückverlegung im Vordergrund steht", sagt Schmidt.

Doch in der Praxis gestalten sich die Dinge schwieriger. Der Hochwasserschutz ist Ländersache, und je nach Bundesland sind ganz unterschiedliche Behörden zuständig, die ihre Planungen aber halbwegs untereinander koordinieren müssen. Zudem fallen der Verlegung von Deichen oft Äcker und Weiden zum Opfer; die betroffenen Landwirte sehen das mit Argwohn. Sie würden aber kompensiert, versichert der Agrarminister. Noch in diesem Jahr sollen an fünf Orten die Arbeiten für eine Verlegung von Deichen beginnen. An weiteren zehn Stellen sollen Polder entstehen.

Fünfmal natürlicher Hochwasserschutz, zehnmal technischer: Umweltschützer hegen deshalb Zweifel an der Einsicht. Zwar sei das Konzept ein erster Schritt in eine "neue Flusspolitik", heißt es beim Umweltverband BUND. "Aber am Ende wird doch nur technischer Hochwasserschutz betrieben", sagt Magnus Wessel, Naturschutzexperte des Verbands. Es gebe eine Tendenz, rasch zu handeln. Und so ein Deich lasse sich eben rascher erhöhen als verlegen.

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