Hitler-Stalin-Abkommen:Ein teuflischer Pakt

Das Trauma des Hitler-Stalin-Pakts hat Deutschen und Russen eine gemeinsame Verantwortung auferlegt. Doch Russland leugnet seine Mitverantwortung für die Vernichtung Polens.

Daniel Brössler

Am 23. August 1939 schlossen die Außenminister Joachim von Ribbentrop und Wjatscheslaw Molotow für das Deutsche Reich und die Sowjetunion einen Vertrag, den kurz darauf der britische Karikaturist David Low in ein paar Strichen skizzierte.

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Matrjoschka-Steckpuppen in einem russischen Souvenirladen zeigen (von rechts) den russischen Regierungschef Wladimir Putin, den sowjetischen Diktator Josef Stalin und den russischen Revolutionsführer Vladimir Lenin

(Foto: Foto: Reuters)

Die Zeichnung zeigt zwei bewaffnete Uniformierte, die ihre Mützen lüften und mit höflicher Verbeugung Bekanntschaft schließen. "Der Abschaum der Erde, wie ich vermute", sagt der eine. "Der blutige Schlächter der Arbeiter, darf ich annehmen?", entgegnet der andere.

Zwischen ihnen am Boden liegt Polen. Tot.

Treffender als damals im Londoner Evening Standard ist der Pakt Adolf Hitlers und Josef Stalins seitdem nicht dargestellt worden. Die Karikatur beschreibt Zynismus und Skrupellosigkeit zweier totalitärer Großmächte, und sie symbolisiert das bis heute fortwirkende Trauma der Völker in der Mitte Europas zwischen Deutschland und Russland.

Der Hitler-Stalin-Pakt ist in der Erinnerung der Polen und der Menschen im Baltikum lebendig. Für Deutsche und Russen ergibt sich daraus eine gemeinsame Verantwortung. Auch noch 70 Jahre danach.

Sohn eines Wehrmachtssoldaten

Eine kleine Episode veranschaulicht das. Vor zwei Jahren eskalierte zwischen Russland und seinem kleinen Nachbarn Estland ein Streit über ein Denkmal im Zentrum von Tallinn. Es war errichtet worden zu Ehren der sowjetischen Befreier der Stadt und sollte nach dem Willen der estnischen Führung auf einen Friedhof versetzt werden. Das Denkmal hatte Anstoß erregt, denn die Sowjets sind im Gedächtnis der Esten Besatzer mindestens ebenso gewesen wie Befreier.

Damals meldete sich Altbundeskanzler Gerhard Schröder zu Wort. Es sei "stil- und pietätlos, wie in Estland mit dem Gedenken an junge russische Soldaten umgegangen wird, die ihr Leben im Kampf gegen den Faschismus verloren haben", beklagte er.

Hier sprach der frühere Juso, der sich schon als junger Mensch mit der Vergangenheit seines Landes auseinandergesetzt hat. Es sprach der Sozialdemokrat, der sich als Staatsmann stets zur Verantwortung der Deutschen für die Verbrechen der Nationalsozialisten bekannt hat.

Die Esten aber hörten einen anderen. Sie hörten den Sohn eines Wehrmachtssoldaten, der Opfer von Nazis wie Sowjets nun über Gut und Böse im Zweiten Weltkrieg belehrte. Und sie hörten den Vertreter eines deutsch-russischen Pipeline-Projekts.

Das historische Gepäck reist immer mit

Das Beispiel zeigt: Es genügt nicht, wenn die Deutschen glauben, mit sich und ihrer Geschichte im Reinen zu sein. Wenn sie als Partner Russlands durch Europa reisen, können sie das gemeinsame historische Gepäck nicht zu Hause lassen. Diese Last wiegt besonders schwer, weil Russland sich weigert, mit Hand anzulegen.

Im Zuge der Perestroika hatte der Volksdeputiertenkongress zwar 1989 die Existenz des bis dahin geleugneten Geheimen Zusatzprotokolls zum Nichtangriffspakt eingeräumt, in dem Nazis und Sowjets Polen und das Baltikum untereinander aufgeteilt hatten.

Unter den Präsidenten Wladimir Putin und Dmitrij Medwedjew aber hat sich die offizielle russische der sowjetischen Geschichtsschreibung wieder angenähert. Militärhistoriker wie Oleg Rscheschewskij werten den Nichtangriffsvertrag von 1939 als taktisches Manöver, das ein zu frühes Heranrücken der deutschen Truppen an sowjetische Städte wie Leningrad verhindert und so letztlich einen deutschen Sieg vereitelt habe.

Ganz so wie einst wird der Pakt mit dem Teufel in Moskau als schlauer Schachzug gewertet, erzwungen von der Feindseligkeit der Westmächte gegenüber Moskau und ihrer Nachgiebigkeit gegenüber Deutschland beim Münchner Abkommen von 1938.

Das Ausmaß der eigenen Schuld

Dieses Geschichtsbild will die russische Führung mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln verteidigen. Präsident Medwedjew setzte eine Kommission "zur Verhinderung von Versuchen der Geschichtsfälschung zum Nachteil der Interessen Russlands" ein. Ihr gehören neben Mitgliedern der Präsidialverwaltung, der Regierung und wenigen Historikern bezeichnenderweise auch Angehörige verschiedener Geheimdienste und der Generalstabschef der Streitkräfte an.

Die Glorie des Sieges

Offensichtlicher Auftrag der Kommission ist es, die Glorie des sowjetischen Sieges zu schützen - notfalls auch gegen die Wahrheit. Die Kommission wird jedenfalls gewiss nicht einschreiten gegen russische Geschichtsfälscher, welche das vom sowjetischen Geheimdienst 1940 verübte Massaker an polnischen Offizieren in Katyn leugnen. Sie wird auch nicht protestieren, wenn stalinistischer Staatsterror in Russland wieder verharmlost oder gerechtfertigt wird.

Der Aufbruch unter Michail Gorbatschow Ende der achtziger Jahre führte zwingend zum Bruch mit alten Lügen. Das autoritäre Russland aber kann einen ehrlichen Umgang mit Verbrechen der Vergangenheit nicht dulden. Der Führung geht es, wie die Menschenrechtsorganisation "Memorial" ernüchtert feststellt, darum, "den Bürgern Russlands ihre einzigartige und tragische Vergangenheit" zu nehmen.

Aus gutem Grund: Wer erst einmal angefangen hat, die Verbrechen der Vergangenheit zu beklagen, wird auch in der Gegenwart die Allmacht der Geheimdienste, die Rechtlosigkeit des Einzelnen und die Arroganz der Macht nicht länger brav erdulden.

Nur wenige brechen das Schweigen

Im Inneren ist der Geschichtskampf fürs Erste entschieden. Nur wenige russische Bürgerrechtler brechen das Schweigen, sprechen über Millionen Opfer Stalins. Umso entschlossener wendet sich Russland nun den "Geschichtsfälschern" im Ausland zu. Gegen die "Rehabilitierung der Handlanger der nationalsozialistischen Verbrecher" in den baltischen Staaten soll künftig gar die russische Justiz vorgehen.

Es ist in den baltischen Staaten tatsächlich nicht unüblich geworden, sowjetische und deutsche Besatzung in verwerflicher Weise gleichzusetzen. Beantwortet wird das von der russischen Seite aber mit der nicht minder verwerflichen Leugnung von Terror und Vertreibung unter Sowjetherrschaft. Der Kreml hält offenkundig auch in der Geschichtspolitik Angriff für die beste Verteidigung. Russland beansprucht in seiner Nachbarschaft Einflusszonen, und Einschüchterung im Stile alter Großmachtpolitik ist noch immer das Mittel der Wahl.

Das ungeheuere Ausmaß der von Deutschen nach dem Überfall auf die Sowjetunion verübten Gräuel verbietet Lehrmeisterei gegenüber Russland. Überdies ist Deutschland aus geopolitischen wie wirtschaftlichen Gründen gehalten, mit Moskau den Ausgleich zu suchen. Einen Ausgleich in der historischen Bewertung der gemeinsamen Vergangenheit aber kann es nicht geben.

Er verbietet sich gerade, weil das Ausmaß der eigenen Schuld Deutschland eine besondere Verantwortung auferlegt. Diese gilt gegenüber den Russen, aber auch den Völkern Mittelosteuropas. Deren Misstrauen wird geweckt, wenn Deutschland und Russland sich zu gut verstehen. Vermutlich wird dieses Misstrauen erst dann obsolet, wenn Lows Karikatur Eingang gefunden hat in russische Schulbücher.

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