Soja Anatoljewna Kosmodemjanskaja:Die Jeanne d'Arc der Sowjetunion

Soja Anatoljevna Kosmodemjanskaja eine russische Partisanin 1941 von den Nationalsozialisten getËÜt

DDR-Briefmarke für Soja Anatoljewna Kosmodemjanskaja. Die sowjetische Partisanin wurde 1941 von den Deutschen hingerichtet und stieg in der UdSSR posthum zur Heldin auf.

(Foto: imago/imagebroker)

Die Partisanin "Tanja" wurde zur tapferen Kämpferin gegen Hitler-Deutschland stilisiert. Doch der Krieg des sowjetischen Widerstands war zunächst wenig heldenhaft.

Von Robert Probst

Eine Winterlandschaft. Drei schneebedeckte Holzhütten, im Hintergrund ein paar Bäume. Die Bewohner des Dorfes sind zusammengekommen, sie bilden einen Halbkreis und stehen mit gesenkten Köpfen um einen improvisierten Galgen, den die Besatzer aufgestellt haben.

Auf einem Holzstoß steht eine junge Frau, ein Schild mit der Aufschrift "Brandstifter" um den Hals. Sie schaut mit erhobenem Haupt über alle hinweg. Dass sie gefoltert wurde, sieht man ihr nicht an. Hinter den Dorfbewohnern haben sich Wehrmachtssoldaten versammelt, im Vordergrund des Bildes machen zwei Soldaten Fotos von der Partisanin, die gleich sterben wird.

So hat sich das Künstlerkollektiv "Kukryniksy" die Szene vorgestellt - und in dem Bild "Tanja" verewigt, das viele Sowjetbürger während und nach dem Großen Vaterländischen Krieg zur Erbauung vorgesetzt bekamen. Tanja lautete der Deckname von Soja Anatoljewna Kosmodemjanskaja. Als sie starb, war sie 18 Jahre alt.

Im sowjetischen Heldenkult stand sie an vorderster Stelle. Vor allem in Schulbüchern und bei der Jugenderziehung spielte das Bild von der tapferen Kämpferin jahrzehntelang eine große Rolle.

Soja, geboren 1923, war Mitglied des Kommunistischen Jugendverbandes Komsomol der UdSSR. In der Nacht des 27. November 1941 wollte sie im Dorf Petrischtschewo nahe Moskau zusammen mit zwei anderen Partisanen eine Scheune anzünden.

Die Wehrmacht nahm wohl einen ihrer Komplizen fest, der sie verriet, genau weiß man es nicht. Jedenfalls fiel Kosmodemjanskaja den Deutschen in die Hände, die sollen sie stundenlang mit einem Gummiknüppel malträtiert haben. Doch noch mit der Schlinge um den Hals habe sie ihre Landsleute aufgerufen, gegen die Faschisten zu kämpfen.

Einer anderen Legende zufolge soll sie ausgerufen haben: "Ihr hängt mich auf, aber ich bin nicht allein. Es gibt 200 Millionen von uns. Ihr könnt uns nicht alle aufhängen." Es war der 29. November 1941. Ihre Leiche soll noch wochenlang am Galgen gebaumelt haben.

"Vaterlandsverräter" waren öfter Ziel der Partisanen als die deutschen Besatzer

Auf ihrem Vormarsch fanden sowjetische Truppen Fotografien der Leiche. Posthum erhielt sie den Titel "Held der Sowjetunion" und wurde zu einer Art sowjetischer Jeanne d'Arc - und zum Vorbild für Pilotinnen, T-34-Fahrerinnen und Scharfschützinnen.

Noch heute umgibt die bis zu einer halben Million sowjetischen Partisanen - und die nicht unbeträchtliche, aber kaum zu bestimmende Zahl von Partisaninnen - eine Aura vom opferbereiten Heldenmut einer Volksbewegung, die spontan aus sich selbst heraus entstanden sei und entscheidend zum Sieg über die Faschisten beigetragen habe.

Doch die Realität sah völlig anders aus. Nach dem Überfall und dem raschen Vorrücken der Wehrmacht gen Osten war in der schlecht vorbereiteten Roten Armee Panik und Chaos ausgebrochen. Bis Dezember 1941 waren 3,5 Millionen Soldaten in deutsche Kriegsgefangenschaft geraten, Zehntausende Deserteure streiften ziellos durch die Wälder.

Schon am 29. Juni erging daher die Direktive P509 an alle frontnahen Staats- und Parteiorgane, Partisanenabteilungen und Sabotagegruppen aufzubauen.

Wenige Tage später forderte Stalin in einer Radioansprache: "In den vom Feind besetzten Gebieten sind unbedingt Partisanenabteilungen zu Pferd wie zu Fuß, und Sabotagegruppen für den Kampf mit den feindlichen Einheiten, für die Entfachung des Partisanenkriegs zu schaffen, für die Sprengung von Brücken und Straßen, die Beschädigung von Telefon- und Telegrafenverbindungen, das Niederbrennen von Wäldern, Lagern und Nachschubkolonnen. Es sind unerträgliche Bedingungen für den Feind und alle seine Helfershelfer zu schaffen, sie sind auf Schritt und Tritt zu verfolgen und zu vernichten."

Dem Aufruf folgten zunächst vor allem Angehörige der Volkskommissariate für innere Angelegenheiten (NKWD) und Staatssicherheit (NKGB) sowie Miliz- und später versprengte Armeeangehörige. Von der einheimischen Bevölkerung erhielten sie kaum Unterstützung, die hießen vielmehr die Deutschen willkommen.

Und so hatte nach neuen historischen Erkenntnissen dann auch vor allem die Zivilbevölkerung unter Plünderungen, Schikanen und willkürlichen Erschießungen durch Partisanen zu leiden, die oft lieber gegen "Vaterlandsverräter" und "antisowjetische Elemente" vorgingen, als sich mit den zunächst überlegenen Besatzern anzulegen.

Erst 1942 wurden die - nun zentral gesteuerten - Partisanen effektiver, doch dann trafen sie auf die ganze Wucht des deutschen Vernichtungsterrors.

Wie langlebig historische Mythen sind, zeigte sich im vergangenen November beim Besuch des russischen Kulturministers Wladimir Medinski in Petrischtschewo. Der Mann, der damals Soja Kosmodemjanskaja verraten habe, brenne in der Hölle, sagte Medinski laut der Agentur Interfax. "Genauso werden die brennen, die die Heldentaten unserer Väter in Zweifel ziehen, untergraben und zu leugnen versuchen."

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