Zweiter Weltkrieg:Die große Lüge der deutschen Feldherren

Adolf Hitler mit Walther von Brauchitsch, Wilhelm Keitel und Franz Halder, 1941

Hitler bei einer Lagebesprechung mit seinen Wehmachtsgenerälen im August 1941. Am Kartentisch von links: der Chef des Oberkommandos der Wehrmacht, Generalfeldmarschall Wilhelm Keitel, der Oberbefehlshaber des Heeres, Generalfeldmarschall Walther von Brauchitsch, Adolf Hitler und der Chef des Generalstabes des Heeres, Generaloberst Franz Halder.

(Foto: SZ Photo)

Wie die deutschen Generäle den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion betrieben - und später versuchten, den Mythos der "sauberen Wehrmacht" zu erschaffen.

Von Joachim Käppner

Der große britische Zeithistoriker Ian Kershaw hat in seinem neuen Buch "Höllensturz" die Zerstörung des alten Europas in zwei Weltkriegen eindrucksvoll geschildert. 1941, mit dem Beginn des Vernichtungskrieges gegen die Sowjetunion, erreichte diese Zerstörung eine bis dahin unbekannte Dimension des Schreckens.

Kershaw hat die Strategie Hitlers und der deutschen Führung, die diesem Schrecken zugrunde lag, auf den Nenner eines Wortes von Shakespeare gebracht: "Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode."

In der Wahnwelt der Naziführung ergab das Vorhaben, die Sowjetunion auszulöschen, bevor die Amerikaner bereit und gerüstet zum Krieg gegen das Reich waren, eine zwingende Logik. In Wahrheit war es eine Prophezeiung, die sich selbst erfüllte: Je brutaler Hitler versuchte, Europa seinem Willen zu unterjochen, je gewaltiger die deutschen Feldzüge wurden, desto schneller würden die - noch im Frieden verharrenden USA - verstehen, dass mit diesem Feind kein Ausgleich möglich war. Genau so ist es auch gekommen.

Hitler hatte den Deutschen wieder und wieder versprochen, nicht wie 1914 an zwei Fronten zu kämpfen. Zwischen dem Fall Frankreichs 1940 (hier mehr dazu) und dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 hatten die Briten einsam der geballten Macht des Nazireiches widerstanden. Nur ein halbes Jahr später war dieses im Krieg mit Stalins Imperium, das sich trotz aller Niederlagen hielt, und eben doch den Amerikanern. Hitlers Strategie war gescheitert.

Der Schwur auf Hitler als säkulares Glaubensbekenntnis

Warum jedoch trugen die deutschen Offiziere den Wahnsinn so getreu mit? Sie waren doch so stolz auf ihren Ehrenkodex, ihre Professionalität, ihre Rolle als "Schild des Vaterlandes"? Wenn dieser Krieg, von seiner verbrecherischen Natur einmal ganz abgesehen, selbst die kalte Ratio militärischer Vernunft leugnete?

Vorführung neuer Waffen 14. Mai 1943 (WK II; Ostfront)

Nachher wollten sie von nichts gewusst haben: Adolf Hitler 1943 mit Wirtschafts- und Armeeführern.

(Foto: bpk/Bayerische Staatsbibliothek/Heinrich Hoffmann)

Die Antwort versuchten die Handelnden nach 1945 selbst zu geben. Sie seien getäuscht worden, ehrenvolle Soldaten, die ihre Befehle befolgt hätten, wie es ihre Pflicht gewesen sei, Offiziere der "sauberen Wehrmacht", die nichts oder fast nichts mit SS, SA, Gestapo zu tun gehabt habe.

Und natürlich: Der Eid habe sie gebunden. Der Schwur auf Hitler galt später als eine Art säkulares Glaubensbekenntnis, das niemals mehr infrage gestellt werden durfte, was auch immer der "Führer" tun würde. Es klang, als hätten diese Männer mit dem Eid auch ihren Verstand abgelegt.

1941/42 - Die SZ-Serie

Schon 1945 übergaben der frühere Oberbefehlshaber des Heeres, Walther von Brauchitsch, und die ehemaligen Generäle Franz Halder, Walter Warlimont, Erich von Manstein und Siegfried Westphal dem alliierten Militärtribunal eine "Denkschrift".

Darin gerierten sie sich als Soldaten, die eben taten, was alle Soldaten tun müssen, und sich ansonsten verbrecherischen Befehlen wie jenen zu massenhaften Geiselerschießungen in den besetzten Staaten tapfer widersetzt hätten: "Hitlers Geiselbefehl wurde einheitlich abgelehnt." Dabei hatte die Generalität die Strategie selbst mitentwickelt, als Vergeltung für echte oder erfundene Partisanenangriffe Hunderte Zivilisten zu erschießen.

Die fünf Verfasser der Denkschrift gehörten zum engsten Kreis der deutschen Militärführung unter Hitler, zu dem die Unterzeichner ein ganz unterschiedliches Verhältnis gepflegt hatten. Der Diktator selbst warf Manstein, Warlimont und Halder hinaus.

Knochenkonservativ, überheblich, voll revanchelüsterner Sehnsucht

Halder hatte den Russlandfeldzug als Generalstabschef des Heeres bis 1942 an entscheidender Stelle mitgeplant und mitgeführt, 1938 aber sogar zu einer Konspiration der Wehrmacht gegen Hitler gehört; 1945, im Zuge der Verhaftungswelle nach dem 20. Juli 1944, war er sogar im Konzentrationslager Dachau inhaftiert.

Dennoch verurteilt die Denkschrift das Attentat auf Hitler als Verrat: "Es konnte nicht die Aufgabe der führenden Offiziere sein, der Armee das Rückgrat zu brechen." Der Soldat habe sich von "der Politik völlig fernzuhalten".

Man kann ihnen nicht einmal zugutehalten, sich selbst getäuscht zu haben. Wenn sie nachher so taten, als hätten sie unter Hitler ein richtiges Leben im falschen geführt, war dies ein Schwindel. "Es handelt sich um einen Vernichtungskampf", hatte Adolf Hitler seinen Generälen am 30. März 1941 offen mitgeteilt, "wir führen nicht Krieg, um den Gegner zu konservieren." Sie hatten den Vernichtungskrieg von 1941 geplant. Und dieser Plan war doch reine Politik, aus der sie sich doch eigentlich heraushalten wollten, eine Politik des Völkermordes nämlich.

Später beteuerten sie, es sei doch nur um die militärischen Operationen gegangen. Aber wenn jemand wissen musste, welchen Zielen diese Operationen dienten, waren sie es doch. Viele von ihnen, ja die meisten, waren mit den Idealen des Kaiserreichs aufgewachsen, knochenkonservativ, überheblich, voll revanchelüsterner Sehnsucht, die "Schmach von 1918" zu tilgen, die Niederlage im Ersten Weltkrieg.

Mit der NS-Bewegung verband selbst jene, die keine überzeugten Nazis waren, eine "Teilidentität der Ziele", wie es der kritische Militärhistoriker Manfred Messerschmidt ausdrückte. Sie hatten diese Ziele unterstützt, den Vernichtungskrieg gegen den "jüdischen Bolschewismus" gutgeheißen.

Mit Absicht hatte die Generalität fast alles Nötige unterlassen, um Millionen sowjetische Kriegsgefangene zu versorgen. Und die Wehrmachtsführung wusste auch, was hinter der schnell vorrückenden Front geschah, Massenmorde nämlich, Bruch aller Kriegsregeln, ein Krieg ohne Gnade.

Die Generäle ordneten den Vernichtungskrieg an

Sie selbst hatten es ihren Soldaten befohlen, etwa Erich von Manstein. Der Oberbefehlshaber der 11. Armee erließ am 20. November 1941 - die Eroberung Moskaus schien bevorzustehen - folgende Order: "Dieser Krieg wird nicht in hergebrachter Form gegen die Sowjetische Wehrmacht allein nach europäischen Kriegsregeln geführt. Für die Notwendigkeit der harten Sühne am Judentum, dem geistigen Träger des bolschewistischen Terrors, muß der Soldat Verständnis aufbringen."

Dokumente wie dieses sind kein Einzelfall, sondern die Regel. Die militärische Führung trug den Vernichtungskrieg mit, sie wurde nicht heimtückisch manipuliert und von einem gewissenlosen Führer und seiner Clique missbraucht, wie die Generäle später in Büchern und Memoiren vorgaben. Es war eine große Lüge, die sie nachher verbreiteten, eine Lebenslüge über das Ausmaß der eigenen Schuld.

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