Die USA, die Bombe und Hiroshima:Die Kapitulation der Moral

Die USA hatten mehrere Optionen, um Japan zur Aufgabe zu zwingen - Truman wählte die Demonstration der Macht.

Gottfried-Karl Kindermann

Zur Tragik des Zweiten Weltkrieges gehört die Tatsache, dass sich das Kriegsende im Pazifik in Grauen erregender Weise mit dem Beginn des Atomzeitalters verband. Eigentlich hatte der Krieg im Pazifik schon in den 30er Jahren mit Japans Aggression gegen China 1931/32 begonnen.

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Der Ausbruch des Krieges in Europa ließ in Japan die Idee reifen, diese "goldene Gelegenheit" zu nutzen, die Kolonialherrschaft der Europäer in Südostasien zu beseitigen und an ihre Stelle eine von Japan straff geführte "Neuordnung Großostasiens" zu setzen.

Durch die Entschlüsselung des geheimen japanischen Funkcodes erfuhr die US-Regierung von diesen Plänen. Trotz Warnungen der US-Marine nahm US-Präsident Franklin D. Roosevelt die von der französischen Vichy-Regierung gestattete japanische Besetzung Süd-Indochinas als Anlass, um am 25. Juli 1941 gegen Japan ein Erdöl-Embargo zu verhängen und sämtliche japanischen Guthaben in den USA einfrieren zu lassen. Ein Großteil des japanischen Außenhandels kam zum Erliegen.

Das Britische Empire und Niederländisch Ostindien schlossen sich diesem Wirtschaftskrieg an. Unter Druck verhandelte Japan sechs Monate lang mit den USA. In der letzten Verhandlungsrunde vom November 1941 bot Japan den sofortigen Rückzug aus Süd-Indochina und den Verzicht auf die Eroberung Südostasiens an. Die USA verlangten von Japan aber auch den Rückzug aus China, wo Japan jahrelang erfolgreich Krieg geführt hatte. Tokio erschien dies wie eine "Kapitulation ohne Krieg".

Das geheime Diktat

Japans Antwort war der Angriff auf Pearl Harbor am 6. Dezember 1941. Um im Endkampf gegen Japan sowjetisches Kanonenfutter verfügbar zu haben, forderten Roosevelt und Churchill von Stalin auf der Konferenz von Jalta im Februar 1945 die Beteiligung am Krieg gegen Japan.

Stalin verlangte im Gegenzug unter anderem die Wiederherstellung vormaliger Machtpositionen des zaristischen Imperialismus in Nord-China.

Obwohl Roosevelt und Churchill zwei Jahre zuvor auf der Konferenz von Kairo die Wiederherstellung chinesischer Souveränität auch in Nord-China feierlich zugesagt hatten, formulierten sie mit Stalin in Jalta gegen China ein geheimes Drei-Mächte-Diktat. In China gilt dies noch heute als eine der Infamien westlicher Chinapolitik.

Den Zustand Japans im Monat vor Kriegsende beschreibt ein an Präsident Truman gerichtetes Memorandum von US-Kriegsminister Henry L. Stimson. Er schrieb, Japan habe seine Verbündeten verloren, seine Kriegsflotte sei fast völlig zerstört und die Marineblockade habe es von jeder Zufuhr von außen abgeschnitten. Es herrsche Mangel an Lebensmitteln und Rohstoffen.

Viele seiner Städte und Industriezentren seien durch Bomberoffensiven zerstört.

Die Luftangriffe und die Feuerstürme in japanischen Städten kosteten 330.000 Zivilisten das Leben. US-General Curtis LeMay schrieb, sie seien "zu Tode verbrannt, gekocht oder gebacken" worden; acht Millionen Japaner hatten ihren Wohnraum verloren.

Kriegsminister Stimson betonte, Japan habe China nicht besiegen können und in Kürze drohe ihm Krieg auch mit der Sowjetunion. Es sei an der Zeit, Japan zur Kapitulation aufzufordern und es wäre klug, ihm dabei die Erhaltung seines als heilig betrachteten Kaisertums anzubieten.

Wie in Bestätigung dieser Sicht heißt es in einem zehn Tage später abgefangenen Telegramm des japanischen Außenministers Togo an Japans Botschafter in Moskau: "Seine Majestät der Kaiser wünscht angesichts der Tatsache, dass der gegenwärtig geführte Krieg täglich schlimmere Folgen zeitigt,... dass er rasch beendigt werde."

Weiterhin forderte Togo den Botschafter auf, die sowjetische Regierung vor Beginn der alliierten Drei-Mächte-Konferenz in Potsdam von dem Friedenswunsch des japanischen Kaisers zu informieren. Der Kaiser sei bereit, den Prinzen Konoye als seinen Sonderbotschafter zu entsenden.

Nicht ahnend, dass Moskau sich bereits zum Krieg gegen Japan rüstete, hatte der Kaiser gehofft, die damals noch neutrale sowjetische Regierung könne einen Kapitulationsfrieden vermitteln.

Japan sei bereit, harte Bedingungen zu akzeptieren und alle eroberten Gebiete abzutreten. Sollten die Westmächte aber auf der ehrwidrigen Forderung nach "bedingungsloser Kapitulation" bestehen, bliebe Japan keine Wahl, als bis zum bitteren Ende zu kämpfen.

Wenige Tage danach erfuhr Präsident Truman während seiner Potsdamer Konferenz mit Churchill und Stalin von dem gelungenen Experiment mit einer Atombombe in der Wüste von New Mexiko.

Churchill reagierte auf die entschlüsselten Botschaften aus Tokio mit dem Vorschlag, den Japanern ein psychologisch geschickt formuliertes Kapitulationsangebot zu unterbreiten. Jedoch sollte der Begriff "bedingungslose Kapitulation" vermieden werden - eine Hemmschwelle aus Churchills Sicht.

Letztendlich aber müsse Truman entscheiden. Truman aber verfügte am 25. Juli, dass die Luftwaffe die erste Atombombe Anfang August auf eine von vier japanischen Städten abwerfen solle.

Entgegen dem ausdrücklichen Rat führender amerikanischer Japankenner und Offiziere enthielt die am 27. Juli an Japan gerichtete Kapitulationsaufforderung der Alliierten keinen Hinweis auf die Zukunft des Kaiserhauses. Angekündigt wird "die Errichtung einer neuen Ordnung", die militärische Abrüstung Japans und die Bestrafung von Kriegsverbrechern.

Prinzipiell aber wird eine "bedingungslose Kapitulation" gefordert und mit der Vernichtung der Streitkräfte und "ebenso unvermeidbar der vollständigen Zerstörung des japanischen Mutterlandes" gedroht.

Einen Tag später erneuerte Tokio insgeheim noch zwei Mal seine an Moskau gerichtete Bitte, den Prinzen Konoye zu Friedensgesprächen zu empfangen. Washington wusste also, dass Japans Regierung ihren Versuch fortsetzte, Moskau zur Vermittlung einer Kapitulation zu gewinnen.

In einem Bericht zur Lage des Feindes hatte der alliierte Geheimdienstausschuss den Standpunkt vertreten, der Luft- und Seekrieg habe Japan derart verwüstet, dass die Mehrheit der Bevölkerung die Niederlage ihres Landes erwarte.

Der Eintritt der Sowjetunion in den Krieg "würde die Japaner von der Unausweichlichkeit einer vollständigen Niederlage überzeugen". In einem Memorandum des amerikanischen Kriegsministeriums, ebenfalls vom Juni 1945, heißt es, "dass eine Kapitulation Japans möglich und für die USA so attraktiv ist, dass sie jede für Japan wichtige Konzession rechtfertigt".

Ähnlich meinte Flottenadmiral William D. Leahy, der Stabschef des Präsidenten: "Meiner Meinung nach kann derzeit eine Kapitulation Japans zu für Japan akzeptablen Bedingungen in die Wege geleitet werden, die auch dem amerikanischen Bedürfnis nach Sicherheit ... Rechnung trüge."

Ähnlich dachten auch die Admirale King und Nimitz. Sie hielten Japan für militärisch geschlagen. Ein klares Angebot hinsichtlich des Kaiserhauses, und die zu erwartende Kriegserklärung Moskaus würden ein Kriegsende bewirken, ohne eine Großinvasion Japans oder den Einsatz von Nuklearenergie gegen Menschen erforderlich zu machen.

Demonstration der Gewalt

Dennoch blieb Truman bei seinem Beschluss, Atombomben einzusetzen. Drei Optionen wurden diskutiert. Erstens: Die Demonstration der Gewalt der Bombe durch Abwurf auf ein unbewohntes Waldgebiet. Zweitens: Ihr Einsatz gegen ein militärisches Objekt.

Die Kapitulation der Moral

Drittens: Ihr Abwurf auf vom Krieg verschonte Städte. Gewählt wurde die dritte, unmenschlichste Option. Die Bevölkerung wurde nicht vorgewarnt, obwohl der Schritt erwogen wurde. Am 6.August wurde die Bombe über Hiroshima gezündet, am 8.August erklärte Stalin den Krieg in Verletzung seines mit Japan 1941 geschlossenen Neutralitätsvertrages.

Hiroshima, AP

Hiroshima: Nichts als Zerstörung weit und breit. War es wirklich nötig, die Bombe zu werfen?

(Foto: Foto: AP)

Ohne aber den Japanern Zeit zur Untersuchung von Hiroshima oder zu Folgerungen aus Moskaus Kriegserklärung zu geben, wurde schon ein Tag später am 9.August die zweite Atombombe auf Nagasaki geworfen.

In Tokio setzten daraufhin liberalere Persönlichkeiten der Regierung, insbesondere Außenminister Shigenori Togo mit Hilfe der Autorität von Kaiser Hirohito die Annahme der Kapitulation durch. Jedoch unter der einschränkenden Forderung, dass die Alliierten die oberste Regierungsgewalt in Japan nicht ändern dürften.

Diese Bedingung Japans akzeptierend lautete die Antwort der Alliierten, Japans Regierungsform werde "durch den freien Willen des japanischen Volkes entschieden".

Tragische Ironie

Die zutiefst tragische Ironie dieser Entwicklung liegt darin, dass der gegen den Rat führender Persönlichkeiten beschlossene Einsatz von Atombomben und mit ihm der qualvolle Tod von 120.000 Zivilisten ein diplomatisch bereits nach Frieden sondierendes Japan zur Annahme einer "bedingungslosen" Kapitulation zwingen sollte - und dass diese Kapitulation dann eben doch nur "bedingt" war.

Eine strafrechtliche Untersuchung amerikanischen Verhaltens unterblieb. Die Kompetenz des für Kriegsverbrechen eingesetzten Internationalen Militärgerichtshofes für den Fernen Osten war begrenzt auf die Untersuchung japanischer Fälle.

Doch führende Amerikaner, darunter Dwight D. Eisenhower, Douglas MacArthur, Hanson Baldwin, William D. Leahy und Chester Nimitz haben sich scharf von der Behauptung distanziert, der Abwurf der Atombomben sei militärisch notwendig und damit unvermeidbar gewesen.

Was also motivierte Präsident Trumans Entscheidung? War es der unwiderstehliche Wille zur Demonstration ungeheurer Macht, oder wollte er der Sowjetunion einen Warnschuss vor den Bug setzen? Die Antwort bleibt umstritten.

Der durch das Drei-Mächte-Diktat von Jalta mit Opfern Chinas erkaufte Kriegseintritt der Sowjetunion schien sinnlos, denn nach einer Woche schon kapitulierte Japan, während Moskau eine beträchtliche Ausweitung seiner Machtposition in Nordostasien zufiel.

Moskaus Armeen rückten in Nordchina ein, wo sie Mao Tse-tungs Streitkräfte mit den riesigen Waffenbeständen japanischer Armeen ausrüsteten und das Nachrücken chinesischer Regierungstruppen behinderten.

Das benachbarte Korea, seit 1910 eine Kolonie Japans, wurde bei Kriegsende zwar befreit. Doch Präsident Roosevelt hatte seine befremdliche Ansicht durchgesetzt, die Koreaner - eines der großen Kulturvölker Ostasiens - seien unfähig, sich selbst zu regieren. Sie benötigten daher eine Treuhandschaftsregierung durch die Alliierten.

Der programmierte Krieg

Wie damals vorhersehbar, scheiterte der absurde Plan, Amerikaner und Sowjets sollten trotz ihrer unvereinbaren Weltanschauungen "gemeinsam" für die Entstehung einer gesamtkoreanischen Demokratie sorgen.

Stattdessen hatten sich zwei systemisch unvereinbare soziopolitische Systeme in Nord- und Süd-Korea entwickelt, als sich die Sowjets 1948 und die USA 1949 aus Korea zurückzogen. Der Koreakrieg schien programmiert.

Als in Taiwan 1945 nach fünfzigjähriger japanischer Herrschaft nationalchinesische Truppen einrückten, wurden sie als Befreier begrüßt. Doch repressive Exzesse, Korruption und Arroganz der neuen Provinzregierung unter Gouverneur Chen Yi lösten im Februar 1947 einen Volksaufstand der Taiwanesen gegen die Festländer aus, der mit demonstrativer Grausamkeit niedergeschlagen wurde.

Dieses Ereignis löste einen taiwanesischen Separatismus aus, dessen politischer Erbnehmer zu Beginn des 21. Jahrhunderts die Regierung auf der Insel zu übernehmen vermochten.

Überblickt man das Kriegsende am Pazifik, so gehören die USA und die Sowjetunion zu den Gewinnern. Doch Japan ist nicht der einzige Verlierer. Denn in der Folge von Jalta wird auch China, dank der "Infamie" seiner Verbündeten, partiell zu einem der Verlierer.

Verlierer und Gewinner

Verloren haben außerdem die rassistischen und ausbeuterischen Diktaturen des westeuropäischen Kolonialimperialismus in Südost- und Südasien. Denn Japans zeitweilige Dominanz hatte den Nimbus von der Allmacht der alle Lebensbereiche bestimmenden Weißen gebrochen.

Während England sich weise zurückzog, bemühten sich die Niederlande und Frankreich vergeblich um die gewaltsame Wiederherstellung ihrer Herrschaft. Doch Frankreich verlor seinen 1946 in Vietnam beginnenden achtjährigen Kolonialkrieg gegen die nationalkommunistischen Viet Minh. Auch Vietnam wurde nach diesem Krieg systemisch geteilt, was zehn Jahre später zu einem neuen Krieg führen sollte.

So wurden mit dem Kriegsende am Pazifik die Weichen für drei künftige Konflikte gestellt: Die Kriege im immer noch geteilten Korea und in Vietnam sowie die spannungsreiche Beziehung zwischen China und Taiwan.

Der Autor ist emeritierter Professor für Internationale Politik an der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Von ihm stammt das Buch: Der Aufstieg Ostasiens in der Weltpolitik 1840-2000. München 2001

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