Hintergrund:Spiel mit dem Vertrauen

Willy Brandt und Helmut Kohl nutzten die Verfassung, um Neuwahlen anzusetzen, Helmut Schmidt wollte seine Position stärken

Ralf Husemann, Hermann Unterstöger und Jonas Viering

(SZ vom 14.11.2001) - Der Staat glich einer belagerten Festung: Bundestag und Regierungsgebäude wurden von schwerbewaffneten Polizisten bewacht, durch die Straßen patrouillierten Bereitschaftspolizisten und Grenzschützer mit Maschinenpistolen. Die Kriegserklärung der arabischen Terroristen wurde ernst genommen, neue Angriffe waren einkalkuliert. Die bleierne Stimmung in Deutschland im September 1972 glich der im November 2001. Unter dem Eindruck des Massakers der Terrorgruppe "Schwarzer September" auf die israelische Olympia-Mannschaft und in der Furcht vor weiteren Attentaten, wurde in Bonn Geschichte gemacht. Zum ersten Mal stellte ein Bundeskanzler die Vertrauensfrage. Willy Brandt hatte erst wenige Monate zuvor, am 27.April, überraschend ein Misstrauensvotum durch die CDU/ CSU-Opposition überstanden. Die umstrittene Ostpolitik der sozialliberalen Regierung und der damals als kritisch empfundene Zustand der Staatsfinanzen waren der Grund für den Versuch der konservativen Machtübernahme. Doch der zum Nachfolger auserkorene Rainer Barzel musste kopfschüttelnd zur Kenntnis nehmen, dass ihm zwei Stimmen für den Kanzlersturz fehlten - nicht bekannt war damals, dass die DDR zwei wankelmütige Abgeordnete bestochen hatte, um den mutmaßlich eher zu politischen Zugeständnissen bereiten Brandt an der Regierung zu halten.

Doch jetzt, am 20.September 1972, ging Brandt in die Offensive und stellte im Bundestag nach Artikel 68 des Grundgesetzes die Vertrauensfrage. Sein Ziel war es, über die beabsichtigte Niederlage bei der Abstimmung zwei Tage später den Weg zu Neuwahlen zu öffnen. Die Regie klappte. Nach achtstündiger, teilweise sehr erregter Debatte sprachen 233 Abgeordnete dem Kanzler das Vertrauen aus, 248 Parlamentarier der Unionsparteien, und damit die Mehrheit, stimmten mit Nein. Die Minister enthielten sich, da sie ja "die Beteiligten" seien. Allerdings hätte auch so die Regierung keine Mehrheit bekommen, da der frühere Wirtschafts- und Finanzminister Karl Schiller, der schon längere Zeit nicht mehr zu den Sitzungen erschienen war, auch an diesem 22. September fehlte.

Der rechtlich umstrittene Trick, eine Vertrauensabstimmung herbeizuführen, in der das Vertrauen gar nicht erwünscht ist, hatte letzthin Erfolg. Am 19. November bestätigten die Bundesbürger die Regierung Brandt/ Scheel mit großer Mehrheit: 46 Mandate Vorsprung für die Koalitionsparteien, die SPD wurde zum ersten Mal stärkste Fraktion.

Famose Übung in Teamgeist

Im Dezember 1981, kurz vor Weihnachten, hatte Helmut Schmidt zusammen mit Justus Frantz und Christoph Eschenbach noch Mozarts Konzert für drei Klaviere aufgenommen. Der Kanzler hatte das dritte Klavier gespielt - keinen sehr schwierigen Part, aber Joachim Kaiser zufolge eine famose Übung in Teamgeist und Zusammenarbeit. Schmidts diesbezügliche Leistung wurde gelobt, und dies umso mehr, als es in seinem politischen Ensemble, der sozial- liberalen Koalition, mit der Harmonie nicht mehr allzu weit her war.

Anfang Februar 1982 drängte zur Entscheidung, was als entscheidungsbedürftig längst im Raume stand, nur dass man bis dahin um das gewichtige Instrument Vertrauensfrage noch einen Bogen gemacht hatte. Immerhin war Schmidt bereits einige Male deutlich geworden, so zum Beispiel im Mai 1981, als er damit drohte, dass er mit der Zustimmung der SPD zum Nato- Doppelbeschluss "stehe oder falle".

Bei der Vertrauensfrage vom 5. Februar 1982 ging es, vor dem Hintergrund tieferer innerer Zerrüttung, um Schmidts arbeitsmarktpolitisches Programm. Schmidt ließ intern durchblicken, er werde nicht länger im Amt bleiben, wenn ihm seine Partei und der Koalitionspartner FDP dazu die Zustimmung verweigerten, und der SPD-Fraktionsvorsitzende Herbert Wehner trug dies prompt in die Öffentlichkeit. Daraufhin trat Schmidt die Flucht in ebendiese Öffentlichkeit an und erklärte, er sei sich sicher, dass sein Programm durchgehe. Dennoch stellte er am 3. Februar den Antrag auf Abstimmung über die Vertrauensfrage. Der Schritt wurde als ebenso demonstrativ wie ultimativ empfunden, zumal da er nicht formal mit der Abstimmung über ein Gesetz verbunden war.

Die Prozedur im Bundestag ging für Helmut Schmidt insofern gut aus, als er mit 269 gegen 224 Stimmen das Vertrauen ausgesprochen bekam. Nichtsdestoweniger wurde mit dieser Abstimmung kein echter Neuanfang gemacht, sondern das Ende der Regierung Schmidt eingeleitet. Im September verließen die vier FDP-Minister das Kabinett, und nach dem Bruch der Koalition wurde Schmidt mit einem konstruktiven Misstrauensvotum als Bundeskanzler abgewählt.

Froh über die Niederlage

Am 17. Dezember 1982 war erneut ein Kanzler froh, dass ihm der Bundestag das Vertrauen entzog. 466 der 474 anwesenden Abgeordneten antworteten mit Nein oder Enthaltung auf die Vertrauensfrage - ein paradoxer Erfolg.

Auch Helmut Kohl, erst wenige Wochen zuvor als Nachfolger Schmidts von einer Parlamentsmehrheit zum Kanzler gewählt, nutzte das Instrument der Vertrauensfrage, um Neuwahlen herbeizuführen. Die Sozialdemokraten stimmten wahrheitsgemäß mit Nein: Kohl könne sich darauf verlassen, das er das Vertrauen der SPD nicht habe, sagte Willy Brandt mit bitterem Witz. Die neue Regierung aus CDU und FDP müsse sich dem Urteil des Wählers stellen, so argumentierte Kohl. Der neue SPD-Kanzlerkandidat Hans-Jochen Vogel sprach von einem "Staatstheater eigener Art". Bundespräsident Karl Carstens (CDU) setzte Neuwahlen für den 6. März 1983 an. Zurücktreten wollte Kohl in der Zwischenzeit nicht. Der Taktiker wollte als Kanzler in die Wahl ziehen.

Vier Abgeordnete aus CDU, FDP und SPD zogen vor das Bundesverfassungsgericht, das drei Wochen vor dem angesetzten Wahltermin mit vier zu zwei Stimmen die Klage abwies - auch wenn es die Hürden für die Vertrauensfrage erhöhte. Die Richtermehrheit erklärte, zwar habe zum Zeitpunkt der Vertrauensfrage eine regierungsfähige Parlamentsmehrheit bestanden, diese wäre jedoch aufgrund des Streits innerhalb der frisch gewendeten FDP nur für eine Übergangszeit gesichert gewesen. So habe die Vertrauensfrage nicht der Abwehr einer gegenwärtigen, wohl aber einer künftigen politischen Instabilität gedient. Kohl pokerte, dass die Neuwahlen seine Position stärken würden und gewann das Spiel - er blieb sechzehn Jahre Kanzler.

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