Hintergründe des vereitelten Anschlags auf Allawi:Protokoll einer gefährlichen Jagd

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Abgehörte Telefongespräche, Observationen rund um die Uhr und altmodische Kleinarbeit - wie die Ermittler drei Islamisten enttarnten. Eine Reportage von Annette Ramelsberger

Berlin, 5. Dezember - Der Schiffsverkehr vor dem Kanzleramt war gesperrt, Taucher schwammen im eiskalten Wasser der Spree, um zu prüfen, ob sich jemand unter Wasser an den Regierungssitz heranmachen könnte.

Polizisten in Berlin: "Wie im Belagerungszustand". (Foto: Foto: ddp)

Auf den Terrassen des Kanzleramtes standen Scharfschützen, vermummte SEK-Leute verfolgten mit Ferngläsern jede Bewegung im Umkreis von 300 Metern. Keiner durfte mehr in die Nähe von Bundeskanzler Gerhard Schröder und seines Staatsgastes Ijad Allawi, des irakischen Ministerpräsidenten.

Und selbst das militärische Protokoll im Innenhof des Kanzleramts wurde abgesagt - zu gefährlich. Berlin war im Belagerungszustand.

Zum ersten Mal war am Freitag der Ernstfall eingetreten. Der Fall, vor dem Sicherheitsexperten ständig warnen, ohne wirklich ernst genommen zu werden: Militante Islamisten hatten offensichtlich ein Attentat auf den von den Amerikanern eingesetzten Ministerpräsidenten des Irak geplant - auf deutschem Boden.

Und womöglich nicht nur auf ihn. "Es sollte möglicherweise auch gegen die Gastgeber gehen, die Allawi empfingen und die irakische Regierung unterstützen. Auf jeden Fall sollte die Kooperation Deutschlands mit der Regierung des Irak torpediert werden", sagte ein Fahnder.

"Essen bis zum Verrecken"

Polizei und Verfassungsschutz wussten: Es braut sich etwas zusammen. Seit mehr als einem Jahr hatten sie den Iraker Ata R. aus Stuttgart im Visier, der lebhafte Kontakte zu Irakern in Augsburg und Berlin pflegte.

Als der Besuch von Allawi näher rückte, hörten die Sicherheitsbehörden, wie sich die drei über "den lieben Gast" unterhielten. Einen Gast müsse man doch bewirten, hieß es. Er solle "essen bis zum Verrecken". Noch war der Polizei nicht klar, um wen es da ging.

Doch dann beobachteten sie, wie einer der drei in den Tagen vor dem Besuch immer genau dort aufkreuzte, wo auch die Programmpunkte Allawis hinführen sollten - zum Beispiel bei der Hauptstadtrepräsentanz der Deutschen Bank in Berlin Mitte.

"Sie haben die Stationen des Programms überprüft, die wussten den Ablauf", berichtet der Ermittler, der maßgeblich an der Fahndung beteiligt ist. Die Polizisten zählten eins und eins zusammen. Sofort wurde das Treffen Allawis in der Deutschen Bank abgesagt, vorsichtshalber auch ein Treffen mit Exil-Irakern.

Und die Fahnder lagen richtig. Kaum hatten sie den Ablauf des Programms verändert, telefonierten die Herren aus Augsburg, Stuttgart und Berlin wieder. "Hektisch", wie Generalbundesanwalt Kay Nehm bestätigte.

Und offenbar mehrere Male hintereinander. Die Fahnder hörten mit. Immer mehr von ihnen können arabisch, das Übersetzen geht jetzt schneller.

Die drei Iraker überlegten, wie ihr Plan nun aussehen könnte und an welchen Stellen der Allawi-Route sie möglicherweise zuschlagen könnten. "Es gab mehrere Alternativen", berichtet ein Fahnder. Oder wie es Generalbundesanwalt Nehm ausdrückt: "Es gab keine lange vorbereitete Planung, es war eher eine ad-hoc-Entscheidung."

Ob es wirklich um einen Molotow-Anschlag bei dem Banker-Treffen ging, ist bisher ungewiss. Auch der mit Sprengstoff beladene rote Lastwagen, nach dem die Berliner Polizei am Freitag fahnden ließ, gilt eher als Spekulation.

Aber allein die Suche nach den Anschlagsalternativen ließ bei den Ermittlern alle Alarmglocken läuten. Sie wussten, dass der in Berlin lebende Iraker Rafek Y. den Anschlag ausführen sollte.

Aber sie wussten nicht, ob er auf Helfer zurückgreifen konnte, die man noch nicht kannte. Und wie viele das sein könnten. Ob sie irgendwo Sprengstoff in einem noch unentdeckten Depot gelagert hatten, ob sie auf Waffen zurückgreifen könnten.

Noch in der Nacht fand eine Schaltkonferenz zwischen den Landeskriminalämtern in Bayern und Baden-Württemberg und dem Bundeskriminalamt statt. Dann entschied man sich einzugreifen. Sofort.

Um drei Uhr morgens in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag stürmten Sondereinsatzkommandos der Polizei in Stuttgart, Augsburg und Berlin neun Wohnungen von Verdächtigen.

Sie fuhren in Mannschaftsstärke vor, scheuchten neugierige Nachbarn aus dem Treppenhaus, brachen Türen auf, überraschten Menschen im Schlaf. Drei Männer nahmen sie sofort mit: Ata R., 31, in Stuttgart, Rafek Y., 30, in Berlin und Masin H., 22, in Augsburg. Ihre Stimmen kannten die Ermittler vom Telefon.

Sie fanden diverse Mobiltelefone, islamistische Schriften - aber keinen Sprengstoff. Und nichts, was auf die Vorbereitung zu einem Anschlag hindeutete.

Alle drei wurden nach Karlsruhe zum Bundesgerichtshof gebracht: in Limousinen mit dunklen Scheiben die Männer aus Stuttgart und Augsburg; per Hubschrauber der Mann aus Berlin. An Händen und Füssen gefesselt und mit einem roten Tuch um den Kopf wurde Rafek Y. von SEK-Beamten aus dem Hubschrauber zum Gerichtsgebäude geführt.

Handfeste Beweise

Gegen alle drei Verdächtigen erließ der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof noch am Samstagabend Haftbefehl: wegen des "dringenden Tatverdachts der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung", wie ein Sprecher Nehms sagte.

Die Haftbefehle sind ein sicheres Zeichen, dass die Beweise gegen die drei Iraker handfest sind. Keiner, so wurde bisher bekannt, hat bei den Vernehmungen irgendetwas zugegeben.

Aber offensichtlich sprachen die Mitschnitte der Telefonate eine eigene Sprache. Sie werden mittlerweile immer besser übersetzt, Arabistik-Wissenschaftler analysieren die blumige Sprache und entschlüsseln den Code.

"Die Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung", deren die drei Iraker beschuldigt werden, betrifft eine kleine, aber hoch gefährliche Extremistengruppe, die vor allem im Süden Deutschlands aktiv ist.

Es ist die Ansar al Islam - Unterstützer des Islam-, zu der vor allem Kurden aus dem Nordirak gehören. Sie haben sich geschworen, dort einen Gottesstaat zu errichten und gegen die Besatzung des Landes durch die Ungläubigen zu kämpfen - auch mit Hilfe von Anhängern in Deutschland. Fast hatten sie ihr Ziel erreicht.

Unter Saddam Hussein war der Nordirak ein Gebiet, das von den regulären irakischen Truppen nicht kontrolliert wurde. Die Islamisten hatten dort eine Art Klein-Afghanistan nach dem Muster der Taliban errichtet.

Sie unterhielten Kontakte zu Osama bin Laden und vor allem zu dessen Europa-Beauftragten Abu Mussa al- Sarkawi, der seine Brutalität dadurch unter Beweis stellt, dass er Geiseln eigenhändig den Kopf abschneidet. Al-Sarkawi hat sich mittlerweile zum Anführer der Ansar al Islam aufgeschwungen.

Als die Amerikaner dem Irak vor dem UN-Sicherheitsrat vorwarfen, er unterhalte Beziehungen zu bin Laden, da meinten sie genau diese Nordirak-Connection.

Bin Ladens Leute waren auch da, insbesondere al-Sarkawi. Nur hatte Saddam Hussein rein gar nichts mit ihnen zu tun.

Dort oben im Norden bauten die Islamisten Ausbildungslager auf, sie trainierten die Kämpfer in Guerillataktiken, sie experimentierten mit chemischen und biologischen Stoffen, auch mit Zyankali.

Geheimdienste in Hab-Acht-Stellung

Nach dem Sturm der Amerikaner auf die Islamisten-Bastion zu Beginn des Golfkriegs wurden dort Anleitungen zum Bau einer schmutzigen Bombe gefunden. Seitdem sind die Geheimdienste in Hab-Acht-Stellung.

Die Amerikaner vertrieben zwar die rund 700 Mitglieder der Ansar al Islam, doch kaum war der Krieg beendet, sickerten sie langsam wieder zurück ins Land. Die Leute der Ansar al Islam mit ihrem Anführer al-Sarkawi gelten heute als die gefährlichste und brutalste Widerstandsgruppe gegen die Besatzungskräfte im Irak.

Und immer häufiger tauchten dort Leute aus Deutschland auf. Nach Informationen der Süddeutschen Zeitung hat eine interne Studie des Bundeskriminalamts ergeben, dass bisher mindestens 100 Iraker von Deutschland in den Irak gegangen sind.

Enge Verbindung in den Irak

Nur rund 20 sind zurückgekehrt, die anderen sind verschwunden. Zehn von ihnen fielen bei Kämpfen gegen die Amerikaner auf. Die anderen sind offenbar noch aktiv.

Als die Deutschen bei ihren Beobachtungen der verdächtigen Iraker in Süddeutschland einen Hinweis auf ein verborgenes Waffendepot im Irak erhielten, gaben sie den Tipp an die Amerikaner weiter. Die wurden genau an der Stelle fündig, die die Deutschen ihnen avisiert hatten.

Für die Fahnder ein Beweis dafür, wie eng und aktuell die Verbindungen der deutschen Ansar al Islam in den Irak sind. Auch der Sonderbeauftragte der Europäischen Union für die Terrorbekämpfung, Gijs de Vries, warnt nun, es gebe Hinweise, dass Personen aus der EU in den Irak gereist seien, um dort ein militärisches Training zu absolvieren. Und wer weiß, was passiere, wenn sie zurückkommen.

Sie sind schon zurückgekommen. Und sie haben dafür sogar ein eigenes Reisebüro beauftragt. Ein Reisebüro für Transporte aller Art, Transporte in Sachen Heiliger Krieg.

Da werden junge Kämpfer über Italien und die Türkei in den Irak geschleust, und müde Kämpfer kehren in die Europäische Union zurück. Zum Auftanken, und um sich den Nachstellungen der westlichen Geheimdienste zu entziehen. Womöglich aber auch, um eines Tages hier losschlagen zu können.

Eine besondere Spezialität dieses Gotteskrieger-Reisebüros ist das Rundum-Sorglos-Paket für verdiente Kämpfer: Durch die Heirat mit einer Frau, die sich legal in Deutschland aufhalten darf, wurden die Herren nach Deutschland gebracht, wo sie unangefochten leben können.

Bayerns Innenminister Günther Beckstein spricht von über einem Dutzend solcher vermittelter Heiraten, die den Behörden bekannt wurden. "Das darf man nicht auf die leichte Schulter nehmen", sagte Beckstein. "Es geht dabei um eine nennenswerte Größenordnung."

Es war im November 2003, als die Sicherheits-Szene der Republik plötzlich kollektiv verstummte. Ein Mann namens Lokman? "Da muss ich das Gespräch sofort beenden", sagte der Verfassungsschützer.

Lokman? "Da kann ich jetzt nicht weiterreden", sagte der Polizist. Lokman? "Das ist zu brisant, da sind alle möglichen Geheimdienste dran", sagte der Politiker. Mittlerweile weiß man: Mohammed Lokman war die Spinne im Netz der Ansar al Islam und bis vor einem Jahr der Chef dieses eigenartigen Reisebüros.

Lokman, ein irakischer Kurde, 30 Jahre alt, der in München lebt. Am 3. Dezember 2003 hat die Polizei ihn festgenommen. Der Mann war schon am Hauptbahnhof, als die Polizei zugriff.

Ein Komplize, genannt Mullah Braun, schaffte es bis Amsterdam, dann wurde er dort gefasst. Gegen Lokman hat Generalbundesanwalt Nehm gerade Anklage beim Bayerischen Obersten Landesgericht erhoben.

Alles ging an der Donau los. In den beiden Städten Ulm und Neu-Ulm hatte sich in den vergangenen Jahren eine ganze Reihe von Islamisten niedergelassen.

Beamte der Landeskriminalämter von Baden-Württemberg und Bayern, genannt AG Donau, kümmerten sich um die Herren - mit einem eigentlich ganz altmodischen, richtig traditionellen Polizeiansatz.

Reisebüro für Gotteskrieger

Die Beamten gingen davon aus, dass diese Leute nicht erst auffallen, wenn sie große Terroristen sind, sondern schon bei ganz kleinen Delikten: bei Pass- und Visafälschungen, bei Verstößen gegen das Aufenthaltsrecht, beim Diebstahl eines Handys zum Beispiel.

Sie speicherten all ihre Erkenntnisse über diesen Kleinkram in eine Polizei-Datei mit dem Namen Akis: Hier wird jede Telefonnummer mit jedem Autokennzeichen und mit jedem Namen und mit jedem Namen von einem Freund des Verdächtigen abgeglichen und verknüpft.

Alle Verbindungen zusammen ergeben ein weit gefächertes Beziehungsgeflecht. "Furchtbar viel Arbeit, aber sinnvoll", wie ein bayerischer Fahnder sagt. Sein Kollege aus Stuttgart nennt es "eine echte Sisyphus-Arbeit".

"Aber beim geplanten Anschlag auf Allawi haben wir ein Paradebeispiel dafür, dass wir mit unseren Ermittlungen an den richtigen Leuten dran waren."

Natürlich ist der Erfolg für die Landes-Fahnder auch der Beweis dafür, dass alle Verbrechen lokal bekämpft werden müssen - und nicht zentral von Bundesinnenminister Otto Schily und seinen Mannen im BKA, was der sich so sehnlich wünscht.

"Die örtliche Polizei ist den drei Verdächtigen auf die Spur gekommen", sagt Bayerns Beckstein. "Diesmal gab es keinen Hinweis von der CIA oder vom BND. Wir sind erst über Akis an Lokman herangekommen. Und der hatte wieder enge Beziehungen zu dem Mann in Stuttgart."

Mittlerweile hätten seine Polizisten mindestens 30 Mann der Ansar al Islam unter fürsorglicher Belagerung. Bundesweit zählen die Verfassungsschützer rund 150 Mitglieder der Gruppe.

Konzentriert sind sie aber in Baden-Württemberg und Bayern, hier wohnen vor allem irakische Kurden. Das hängt mit dem Verteilerschlüssel von Asylbewerbern zusammen, den die Innenminister vor Jahren beschlossen haben.

"Diesmal waren wir richtig erfolgreich"

Vorbei ist die Gefahr durch Ansar al Islam natürlich nicht. "Es gibt überall Verbindungen in diesem Netzwerk, und plötzlich können solche Verbindungen akut werden", sagt der Fahnder aus Stuttgart.

Er seufzt ein bisschen. "Diesmal waren wir richtig erfolgreich. Aber es gibt genug Leute, die in die Fußstapfen der Atas und Lokmans treten."

© SZ vom 6.12.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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