Hinrichtung von Steven Sotloff:Kalifat konfrontiert Weltmacht

Terroristen der IS-Miliz

Das Kalkül der IS-Terroristen (im Bild) basiert auch auf der Macht der Bilder.

(Foto: AFP)

Was tun, Barack Obama? Nach der Ermordung eines weiteren Journalisten wächst der Druck auf den US-Präsidenten, die Terrormiliz IS auch in Syrien zu bekämpfen. Doch es gibt Grund zu der Annahme, dass die Dschihadisten genau das wollen.

Von Martin Anetzberger

Die Drohung der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) ist Wirklichkeit geworden. Die radikalen Sunniten haben auch Steven Sotloff hingerichtet. Es ist nun Gewissheit, dass James Foleys Tod kein Einzelfall war und weitere Opfer folgen könnten. Der Druck auf US-Präsident Obama steigt. In dem zweiten Gräuelvideo wird erneut eine Geisel - es soll sich dabei um einen britischen Entwicklungshelfer handeln - zur Schau gestellt und mit dem Tod bedroht. Nach den Ereignissen der vergangenen Tage muss die britische Regierung davon ausgehen, dass sein Leben ernsthaft in Gefahr ist. Der New York Times zufolge hält der IS zwei weitere Amerikaner und drei Briten gefangen, in der Mehrheit angeblich Entwicklungshelfer.

US-Präsident Barack Obama ordnete nach Bekanntwerden der Aufnahme die Entsendung von 350 zusätzlichen Soldaten in den Irak an. Seit mehreren Wochen fliegen die USA Angriffe auf Stellungen der IS-Kämpfer. Welche Alternativen bleiben Obama nun?

Obama behält seine Strategie bei und beschränkt sich auf den Irak

Die bisherige Strategie Obamas bestand in Luftschlägen gegen IS-Stellungen im Nordirak, um die kurdischen Peschmerga zu unterstützen und amerikanische Einrichtungen vor Ort zu schützen. Was Obama im Irak mache, sei der richtige Weg, sagt der Terrorismusforscher Peter Neumann vom Londoner King's College zu Süddeutsche.de. "Natürlich gibt es Luftschläge, natürlich liefern die Amerikaner die Waffen und die Aufklärung." Aber man halte sich im Hintergrund. Der große Vorteil im Irak sei, dass man auf einen Partner zurückgreifen könne. Die Kurden seien im Kampf gegen die IS-Miliz ein gemäßigter Partner und militärisch schlagkräftig.

Teil der Strategie Obamas war bisher auch, kein Lösegeld an Dschihadisten zu zahlen. Eine Rettung der beiden Opfer wäre aber nach Einschätzung von Neumann in der aktuellen Lage nicht möglich gewesen. Er glaubt nicht, dass der Islamische Staat zuletzt bereit gewesen sei, die beiden Geiseln gegen Geld freizulassen.

Versuch einer Verhandlungslösung mit der IS-Miliz

Was wäre aber nun mit einem politischen Tauschgeschäft zwischen USA und IS? Ein Kompromiss könnte zum Beispiel sein: ein Stopp der Luftangriffe im Nordirak als Ausgleich für die Freilassung von Geiseln. Für Peter Neumann vom King's College keine praktikable Option: "Das kommt weder für die Amerikaner noch für den IS in Frage", sagt er. Dann hätten die Amerikaner den Terroristen einen Anreiz gegeben, noch mehr Menschen in ihre Gewalt zu bringen. Bei den Islamisten könnte der Eindruck entstehen, für Geiseln bekomme man von den USA alles, was man wolle. Neumann sagt: "Für Obama wäre das eine innenpolitische Katastrophe. Er würde als der schlechteste Präsident aller Zeiten dastehen."

USA weiten ihr militärisches Engagement auf Syrien aus

"Druck ist oft der Feind guter Politik", sagte Daniel J. Benjamin, ein früherer Mitarbeiter des US-Außenministeriums, der New York Times. Nach den brutalen Bildern fürchtet er ein "Geschrei" nach weiteren Militäraktionen. Aber er warnt davor, dass Luftschläge in Syrien nicht effektiv sein könnten. Am Ende könnte dann die Forderung nach einem Bodeneinsatz stehen. "Das ist die Dynamik, der Obama widerstehen muss", sagt auch Peter Neumann. Es sei genau die Absicht des zweiten Videos, Obama in einen großen Konflikt im Nahen Osten hineinzuziehen. "Das islamische Kalifat sucht die Konfrontation mit der Weltmacht USA", sagt er. Ein Einsatz von Bodentruppen in Syrien gäbe dem IS nur die Möglichkeit, sich als Befreiungskämpfer gegen den Westen und die Besatzungsmacht USA darzustellen. "Das war der Fehler, der bei der Irak-Invasion 2003 gemacht wurde", sagt er. Schon Luftangriffe würden zudem die syrischen Verbündeten Iran und Russland provozieren.

Neumann gibt außerdem zu bedenken, dass die USA in Syrien im Gegensatz zum Irak keinen Verbündeten hätten. Für Syrien gebe es deswegen keine Strategie. Obama musste das am vergangenen Freitag selbst einräumen und wurde dafür von Republikanern und auch einigen Demokraten kritisiert. "Mit Assad will man nicht zusammenarbeiten", sagt Neumann. Der habe außerdem kein wirkliches Interesse daran, den Islamischen Staat zu zerstören. Die Freie Syrische Armee stehe als möglicher Partner kurz vor dem Zusammenbruch. Neumann bringt deswegen die Türkei als potenziellen Partner in Syrien ins Spiel. Das Land habe eine starke Armee und außerdem großes Interesse daran, dass die Kurden nicht zum einzigen Partner der USA in der Region werden. Und auch die Araber sind Neumann zufolge gefragt. Er sagt, dass die Ursache für das amerikanische Engagement auch sei, "dass die Araber letztlich keine Verantwortung übernehmen für die Konflikte in ihrer Region".

Verstärkte Anstrengungen zur Befreiung von Geiseln

Eine scheinbar einfache und zugleich wirksame Option wäre die gewaltsame Befreiung von IS-Geiseln. Doch die USA haben das schon bei James Foley versucht. Spezialkräfte griffen im Juli eine Ölraffinerie nahe der syrischen Stadt Rakka an, weil sie den Journalisten und andere Geiseln dort vermuteten. Die Aktion blieb ohne Erfolg, weil Foley und andere Geiseln zu diesem Zeitpunkt bereits an einen anderen Ort gebracht worden waren. Foley musste wenig später sterben. Michael Leiter, ehemaliger Direktor des National Counterterrorism Center rät von derlei Rettungsaktionen ab. Vor allem in Syrien seien sie "nicht im Entferntesten eine sichere Sache", sagte er der New York Times.

Peter Neumann ist ähnlicher Meinung. Dafür müsse man genau wissen, wo sich die Geiseln befänden. Er spekuliert, dass die IS-Miliz möglicherweise auch mehrere Geiseln zur gleichen Zeit töten, die entsprechenden Videos aber zu unterschiedlichen Zeitpunkten veröffentlichen könnte. "Wenn eine Geisel bereits tot ist, würde eine Rettungsaktion natürlich überhaupt nichts bringen", sagt er. Neumann zweifelt aber nicht daran, dass der Einsatz von Spezialkräften ein wesentlicher Bestandteil von Obamas Strategie ist. Er habe solche Aktionen in seiner Regierungszeit intensiviert. "Wenn es die realistische Möglichkeit zur Befreiung einer Geisel gäbe, würde er nicht eine Sekunde zögern, das anzuordnen", sagt er.

Egal für welche Option sich Obama letztlich entscheidet - der Druck auf ihn, diese Exekutionen zu stoppen, werde unglaublich werden, sagt Terrorismusforscher Neumann. Und er schätzt die Überlebenschancen für die verbleibenden Geiseln als gering ein. "Realistisch betrachtet gibt es nichts, was Obama auf die Schnelle machen kann, um das zu stoppen", sagt er. Auch weil diese Geiseln natürlich alle in Syrien seien. Bis die Türkei dort zu einem Partner werden könne, würden zumindest sechs bis zwölf Monate vergehen. Vielleicht dauere dies auch bis über Obamas Amtszeit hinaus, sagt Neumann.

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