Hinrichtung:Der strafende Staat

"Auge um Auge, Zahn um Zahn" - macht sich der Staat zum Vollstrecker biblischer Rache, wenn er Menschen zum Tode verurteilt?

Bernd Graff

In fast 100 Ländern gibt es heute noch die Todesstrafe. nahezu 70 Prozent aller Hinrichtungen werden in China vollstreckt.

Hinrichtung: Der "Elektrische Stuhl" ist nur eine von 5 Methoden, mit denen in den USA Menschen hingerichtet werden. Die anderen vier sind: Gift-Spritze, Gas-Kammer, Erschießung und Tod durch Erhängen. In fundamentalistischen Staaten gibt es auch heute noch die Steinigung.

Der "Elektrische Stuhl" ist nur eine von 5 Methoden, mit denen in den USA Menschen hingerichtet werden. Die anderen vier sind: Gift-Spritze, Gas-Kammer, Erschießung und Tod durch Erhängen. In fundamentalistischen Staaten gibt es auch heute noch die Steinigung.

Mehr als die Hälfte der Staaten verhängt die Strafe für eine Vielzahl von Vergehen: Mord, Vergewaltigung, Drogenhandel, Ehebruch, Korruption, Terrorismus und Landesverrat.

Dabei kann keiner der Staaten eigentlich sagen, ob mit der Hinrichtung überhaupt "gestraft" wird.

Die Todesstrafe ist vermutlich so alt wie die zivilisierte Menschheit selbst.

Das römische und das germanische Recht kannten sie. Die ältesten Gesetze, die die Todesstrafe enthielten, datieren aus dem 18. Jahrhundert vor Christus: In den Gesetzestexten des König Hammaurabi von Babylon werden 25 verschieden Vergehen genannt, die mit dem Tode geahndet wurden. Die drakonische Gesetzgebung Athens aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. sah ausschließlich den Tod als Strafe für ALLE Verbrechen vor.

Die zum Tode Verurteilen wurden gekreuzigt, ertränkt, erschlagen, verbrannt, gerädert und gepfählt.

Moorleichfunde aus dem 1 Jahrtausend v. Chr. belegen, dass Verbrecher auch erwürgt und dann im Moor versenkt wurden. Strafwürdig waren vor allem: Inzest, Gotteslästerung, Hexerei und Verrat. Hauptargument der Befürworter der Todesstrafe ist auch heute noch deren angeblich abschreckende Wirkung. Aus diesem Grund wurden die Hinrichtungen auch zumeist öffentlich veranstaltet und die Hingerichteten über einen längeren Zeitraum zur Schau gestellt.

Im frühen 17. Jahrhundert beschreibt etwa Campanella, wie er sich die Prozedur einer Hinrichtung idealer Weise vorstellt: Übrigens wird das Todesurteil an keinem Verurteilten vollzogen, als bis dieser selbst durch überlegene Gründe zu der Überzeugung gelangt ist, es sei nötig, dass er sterbe, und bis er dahingebracht worden ist, selbst die Vollziehung des Todesurteils zu wünschen. Ist ein Verbrechen, sei's gegen die Freiheit des Gemeinwesens, sei's gegen Gott, sei's gegen die höchsten Obrigkeiten, begangen worden, so erfolgt die Hinrichtung unverzüglich, ohne Begnadigung. Nach ihren Religionsgrundsätzen führt man den Frevler, der sterben muss, vor das versammelte Volk und zwingt ihn, die Gründe anzugeben, die zu seiner Freisprechung führen könnten, und die unbekannten Missetaten derjenigen, die nach seiner Meinung die gleiche Strafe verdienten. Er muss zugleich eine Anklage gegen die obrigkeitlichen Personen erheben, die, seinem Gewissen zufolge, ebenfalls die Todesstrafe erleiden müssen. Werden seine Gründe triftig befunden, so begnügt man sich damit, ihn zu verbannen, und die ganze Stadt betet zu Gott, er möge seinen Zorn besänftigen, und bringt ein Sühnopfer dar." (Campanella: "Der Sonnenstaat")

Erst mit der Aufklärung des 18. Jahrhunderts wurden viele archaische Methoden der Hinrichtung in Europa abgeschafft, nicht aber die Todesstrafe selbst - wie etwa die Guillotine des nachrevolutionären Frankreich belegt.

Doch was ist die Todesstrafe eigentlich? Nicht nur in christlichen Staaten gilt der Tod eines Menschen ja nicht als endgültiger Untergang, sondern, ganz im Gegenteil, als Eintritt in ein höheres Leben. Der

Philosoph Moses Mendelssohn erörtert diese Frage bereits 1767. Er erzählt hierzu noch einmal die Geschichte des wegen angeblicher Einführung neuer Götter und Verführung der Jugend zum Tode durch Vergiftung (Schierlingsbecher) verurteilten Sokrates: "Man führte Sokrates ins Gefängnis, das, wie Seneka sagt, durch die Gegenwart dieses Mannes seine Schmach verlor, indem das kein Kerker sein kann, wo ein Sokrates ist. Unterwegs begegneten ihm einige von seinen Schülern, die über dasjenige was ihm widerfahren, ganz untröstlich waren. "Warum weinet ihr? fragte sie der Weise. Hat mich die Natur nicht gleich bei meiner Geburt zum Tode verurteilt? Wenn mich der Tod einem wahren und ersprießlichen Gute entrissen, so hätte ich, und diejenigen die mich lieben, Ursache, mein Schicksal zu bedauern. Da ich aber hienieden nichts als Jammer und Elend zurücklasse: so sollten mir meine Freunde zu meiner Reise vielmehr Glück wünschen." [Mendelssohn: Phaedon oder über die Unsterblichkeit der Seele]

Arthur Schopenhauer zitiert im 19. Jahrhundert ganz in diesem Sinne einen Zeitungsartikel aus der englischen Zeitung "The Post" vom 6. Mai 1837: "Am Morgen seiner Hinrichtung empfahl ihm ein Herr, er möge sein Vertrauen auf Gott stellen und um Vergebung durch die Vermittelung Jesu Christi beten. Greenacre erwiderte: um Vergebung durch die Vermittelung Christi bitten sei eine Sache der Meinung; er, seines Teils, glaube, dass, in den Augen des höchsten Wesens, ein Mohammedaner einem Christen gleich gelte und eben so viel Anspruch auf Seligkeit habe. Er habe, seit seiner Gefangenschaft, seine Aufmerksamkeit auf theologische Gegenstände gerichtet, und ihm sei die Überzeugung geworden, dass der Galgen ein Pass (pass-port) zum Himmel ist." [Schopenhauer: Die Welt als Wille und Vorstellung]

Insofern ist also fraglich, ob man den zum Tode Verurteilten tatsächlich "straft". Zumal man nach dem alttestamentarischen Schuld-Sühne-Prinzip ja davon ausgehen muss, dass die Tat, deretwegen ein Mensch hingerichtet wird, mit der Hinrichtung gesühnt ist - ganz so, wie jemand nicht mehr "schuldig" ist, nachdem er seine Gefängnisstrafe abgebüßt hat.

Kant diskutierte die Hinrichtung daher vor dem Hintergrund der "Ideen des Menschenrechts": "Die formale Hinrichtung ist es, was die mit Ideen des Menschenrechts erfüllte Seele mit einem Schaudern ergreift, (denn sie) wird als Verbrechen, was ewig bleibt, und nie ausgetilgt werden kann (crimen immortale, inexpiabile), angesehen, und scheint demjenigen ähnlich zu sein, was die Theologen diejenige Sünde nennen, welche weder in dieser noch in jener Welt vergeben werden kann." [Kant: Die Metaphysik der Sitten]

Vergeht sich also der Staat, wenn er henkt?

In diesem Sinne hat sich etwa in der Mitte des 19. Jahrhunderts der Linkshegelianer Max Stirner geäußert, der für ein absolutes Recht des Einzelnen eintritt: "Staat, Religion, Gewissen, diese Zwingherren, machen mich zum Sklaven, und ihre Freiheit ist meine Sklaverei. Dass sie dabei notwendig dem Grundsatze "der Zweck heiligt die Mittel" folgen, versteht sich von selbst. Ist das Staatswohl Zweck, so ist der Krieg ein geheiligtes Mittel; ist die Gerechtigkeit Staatszweck, so ist der Totschlag ein geheiligtes Mittel und heißt mit seinem heiligen Namen: "Hinrichtung" usw.; der heilige Staat heiligt alles, was ihm frommt." [Stirner: Der Einzige und sein Eigentum]

Auch Hegel hatte sich gegen die Hinrichtung gewandt: Ihn erfüllte mit Abscheu, dass "einem Menschen bei der Hinrichtung sein Recht, sich für sein Leben zu wehren, entzogen ist."

Nach der Hinrichtung William Kemmlers am 06. August 1890, es war die erste Hinrichtung "mittels elektrischen Stroms", schrieb die New York Times: "Seine Exekution gereichte nicht nur dem Staate Ney York zum Schaden, sondern sie war eine Schande für die Zivilisation."

Weiß der Staat also, was er tut, wenn er Menschen hinrichtet?

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