Hindernislauf zur großen Koalition:SPD-Landesverbände in NRW und Hessen stellen neue Bedingungen

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SPD-Vorsitzender Schulz mit dem Vorsitzenden des NRW-Landesverbands Groschek (r.), dazwischen Generalsekretärin Schulze. (Foto: dpa)
  • SPD-Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Hessen fordern "substanzielle Verbesserungen" gegenüber dem Ergebnis der Sondierungsgespräche.
  • Streitpunkte sind: befristete Arbeitsverträge, private und gesetzliche Krankenversicherung sowie der Familiennachzug.
  • Im Koalitionsvertrag, über den die Parteibasis abstimmt, sollen die Nachbesserungen dann enthalten sein.

Von Christoph Hickmann, Berlin

Unmittelbar vor dem entscheidenden SPD-Bundesparteitag an diesem Sonntag stellen die mächtigen sozialdemokratischen Landesverbände Nordrhein-Westfalen und Hessen neue Bedingungen für eine große Koalition. In einem der Süddeutschen Zeitung vorliegenden Entwurf eines gemeinsamen Antrags, den sie beim Parteitag einzubringen planen, fordern sie "substanzielle Verbesserungen" gegenüber dem Ergebnis der Sondierungsgespräche zwischen CDU, CSU und SPD.

Konkret geht es um die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhältnissen, die Angleichung der Honorarordnungen für gesetzlich und privat Krankenversicherte sowie eine Härtefallregelung für den Familiennachzug bei Flüchtlingen mit eingeschränktem Schutzstatus.

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Papier baut inhaltliche Hürden auf

Am Sonntag sollen in Bonn 600 Delegierte darüber abstimmen, ob die SPD Koalitionsverhandlungen mit der Union aufnimmt. Basis ist das Ende vergangener Woche ausgehandelte Papier mit den Ergebnissen der Sondierungsgespräche. In den vergangenen Tagen hatte die SPD teils heftig darüber debattiert, ob es als Grundlage für ein neues Bündnis ausreicht.

Parteichef Martin Schulz und weitere führende Sozialdemokraten versuchten bei zahlreichen innerparteilichen Treffen, möglichst viele Skeptiker zu überzeugen. Insbesondere von den Delegierten seines heimatlichen Landesverbands NRW schlug Schulz jedoch viel Kritik entgegen. Das zwischen den Landesspitzen der Sozialdemokratie in NRW und Hessen abgestimmte Papier soll nun eine Brücke sein, auch Skeptikern die Zustimmung zu ermöglichen.

Das Präsidium der NRW-SPD beschloss den Antrag am Freitagabend. Allein NRW und Hessen stellen zusammen mehr als ein Drittel der Delegierten des Bundesparteitags. Zugleich baut das Papier neue inhaltliche Hürden auf - schließlich dürfte es der Union nicht leicht fallen, sich an den drei genannten Punkten substanziell zu bewegen.

Im Entwurf des Antrags werden zunächst die Ergebnisse der Sondierungen gelobt, die geeignet seien, "im Rahmen von Koalitionsverhandlungen die noch offenen Fragen zu klären". Zugleich aber seien "mit CDU und CSU bislang in für uns essentiellen Projekten" nur "unzureichende Ergebnisse erreicht worden". Dies betreffe "die ersatzlose Abschaffung der sachgrundlosen Befristung, um insbesondere für junge Menschen für mehr Sicherheit beim Start ins Berufsleben zu sorgen".

Außerdem gehe es um "den Einstieg in das Ende der Zwei-Klassen-Medizin durch eine Angleichung der Honorarordnungen für gesetzlich und privat Versicherte". Damit wäre es für Ärzte nicht mehr lukrativer, Privatpatienten zu behandeln - was faktisch ein Einstieg in die von der SPD seit Langem verfochtene sogenannte Bürgerversicherung wäre.

Darüber hinaus betroffen sei "eine weitergehende Härtefallregelung für den Familiennachzug, um Familien das Zusammenleben zu ermöglichen", heißt es in dem Papier. Laut Sondierungsergebnis soll der Familiennachzug auf 1000 Angehörige von subsidiär Geschützten pro Monat begrenzt werden.

Parteivorstand steht hinter Ergebnissen aus den Sondierungsgesprächen

Allerdings hatte die Union die Forderung nach Nachverhandlungen bereits in den vergangenen Tagen mehrfach abgelehnt. Von entscheidender Bedeutung ist somit die Frage, was aus Sicht der nordrhein-westfälischen und hessischen Genossen passieren soll, falls die geforderten "substanziellen Verbesserungen" in Koalitionsverhandlungen nicht erreicht würden. Dazu heißt es im Antragsentwurf: "Wenn die Koalitionsverhandlungen insgesamt zu einem tragfähigen Ergebnis kommen, wird der Parteivorstand den Mitgliedern einen Entwurf für einen Koalitionsvertrag zur Abstimmung vorlegen, der diese Verbesserungen enthält."

Im Umkehrschluss dürfte dies bedeuten, dass der Parteivorstand den Mitgliedern einen Vertrag gar nicht erst vorlegen würde, in dem die geforderten Nachbesserungen nicht zumindest ansatzweise enthalten sind. Allerdings wird von Befürwortern wie Gegnern immer wieder betont, dass die Mitglieder das letzte Wort haben sollen. Daher ist die Frage, ob der Parteivorstand dies angesichts des dann mutmaßlich immensen öffentlichen Drucks tatsächlich durchhalten könnte - zumal er sich mit großer Mehrheit hinter das Sondierungsergebnis gestellt hatte.

Beide Lager versuchten bis zuletzt, die Stimmung zu ihren Gunsten zu beeinflussen. Die Gegner von Schwarz-Rot warnen vor einem weiteren Absturz der SPD. Die Befürworter befürchten genau diesen Absturz für den Fall, dass die SPD sich der Verantwortung verweigert. Reiner Hoffmann, Chef des Deutschen Gewerkschaftsbunds, warb öffentlich für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen.

Vom Ergebnis der Abstimmung hängen nicht nur die Zukunft der SPD und die Karriere von Parteichef Schulz ab. Darüber hinaus wäre dann die Frage, ob ohne Neuwahl überhaupt noch eine Regierung gebildet werden kann.

© SZ vom 20.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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