Hildegard Lächert:Wie eine KZ-Aufseherin von CIA und BND angeheuert wurde

Hildegard Lächert, 1981

Die Angeklagte Hildegard Lächert kurz vor Beginn der Urteilsverkündung im Majdanek-Prozess 1981.

(Foto: dpa)

Hildegard Lächert wütete besonders brutal im KZ Majdanek. Nach dem Krieg ließ sich die SS-Schergin von westlichen Geheimdiensten anwerben.

Von Oliver Das Gupta

Hildegard Lächert erscheint am 26. November 1975 im Landgericht Düsseldorf. "Ich war immer freundlich zu den Leuten in Polen", beteuert die beleibte Mittfünfzigerin mit den hochgesteckten Haaren vor Reportern. "Warum wird das jetzt alles wieder aufgewühlt?"

Dann geht sie hinein in den Schwurgerichtssaal 111 und nimmt Platz. Lächert ist eine der 16 Angeklagten, die für die SS im Konzentrationslager Majdanek Dienst taten. Hunderttausende Menschen wurden in dem Konzentrationslager im polnischen Lublin vergast, erschossen und erschlagen; sie starben an Seuchen, sie verhungerten oder gingen an den furchtbaren Bedingungen zugrunde. Auch weibliches "SS-Gefolge" mordete mit, Frauen wie Lächert.

"Die Peitsche war ihr an die Hand gewachsen"

Zahlreiche Zeugen berichten in Düsseldorf, wie die gebürtige Berlinerin in Majdanek wütete:

  • Eine frierende Frau schlug Lächert blutig, weil diese Zeitungspapier unter die dünne Häftlingskleidung gestopft hatte.
  • Lächert lockte Kinder mit Zuckerstückchen auf Lastwagen, mit denen sie zur Gaskammer gefahren wurden. Sie soll an der Ermordung von mindestens 200 Kindern beteiligt gewesen sein.
  • Zwei Griechinnen erstickten in einer Latrinengrube, in die sie Lächert gestoßen hatte.
  • Die Aufseherin hetzte ihren Schäferhund auf eine Schwangere, der die junge Frau dann zerfleischte.
  • Mit ihren eisenbewehrten Stiefeln habe sie einen Mann so lange getreten, bis der "nicht mehr wie ein Mensch aussah", sagt eine Zeugin.
  • Eine andere erzählt, Lächerts Peitsche "war ihr an die Hand gewachsen".
  • Die Zeugen erinnern sich an Hildegard Lächert als schöne, als "stattliche Frau", die gerne auf einem Pferd dahergeritten kam. Der Spitzname der Sadistin: "Blutige Brygida (Brigitte)".

Dass Lächert als SS-Aufseherin in Majdanek, aber auch in Außenlagern von Auschwitz fungierte, weiß die bundesdeutsche Justiz bereits, als sie in den sechziger Jahren endlich beginnt, die monströsen Verbrechen von Majdanek aufzurollen. Was die Staatsanwälte und Richter damals aber nicht wissen: Die Angeklagte Lächert verdingte sich in der Nachkriegszeit bei der CIA und dem BND.

1956 wurde sie zuerst vom US-Geheimdienst angeworben, schreibt der Spiegel in seiner aktuellen Ausgabe. Mit wem sie es zu tun hat, war der CIA klar: Die Deutsche hatte unmittelbar zuvor mehrere Jahre in Polen eine Haftstrafe für ihre Rolle in Majdanek verbüßt.

Hunderte Alt-Nazis heuerten bei der CIA an

Für die CIA war die braune Vergangenheit offenbar ein Pluspunkt. Die Sicherheitsanforderungen erfülle Lächert sehr gut, was an ihrer "Ausbildung durch die SS" liege, heißt es lobend in einem der Papiere, aus dem das Magazin nun zitiert. Ihre politische Gesinnung scheint sie nicht verändert zu haben: Lächert halte den "faschistischen Weg für richtig", notierte die CIA.

Aus in den National Archives befindlichen Dokumenten geht demnach hervor, dass sich die CIA von Lächert vor allem Informationen über einen polnischen Agenten erhofft hat, der angeblich überlaufen wollte. Die Deutsche hatte ihn während ihrer Haftzeit kennengelernt.

Lächerts nun enthülltes CIA-Engagement ist ein Novum. Bislang war nur bekannt, dass die Vereinigten Staaten von Amerika Männer mit einschlägiger NS-Vergangenheit für ihren Geheimdienst angeworben hatten. Nach Beginn des Kalten Krieges mit der Sowjetunion gingen Washington und die anderen Westmächte sehr nachsichtig mit Nazi-Tätern um.

Verbrechen wurden als weniger schlimm eingestuft, Haftstrafen teilweise drastisch verkürzt. Mindestens 1000 Alt-Nazis sollen von US-Seite angeheuert worden sein. Viele von ihnen wurden vor Strafverfolgung geschützt (hier mehr dazu).

Darunter war etwa der ehemalige SS-Offizier Josef Berschneider, unter dessen Kommando in Slowenien und Norditalien viele Zivilisten massakriert wurden. Der Bayer Berschneider soll Gefangenen eigenhändig mit einer Axt den Kopf abgeschlagen haben. Nach dem Krieg agitierte er im Sinne der CIA in der Deutschen Soldatenzeitung gegen die Gegner der Wiederbewaffnung.

Der BND hatte einen "sehr guten Eindruck" von Lächert

Auch Klaus Barbie, der als Gestapo-Chef von Lyon Verdächtige bestialisch gefoltert und ermordet hatte, belieferte die CIA mit Informationen. Er hatte auch zeitweise Kontakt zum BND, in dem es in der Frühzeit vor ehemaligen Nazis wimmelte.

So wundert es nicht, dass Lächert auch beim westdeutschen Auslandsgeheimdienst willkommen war. Die Amerikaner wollten sie loswerden, weil sie allzu offen über ihre Verbindungen zu den Schlapphüten zu plaudern pflegte.

1957 vermittelte die CIA die frühere SS-Aufseherin an den BND, wo sie dem Spiegel zufolge zunächst einen "sehr guten Eindruck" machte, dann aber auch durch ihre Redseligkeit auffiel und schließlich abgeschaltet wurde.

Wie viel ihr die Geheimdienste zahlten, bleibt bislang offen. Bekannt ist, dass sie sich bald nach ihrer Rückkehr aus polnischer Haft Taxifahrten leisten konnte und angeblich sogar ein eigenes Auto. Lächert sammelt Meissner Porzellan, für das sie in ihrem Heimatdorf nahe Heidelberg bekannt ist, wie später die Feminstin und Prozessbeobachterin Alice Schwarzer schreibt.

Drohung an die CIA

Als die Ermittler auf Lächert stoßen, soll sie sich in einer Spielwarenfabrik verdingt haben, andere Quellen erwähnen, dass sie in einem Bordell als Putzfrau arbeitet.

Im Düsseldorfer Prozess wird sie von einem stramm rechten Anwalt verteidigt. Der Advokat lehnt einen Gutachter ab, weil dieser bei einem jüdischen Professor promoviert hat. Als eine KZ-Überlebende vor Gericht schildert, wie sie für die SS einen Behälter Zyklon B zu den Gaskammern tragen musste, fordert er die Festnahme der Zeugin - wegen Beihilfe zum Mord.

Fünf Jahre dauert der Prozess. In der Zeit kandidiert die Angeklagte erfolglos auf der Liste einer rechtsextremen Kleinpartei bei den Europawahlen. Im Gericht beklagt sie ihr schweres Leben im Lager: "Vor allen Dingen war es so ein Schmutz, wenn es regnete und so weiter", sagt sie einmal: "Es war ja Lehmboden dort. Wir konnten kaum gehen."

Hunderte Zeugen werden gehört, die meisten sind Überlebende der Shoah. Sie kannten Lächert damals nicht beim Namen, die Aufseher haben sich nicht mit Namen vorgestellt. Aber die gepeinigten Menschen kannten die "blutige Brygida", die getreten hat und die Peitsche schwang und gerne aufs Pferd stieg.

Viele spezifische Grausamkeiten werden mit dieser SS-Aufseherin verbunden - aber ist die Frau auf der Anklagebank tatsächlich die "blutige Brygida"?

Lächert selbst zeigt kein Mitgefühl oder gar Reue während des Prozesses. Ungerührt hört sie sich die Ausführungen der Zeugen an. Manchmal schreibt sie mit.

Aber ihr Körper reagiert auf die Konfrontation mit der Vergangenheit: Auf ihrer Haut bilden sich größere dunkle Stellen. Nach dem Prozess sollen die Male verschwunden sein.

Lächert hat vor Prozessbeginn über einen Theologiestudenten das US-Militär kontaktiert. Wenn man ihr nicht helfe, dann erzähle sie "die ganze Geschichte" mit der CIA, droht sie. Der Geheimdienst scheint zu reagieren und Lächert packt im Prozess nicht aus.

Sie rechnet offenbar mit einem harten Urteil, vielleicht sogar lebenslänglich. Schon vor dem Urteil wünscht sie sich eine Inhaftierung in Heidelberg - mit Blick auf das Schloss.

Doch es kommt anders. 1981 fallen die Urteile, Lächert wird der gemeinschaftlichen Beihilfe zum Mord an mindestens hundert Menschen schuldig gesprochen. Sie erhält eine Haftstrafe von zwölf Jahren. Zu mehr reicht es nicht, denn der Einzeltatnachweis fehlt. Es ist unklar, ob wirklich sie die "blutige Brygida" ist, die Sadistin, die auf dem Pferd durchs KZ ritt.

Lächert bekommt die Gefängnisjahre angerechnet, die sie in Polen und in der Untersuchungshaft hinter Gittern saß: Sie ist frei - uneinsichtig und reuelos.

Entscheidende Details in Dokumentarfilm

Ein paar Jahre später kann man die SS-Aufseherin von damals noch einmal sehen und hören. In der Dokumentation "Der Prozess" plaudert Lächert unbekümmert über die Ritte auf schönen Pferden während ihrer Zeit in Majdanek, dazu wird auch noch ein Schwarz-Weiß-Foto gezeigt, auf dem sie hoch zu Ross zu sehen ist. Eine der brutalsten KZ-Aufseherinnen enttarnt sich selbst.

Doch das Geständnis kommt zu spät, denn das Urteil ist längst rechtskräftig. Hildegard Lächert lebt unbehelligt bis zu ihrem Tod 1995.

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