Hessen: Volker Bouffier:Hellblonde Eminenz

Konservativ, volksnah und heimattreu: Volker Bouffier übernimmt am Dienstag die Regierung in Hessen. Er ist sich für wenig zu fein - und gut für Überraschungen. Eine Spurensuche in Gießen.

Marc Widmann

Politisch gesehen ist Gießen eine rote Stadt, wie rot, davon kann Siegbert Damaschke berichten. "Wir mussten früher aufpassen, dass wir an manchen Orten keine Prügel bekamen", erzählt der örtliche CDU-Fraktionschef. "In manchen Gaststätten haben die Wirte nur gesagt: Für die Schwarzen haben wir keinen Raum."

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"Prinz Charles von Hessen":Nach langem Warten wirdVolker Bouffier Ministerpräsident des Landes. Einen grundlegenden Wandel aber traut ihm praktisch keiner zu.

(Foto: dpa)

Am Dienstag wird ein Schwarzer aus dem roten Gießen der neue Ministerpräsident von Hessen: Volker Bouffier, 58, bislang Innenminister. Wer sich in seiner Heimat auf Spurensuche begibt, trifft auf erstaunliche Geschichten. Er trifft zum Beispiel auf den Grünen-Lokalpolitiker Bernd Kaufmann, der vor 13 Jahren mit Bouffier über eine gemeinsame Koalition im Kreistag verhandelte. "Es hat mich überrascht, wie viele Schnittmengen es doch gibt", sagt der Grüne. Und wie offen der CDU-Mann gewesen sei. Auch noch, als man sich Jahre später wieder sah, spät nachts in Gießen an einer roten Ampel. Was macht Bouffier? "Er lässt das Fenster runter, grüßt und freut sich."

Nein, es ist ausgeschlossen, dass Bouffier demnächst in Hessen eine schwarz-grüne Koalition gründet. Aber diese Geschichten geben einen Hinweis darauf, dass sich in Hessen durchaus etwas ändert: der Charakter des Regierungschefs. "Roland Koch hat seinen Stil, und ich hab' meinen", sagt Bouffier. "Der eine ist etwas zurückgenommener, der andere etwas zugänglicher." Er ist nicht nur etwas zugänglicher, er ist ein Graswurzel-Politiker, wie es ein erfahrener CDU-Mann nennt. Einer, der selbst zum 25. Jubiläum der Damen-Gymnastikgruppe nach Lützellinden fährt. "Und dann der letzte ist, der geht."

Bouffier ist sich für wenig zu fein, und das kann man besser verstehen, wenn man Gießen versteht. Diese Stadt, die er nie verlassen wollte, obwohl er schon früh hätte Staatssekretär werden können in Thüringen. Wer als CDU-Mann in dieser "Diaspora" weiterkommen will, sagt der Gießener Damaschke, "der muss offen sein: Wenn hier einer von oben herab kommt, der kann gleich einpacken." Was er meint, sieht man auf den Straßen. Gießen hat die höchste Studentendichte der Republik. Am unscheinbaren Haus von Bouffier radeln pausenlos Studenten vorbei. Die Stadt ist keine Perle, aber sie ist lebendig. Anzug trägt hier keiner.

Der zweite Grund, warum Bouffier ist wie er ist, liegt in seiner Familie. Karin Bouffier-Pfeffer ist ähnlich offen wie ihr Bruder. Sie sitzt auf der Terrasse des Elternhauses und erzählt aus der Jugend, von einem Vater, der Stalingrad überlebte, acht Jahre Gefangenschaft, und zurück in Gießen die CDU wieder aufbaute. Er schwieg nicht, er debattierte schon am Frühstückstisch mit seinen Kindern. Er wollte Meinungen hören, Argumente. "Hier wurde immer diskutiert", sagt Karin Bouffier-Pfeffer. Oft saßen sie bis tief in die Nacht zusammen. Und redeten über Politik, über Strategien.

"Er war immer eine Stufe weiter als wir"

So kam es, dass Volker Bouffier nicht nur früh zur Jungen Union (JU) ging, sondern den anderen dort auch immer voraus war. "Er war immer eine Stufe oder zwei weiter als wir", sagt Schul- und Parteifreund Thomas Rausch, heute Stadtrat in Gießen. "Er hatte schon eine Strategie, als andere noch gar nicht drüber nachgedacht haben."

Volker Bouffier

Einer, der selbst zum 25. Jubiläum der Damen-Gymnastikgruppe nach Lützellinden fährt. Und dann der letzte ist, der geht: Hessen zukünftiger Ministerpräsident Volker Bouffier.

(Foto: dpa)

Bouffier war der Anführer. Bei der JU in Gießen, später dann bei einer Truppe aufstrebender CDU-Nachwuchspolitiker, die sich im Hinterzimmer einer Autobahnraststätte an der A5 verbündeten und fortan "Tankstellen-Connection" hießen. Er war der Chef, bis er 1999 seinem jüngeren Freund Roland Koch den Vortritt ließ, als es um die Spitzenkandidatur ging. Seither war er der ewige Kronprinz, "Prinz Charles von Hessen", wie manche spotteten.

In Gießen aber war Bouffier stets mehr als das. Hier ist er die "hellblonde Eminenz", erzählt der Grüne Kaufmann nur halb im Scherz. Hat die CDU ein Problem, ruft sie Bouffier im Ministerium an. Hat die Uni ein Problem, ebenfalls. Generell sind die Bouffiers ein einflussreicher "Clan" in der Stadt, bestätigt ein örtlicher Reporter. Frau Ursula sitzt im Stadtparlament. Schwester Karin im Magistrat. Einer der Söhne ist auch schon Pressesprecher bei der JU. Alle sind mit Politik infiziert, alle in derselben Partei.

Wiesbaden ist eine andere Welt. Äußerlich schöner, aber politisch rauer. In der Landeshauptstadt schilt die SPD Bouffier wegen diverser Affären als "Skandalminister Nummer 1", die Grünen zweifeln an seiner Kraft zum politischen Neuanfang. Große Akzente trauen ihm hier nur wenige zu, große bundespolitische Vorstöße kaum jemand. Immerhin einen anderen persönlichen Stil.

Wo steht Bouffier? "Er ist ein Konservativer", sagt Rüdiger Veit, "ein rechter Kader ist er nicht, ein Hardliner auch nicht." Veit ist noch so eine interessante Begegnung in Gießen. Er lernte Bouffier vor 30 Jahren als junger Anwalt kennen, bei einem Scheidungsfall. Veit schaffte es auch in die große Politik, er sitzt als linker Sozialdemokrat im Bundestag. Politisch trennt die beiden alles, ganze Welten. Menschlich nicht.

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