Hessen: Koch-Porträt:Glück, Geduld und gute Gegner

Roland Koch präsentiert sich bei der Hessen-Wahl als Überlebenskünstler. Um zu siegen, muss er nur eines machen: Fehler vermeiden.

Christoph Hickmann

Es läuft jetzt, es rollt, der Bus ist kurz vor Wehrheim, der Kandidat antwortet auf die nächste Frage, und der Mann, der ihn verkaufen muss, schaut aus dem Fenster auf Felder, weiß vom Schnee. "Wunderschönes Land", sagt er halblaut, während der Kandidat über die vergangenen zwölf Monate spricht, wieder einmal. "Wunderschönes Land. Sollte man nicht den Sozis überlassen."

Hessen: Koch-Porträt: Wandlungsfähiger geht es kaum: Je nachdem, was Erfolg verspricht, kann Roland Koch in viele Rollen schlüpfen. In Zeiten der Finanzkrise ist der Wirtschafts- und Finanzfachmann gefragt.

Wandlungsfähiger geht es kaum: Je nachdem, was Erfolg verspricht, kann Roland Koch in viele Rollen schlüpfen. In Zeiten der Finanzkrise ist der Wirtschafts- und Finanzfachmann gefragt.

(Foto: Foto: dpa)

Dirk Metz grinst, ihm gefällt der Satz. Er redet dann über Windräder, die sie hier aufgestellt hätten, die Sozis und die Grünen und die von der Linkspartei, was ja wirklich nicht angehe in einer solchen Landschaft. Die Sätze erzeugen ein neues Bild im Kopf, graue Windräder im ansonsten makellosen Weiß, und Metz sieht zufrieden aus. Er sieht oft so aus in diesen Tagen, es geht ihm gut, und wenn es Dirk Metz, 52, Staatssekretär, Sprecher der hessischen Landesregierung, gut geht, dann auch dem Kandidaten: Roland Koch, 50, geschäftsführender hessischer Ministerpräsident, CDU-Landesvorsitzender, Auferstandener. Der Mann, den Metz inszeniert, dessen öffentlich wahrnehmbares Bild vor allem sein Produkt ist. Das Produkt ist wieder gefragt in diesen Tagen. Zumindest in seiner aktuellen Version.

Will man die politische Karriere des Roland Koch verstehen, muss man erst einmal Dirk Metz verstehen, was verstärkt für das vergangene Jahr gilt, weil es ein Jahr der Bilder war, mehr noch als sonst: Fall und Auferstehung, Verfehlung und Läuterung. Metz, Schnauzbart, untersetzt, immer in Bewegung, hier eine SMS, da ein Anruf in diesem Ministerium (Wo bleibt die Pressemitteilung?) oder jener Redaktion (Völlig falsche Bewertung des Ministerpräsidenten!), ist ein Mann der klaren Botschaften, griffig, gut in den Köpfen zu verankern. Er ist schnell wie kein anderer, sieht Themen, besetzt sie, spitzt sie zu. Laut, schnell, hart, so mag er das. Und genau so ist sein Chef und Freund vor einem Jahr aufgetreten.

Damals hat Metz schon einmal in einem Wahlkampfbus gesessen. Es war nicht mehr lange hin bis zur Landtagswahl, Koch gab im Bus Interviews. Die neuesten Umfrage-Ergebnisse waren gerade bekannt geworden, nach denen die SPD auf Augenhöhe mit seiner CDU lag und die Mehrheit der Hessen nicht mehr ihn als Ministerpräsidenten wollte, sondern Andrea Ypsilanti, die Herausforderin. Koch und Metz hingen mehr in ihren Sitzen, als dass sie saßen, zu allem Überfluss waren sie krank, Metz sogar so sehr, dass er mittendrin aus dem Bus ausstieg. Das hieß, dass es schlimm stehen musste, und zugleich wirkte es wie ein Sinnbild. Weil Metz zu einem guten Teil für die Lage verantwortlich war.

Sie hatten einen Sturm entfacht, Koch und er, nun konnten sie ihn nicht mehr kontrollieren. Schon zuvor war eine Mehrheit von CDU und FDP in Gefahr gewesen, und die SPD bereitete eine Mindestlohn-Kampagne vor. Dann schlugen zwei Jugendliche ausländischer Herkunft in München einen Rentner zusammen. Es gab ein Video der Tat, und es war ein Thema, wie Metz es liebt. Schwarz oder weiß, darum sollte es gehen, Abscheu auf der einen Seite und auf der anderen viel zu verständnisvolle Gutmenschen. Es gab dann aber doch ein paar Schattierungen.

Was folgte, war der Verlust von zwölf Prozentpunkten bei der Wahl und ein Jahr, das Koch heute als "emotionale Achterbahnfahrt" beschreibt. Es folgte Ypsilantis erster Anlauf Richtung Rot-Grün-Rot, ihr erstes Scheitern und seine erste Rettung. Vor dem Scheitern von Versuch Nummer zwei hatte Koch schon den Auszug aus der Staatskanzlei vorbereitet, er zeigt heute gern Handyfotos von leeren Regalen. Seine Partei aber stand hinter ihm, ihre Geschlossenheit brachte die Gegner zur Verzweiflung.

Nun ist Koch wieder da, es sieht danach aus, dass seine CDU am Sonntag die Landtagswahl gewinnt. Er muss gar nicht viel tun in diesem Wahlkampf; es geht nur darum, keinen Fehler zu machen, während die SPD am Boden liegt. In seinen Reden spricht er über deren gebrochenes Versprechen, nicht mit der Linkspartei zusammenzuarbeiten, er geißelt die Beschlüsse des nie in Kraft getretenen rot-grünen Koalitionsvertrags, redet über Verbesserungen in der Schulpolitik und die Wirtschaftskrise. Er tut nichts, woran man Anstoß nehmen könnte.

Es fragen deshalb jetzt viele Leute, welcher Koch denn nun der echte sei. Derjenige, der damals einen Anstandskatalog für ausländische Mitbürger veröffentlichte - oder jener Koch, der nun beinahe väterlich von den Plakaten lächelt und das Gefühl vermittelt, dass dieses Land bei ihm letztlich doch in guten Händen sei. Das Problem dabei ist, dass schon die Frage in die falsche Richtung führt. Weil es einerseits Roland Koch gibt und andererseits das öffentliche Bild von Roland Koch. Stets so inszeniert, wie es gerade passt.

Glück, Geduld und gute Gegner

Der Bus hält, es ist die vierte Station dieses Tages, der Kandidat zieht einen grünen Parka an. Es gilt, einen Bauernhof zu besichtigen, ein Standardtermin. Einen Bauernhof bauen sie in jede dieser Bustouren ein, weil das wieder gute Bilder gibt, wenn Koch Kühe streichelt oder füttert - und weil die Berichterstatter regelmäßig staunen, wie viel der vermeintliche Aktenmensch über die Landwirtschaft weiß. Es folgt dann unweigerlich irgendwann die Geschichte, wie er sich mit einem Freund in Kindertagen auf dem Hof von dessen Eltern betätigte. Jetzt steigt Koch aus dem Bus, der Hofbesitzer liest eine Begrüßung vom Blatt ab, dann geht es in den Stall. Metz steht draußen, er muss nichts tun. Die Sache läuft.

Es ist kein aufgesetztes Interesse, das Koch zeigt, wenn er über den Hof geht. Er ist bei aller Professionalität kein wirklicher Schauspieler. Man spürt das vor allem, wenn er nicht wie hier im großen Tross unterwegs ist, sondern in kleineren Gesprächsrunden sitzt und nicht alle Teilnehmer kennt. Er wirkt dann zuweilen fast unsicher, er sucht nach einem Fixpunkt, auf den er sich konzentriert. Oft ist es ein Gesicht, das er kennt und zu dem er dann redet, als sei sonst niemand im Raum. Man kann deshalb meist gut sehen, wo Schluss ist mit der Authentizität. Und wo die Inszenierung beginnt.

Anfang April wurde das wieder einmal deutlich. Der Landtag konstituierte sich, ohne dass es eine Regierungsmehrheit gab, die Pressebänke waren voll, und Koch ging zum Grünen-Fraktionschef Tarek Al-Wazir, um ihm die Hand zu schütteln. Es war die Zeit, als die Hessen-CDU über Jamaika redete, über ein Bündnis mit FDP und Grünen. Dies war das passende Bild dazu, Al-Wazir hatte Koch noch im Januar den Handschlag verweigert. Koch aber beließ es nicht dabei, via Bild am Sonntag legte er nach: Al-Wazir sei ein "intelligenter Kerl", man möge sich "auf der persönlichen Ebene".

Es war nicht seine Sprache, es wirkte künstlich, es war jene Umdrehung zu viel, die das Ganze unglaubwürdig machte. Im Wahlkampf hatte die CDU plakatiert, man müsse "Ypsilanti, Al-Wazir und die Kommunisten stoppen". Es gab wieder nur schwarz oder weiß. Irgendwo dazwischen war Koch. Wo genau, das konnte man einmal mehr nicht erkennen.

Es ist ein Januarmorgen in Frankfurt, acht Uhr, in einem Saal mit breiter Fensterfront sitzen Männer in Anzügen an runden Tischen. Der hessische Landesverband des CDU-nahen Wirtschaftsrates ist zusammengekommen, um Koch zu hören. Er hält das Mikrophon locker in der Hand und redet über das Thema dieses Winters, dieses Wahlkampfs. Sein Thema. Die Krise. Er spricht über Infrastruktur, über Autobahnen und den Frankfurter Flughafen, er spannt den Bogen über die russische Wirtschaft bis zum Vergleich der privaten Sparraten in den USA und der Bundesrepublik. Der Saal lauscht.

Es ist eine Binsenweisheit, dass Krisen erst einmal denen nutzen, die regieren, weil sie Tatkraft beweisen oder zumindest vorgeben können. Im Fall des Roland Koch kommt etwas Entscheidendes hinzu, man kann das an einem Halbsatz erkennen, den er zwischendurch einfügt. Er spricht über einen Professor, der die These vertreten hat, es gebe keine Kreditkrise. Das mache ihm Sorge, sagt Koch, "weil sich das jedenfalls mit meinem täglichen Akteneinlauf nicht deckt".

Das klingt nicht nach einem, der abstrakt Konjunkturprogramme auflegt, es klingt nach jemandem, der die Eigenkapitalstruktur jedes hessischen Mittelständlers kennt. In Kochs Reden findet man häufig solche Hinweise. "Wenn Sie, wie ich, mit vielen in allen internationalen Finanzgesellschaften dauernd sprechen", so beginnt er in Frankfurt einen Satz. Er sagt dort auch nicht "Herr Blessing", wenn er vom Commerzbank-Chef spricht, er sagt "Blessing", was suggeriert: Keine Sorge, wir kennen uns bestens.

Hier aber, vor Unternehmern, Geschäftsführern, Vorstandschefs, ist sein Auftritt nicht inszeniert; hier tut der Jurist, was er kann wie kaum ein anderer: analysieren, vom Abstrakten ins Konkrete gehen und wieder zurück. Es ist eine Art intellektuelles Muskelspiel, und es sind diese Momente, in denen man Roland Koch am nächsten kommt. Hier geht es nicht um schwarz oder weiß, sondern um alle Schattierungen eines Themas.

Hier spricht einer, der vom Gedanken des Leistungsprinzips durchdrungen ist und aus diesem Gedanken heraus Politik macht. Kühl, sachlich, wie er es für richtig hält. Und es geht nicht darum, dass er dabei stets richtig läge. Sondern darum, dass er es zutiefst ernst meint. An der Wand des Saals steht Dirk Metz und hört zu.

Er wird in diesem Saal nicht gebraucht, doch auch für die Ansprache der breiten Masse muss er den Kandidaten diesmal nicht neu erfinden. Für Koch ist es ein Glücksfall, dass diese Krise ein großes, das Land umfassendes Thema ist, eines, das sich auch für den Stammtisch eignet. Er muss deshalb in keine Rolle schlüpfen. Er muss sich nur verständlich selbst erklären. Darum geht es in diesem Wahlkampf und nicht um die wundersame Wandlung des Roland Koch. Das Produkt muss nicht dem Bedarf angepasst werden. Der Bedarf nach ihm ist einfach da.

Glück, Geduld und gute Gegner

"In Zeiten wie diesen", so hat die Hessen-CDU ihren Wahlkampf überschrieben. Das liegt einerseits nah, es geht darum, den Wunsch nach Stabilität zu bedienen. Andererseits ist es aufschlussreich. "In Zeiten wie diesen", so beginnen häufig Empfehlungen, etwas eher Unangenehmes zu tun, auf Dinge zu verzichten etwa. Wenn nun empfohlen wird, in Zeiten wie diesen Koch zu wählen, dann klingt das auch ein wenig, als müsse das Land nun eben eine sehr bittere Medizin schlucken.

Wie sehr die Krise, wie sehr das SPD-Desaster Glücksfälle für Koch sind, sieht man an den Umfragen. Die CDU steht mit 41 Prozent zwar gut da, aber nicht überragend; sie steuert vor allem deshalb so souverän auf die Regierung zu, weil die FDP blendend dasteht. Und im Vergleich mit seinem SPD-Herausforderer, dem vor zwei Monaten unbekannten Thorsten Schäfer-Gümbel, liegt Koch mit 39 zu 32 Prozent keineswegs so gut, wie man das hätte erwarten können.

Es sind Spuren geblieben aus dem vergangenen Jahr. Hinzu kommt, dass die eigentlichen Fähigkeiten dieses Mannes in normalen Zeiten so schwierig zu verkaufen sind. Dann muss einer wie Metz ran, dann kommen Dinge heraus wie die Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft vor zehn Jahren oder die Kampagne aus dem Januar 2008.

Es ist allerdings auch nicht so, dass er Koch groß drängen müsste. Weil der überzeugt ist, dass diese Sachen legitim sind, schließlich ist das Produkt ein hervorragendes: er, Roland Koch, Erster, Bester, Schnellster. Man kann es sich deshalb auch kaum vorstellen, dass er nach zehn Jahren als Ministerpräsident noch sehr lange weitermachen wird. Auch wenn er noch so oft sagt, dass etwa ein Ministerposten in Berlin nicht zur Debatte stehe.

Erst einmal musste er sich allerdings wieder hinten anstellen, was man Ende November in Liederbach besonders gut beobachten konnte. Es war noch früh am Abend, als der Versammlungsleiter feststellte, dass es keine weiteren Vorschläge für die Wahl des Direktkandidaten im Wahlkreis Main-Taunus I gab.

Das Neonlicht war grell in der mit Linoleumboden ausgelegten Halle, die Delegiertenkonferenz der örtlichen CDU lief noch nicht lang, Koch ging zum Rednerpult und sagte: "Ich möchte mich wieder als ihr Wahlkreiskandidat bewerben." Es wurde eine routinierte Rede, dann setzte er sich, in eine der mittleren Reihen, neben seine Frau Anke. Die Wahl war eine Formsache, und doch verdichtete sich in diesem Bild, wie er dort saß, als einer unter vielen, das ganze Jahr des Roland Koch. Am Ende bekam er 83 von 84 Stimmen, es gab Applaus, er nahm die Wahl an.

In seinem Umfeld erzählen sie derzeit gern, er habe in diesem Jahr mehr Demut gelernt. Man kann sich das in der Schlichtheit dieser Halle gut vorstellen. Man weiß aber auch, dass sich Demut als Politikereigenschaft bestens verkaufen lässt. Und dass sie es tun. Wenn es gerade passt.

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