Hessen: Chronik des Scheiterns:Ypsilanti, Koch und das Chaos

In einem beispiellosen Drama um Mehrheiten, Wortbrüche und Gewissensentscheidungen wird in Hessen seit knapp einem Jahr um die Macht gekämpft - mit harten Bandagen. Ein Rückblick in Bildern.

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Wer hätte das gedacht: Am 18. Januar 2009 kommt es nach nicht mal einem Jahr zur Neuwahl in Hessen. Noch überraschender ist der SPD-Spitzenkandidat: Thorsten Schäfer-Gümbel (links) fordert Ministerpräsident Roland Koch (CDU) heraus.

Wie konnte es soweit kommen? Eine klärende Rückschau.

Foto: dpa/Texte: ihe/bavo/plin/bosw

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Letzten Endes stürzte Andrea Ypsilanti über die fehlende Zustimmung innerhalb der hessischen SPD - doch ihr schärfster Gegner über viele Monate war der hessische Ministerpräsident Koch.

Mehr als ein Jahr stritten sich in Hessen CDU und SPD um die Macht - in einem in der Geschichte der Bundesrepublik wohl einmaligen Drama um Mehrheiten, Wortbrüche und Gewissensentscheidungen.

Machtkampf war für die studierte Soziologin Ypsilanti nichts Neues. Schon ihrer Wahl zur Spitzenkandidatin 2006 ...

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... geht eine monatelange Rivalität mit dem SPD-Fraktionsvorsitzende Jürgen Walter voraus. Walter drängt zunächst den Offenbacher Ex-Oberbürgermeister Gerhard Grandke zur Kandidatur. Als der sich weigert, tritt er selbst an, um Ypsilanti zu verhindern.

Es kommt zum Patt: Erst im zweiten Anlauf wird Ypsilanti beim Landesparteitag der Hessen-SPD am 2. Dezember 2006 von 175 Delegierten zur Spitzenkandidatin gewählt - bei 165 Gegenstimmen. Ein Ergebnis, das die tiefe Zerrissenheit der hessischen SPD verdeutlicht.

Jürgen Walter und Andrea Ypsilanti beim Landesparteitag am 2. Dezember 2006/ Foto: ddp

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Ypsilanti stürzt sich dessen ungeachtet in den Wahlkampf gegen Roland Koch. Sie will mit "ursozialdemokratischen" Themen punkten und fordert die Abschaffung von Studiengebühren, ein kostenloses Kindergartenjahr, Ganztagsschulen und den Verzicht auf Kernenergie. Besonders mit ihrer Unterschriftenaktion für Mindestlöhne erregt sie Aufmerksamkeit. Nicht immer jedoch ist diese positiv.

Foto: dpa/Andrea Ypsilanti zeigt in der Wiesbadener Innenstadt ein Plakat für eine Mindestlohnforderung.

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So kritisiert Wolfgang Clement, Ex-Wirtschaftsminister und SPD-Vizevorsitzender, nur wenige Tage vor der Landtagswahl Ypsilantis Energiepläne ungewöhnlich heftig. Implizit rät er sogar davon ab, seine Parteifreundin zu wählen.

Die Konsequenz für Clement ist ein Parteiauschlussverfahren. Für Ypsilanti ...

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... folgt ein spannender Wahlkampfendspurt. Ihr Konkurrent Koch zieht massive Kritik auf sich, indem er gewalttätige junge Migranten zum Thema macht und so in den Augen vieler ein Klima der Angst schürt.

Seine Strategie geht nicht auf: Am Abend des 27. Januar 2008 tritt Ypsilanti strahlend vor die Presse: Ihre SPD hat bei der Landtagswahl stolze 7,6 Prozentpunkte auf 36,7 Prozent zugelegt. Doch es reicht nicht - obwohl die bislang alleinregierende CDU um zwölf Prozentpunkte eingebrochen ist, bleibt sie knapp stärkste Partei. Mit 36,8 Prozent.

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Am Tag danach ist die Freude dennoch groß. SPD-Chef Kurt Beck gratuliert Ypsilanti im Berliner Willy-Brandt-Haus.

Beck ist es auch, der kurz darauf mit gewagten Gedankenspielen Aufsehen erregt. In kleiner Runde in Hamburg erklärt er am 18. Februar, eine rot-grüne Minderheitsregierung in Hessen unter Duldung der Linkspartei sei durchaus möglich. Es folgt eine heftige Kontroverse - und am 28. Februar ein Beschluss des SPD-Parteivorstands, der den Landesverbänden freie Hand für das Bilden von Mehrheiten gibt.

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Wie soll das Land künftig regiert werden?

"Es bleibt definitiv dabei: Mit der Linkspartei wird es keine Zusammenarbeit geben - weder so noch so" - das hatte Ypsilanti noch am 17. Januar in einem Interview wörtlich gesagt.

Nun ist die Situation jedoch noch vertrackter als befürchtet. CDU und SPD haben jeweils 42 Sitze im Landtag. Die FDP hat 9,4 Prozent der Stimmen bekommen (elf Mandate), die Grünen 7,5 Prozent (neun Mandate) und die Linke 5,1 Prozent (sechs Mandate).

Die Sozialdemokraten favorisieren eine Ampelkoalition mit Grünen und Liberalen - doch letztere sperren sich. Immer stärker rückt die Linkspartei von Spitzenkandidat Willi van Ooyen als möglicher Königsmacher in den Mittelpunkt.

Willi van Ooyen im Fraktionssitzungssaal der Hessen-SPD/Foto: dpa

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Am 4. März ergreift Ypsilanti wieder die Initiative. Entgegen ihrer bisherigen Versprechen will sie sich mit den Stimmen der Linkspartei wählen lassen. Ministerpräsident Koch abzulösen sei schließlich ein zentrales Wahlziel gewesen.

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Auftritt Dagmar Metzger: Über Nacht erreicht die SPD-Abgeordnete aus Darmstadt deutschlandweite Bekanntheit - denn sie weigert sich, den Kursschwenk mitzumachen.

Ihre Familie habe einst unter der SED-Diktatur in der DDR gelitten, erzählt sie. Folgerichtig werde sie Ypsilanti ihre Stimme verweigern, sollte diese sich mit Hilfe der Linkspartei wählen lassen. Die Nachricht kommt einer Katastrophe für Ypsilanti gleich: Ohne Metzger hätte das rot-rot-grüne Lager nur eine einzige Stimme mehr als Schwarz-Grün.

Am Verhalten der "Rebellin" scheiden sich die Geister, nicht nur in der SPD: Handelt es sich um eine legitime Gewissensentscheidung oder um egozentrischen Boykott eines Mehrheitswunsches?

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Es folgen schwierige Tage für Metzger, die teils scharf angegriffen und zum Umdenken aufgefordert wird. Am Ende muss aber Ypsilanti nachgeben - und kündigt am 7. März nach einem Gespräch mit Metzger an, es nun doch nicht auf die Abstimmung ankommen zu lassen.

Stattdessen vereinbaren SPD, Grüne und Linkspartei einen Zeitplan für weitere Verhandlungen.

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Eine große Koalition mit Roland Kochs CDU kommt für die hessischen Genossen weiter nicht in Frage.

Ypsilanti verkündet am 29. März bei einem Sonderparteitag der Landespartei in Hanau, "zu gegebener Zeit" einen neuen Anlauf zur rot-grünen Minderheitsregierung zu starten. 98 Prozent der Delegierten stimmen für ihren Kurs.

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Alles ist in der Schwebe, als am 5. April der neue hessische Landtag zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentritt.

Als geschäftsführender Ministerpräsident bleibt Koch bis auf weiteres im Amt. SPD und Grüne versuchen, gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Ypsilanti und der Vorsitzende der Grünen, Tarek Al-Wasir, posieren mit roten und grünen Papierherzen - das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.

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Im Juni feiern Sozialdemokraten und Grüne ihren ersten großen Erfolg im Landesparlament: Zusammen mit den Abgeordneten der Linkspartei stimmen sie für die Abschaffung der Studiengebühren, die seit dem vergangenen Wintersemester erhoben werden.

Ein harter Schlag für die CDU. Ministerpräsident Koch weigert sich zunächst noch, das Gesetz zu unterzeichnen - wegen Fehlern im Text. Nach einigen Verwicklungen setzt sich die rot-rot-grüne Interessensgemeinschaft am 17. Juni dennoch durch - zum 1. Juli tritt die Aufhebung der Studiengebühren in Kraft.

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Ein Machtwechsel in Wiesbaden bleibt weiter Thema. Ende August beraten die hessischen Linken bei ihrem Parteitag, ob und unter welchen Bedingungen sie die Ypsilanti zur Ministerpräsidentin wählen sollen. Am Ende steht der Beschluss fest: Ja zu einem Regierungswechsel mit Rot-Grün.

Die hessische Landesvorsitzende der Linkspartei, Ulrike Eifler, am 30. August nach ihrer Wiederwahl/ Foto: dpa

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Das Projekt Machtwechsel gewinnt im Spätsommer wieder an Dynamik. Anfang September formuliert der SPD-Parteirat Forderungen an die Linke - dazu gehört Verlässlichkeit. Zwischen dem 4. und dem 18. September finden in Hessen vier SPD-Regionalkonferenzen statt, bei denen über die mögliche Kooperation diskutiert wird - überall billigt die Basis mehrheitlich Ypsilantis Kurs.

Unterdessen trifft sich die Landeschefin zum ersten Meinungsaustausch zwischen ihrer Fraktion und dem Vorstand der Linken.

Am 30. September wagen SPD, Grüne und Linkspartei Probeabstimmungen zu einer Wahl Ypsilantis - erfolgreich.

Anfang Oktober beim Sonderparteitag der Hessen-SPD geht es hoch her. Draußen wird demonstriert, doch drinnen fällt am Ende eine eindeutige Entscheidung: 335 Delegierte stimmen für die offizielle Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit den Grünen und Tolerierungsgesprächen mit der Linkspartei. Nur sieben Personen stimmen mit Nein, es gibt eine Enthaltung.

Ypsilanti räumt in ihrer Rede Fehler ein - doch ihr Ziel bleibt klar.

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In den folgenden Wochen verhandeln SPD und Grüne - bis in der Nacht zum 24. Oktober endlich der Koalitionsvertrag steht.

Andrea Ypsilanti und Tarek Al-Wazir/ Foto: ddp

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Ein Machtwechsel in Wiesbaden erscheint immer wahrscheinlicher. Die Gegenseite schlägt zurück.

Die hessische CDU sieht im Koalitionsvertrag von SPD und Grünen unter anderem eine Gefahr für den Ausbau des Frankfurter Flughafens - dieser soll dem Vertrag zufolge aufgeschoben werden.

Die Liberalen starten eine Postkartenaktion mit der Forderung nach Neuwahl. Der Landesvorsitzende der Liberalen, Jörg-Uwe Hahn, beruft sich auf Umfragen, denen zufolge ganze 72 Prozent der Hessen eine rot-grüne Regierung, die von der Linkspartei gestützt wird, ablehnen.

Und auch bei den Sozialdemokraten ...

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... ist längst nicht alles geklärt.

Mit ihrem Stellvertreter Walter befindet sich Ypsilanti weiter in einer Dauerfehde - vielen gilt er als Risiko. Wird er zustimmen oder am Ende noch einmal Stimmung machen gegen ihren Weg zur Macht? In den vergangenen Monaten hat er sich zu oft widersprüchlich geäußert.

Beim Parteitag in Fulda ...

Andrea Ypsilanti und Jürgen Walter im Dezember 2006/ Foto: ddp

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... am 1. November lässt Walter tatsächlich vor mehreren hundert Delegierten die Bombe platzen. "Ich habe diesen Koalitionsvertrag nicht unterschrieben, ich werde ihn nicht unterschreiben, und ich werde gegen diesen Koalitionsvertrag stimmen." Der endgültige Bruch mit Ypsilanti? Die Mehrheit der hessischen Genossen ...

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... hat im Gegensatz zu Walter offenbar endgültig genug von der Regierung Koch - und ist bereit, für den Machtwechsel den hohen Preis der Duldung durch die Linkspartei zu zahlen.

Ypsilanti sieht keine Alternative: Der Koalitionsvertrag sei "kein Wunschkonzert", aber er "mutet uns keine schmerzlichen Abstriche von unserem Politikprogramm zu, wir können das mit großem Selbstbewusstsein vertreten".

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Am 3. November schließlich die Hiobsbotschaft für Ypsilanti: Vier Abgeordnete kündigen an, ihr am folgenden Tag ihre Stimme zu verweigern: Dagmar Metzger, Jürgen Walter, Silke Tesch und Carmen Everts. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz erläutern sie ihren Beschluss - es handle sich um Gewissensentscheidungen.

Die Abstimmung im Landtag und die Kür zur Ministerpräsidentin platzen damit, ...

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... und es schlägt nach allem Auf und Ab schließlich doch noch die Stunde für Neuwahlen.

Im Landtag beschließen Anfang November alle fünf Parteien die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen für den 18. Januar. Kurz darauf wird bekannt:...

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...Andrea Ypsilanti verzichtet bei den vorgezogenen Landtagswahlen in Hessen auf die Spitzenkandidatur. Neuer Herausforderer von Ministerpräsident Roland Koch (CDU) wird der Landtagsabgeordnete Thorsten Schäfer-Gümbel.

Diesmal wollen sich die Sozialdemokraten auf keinerlei Koalitionsaussagen mehr festlegen. Die CDU würde am liebsten mit der FDP regieren. Klar ist nur: Alle wollen klare Verhältnisse, eine stabile Regierung und damit das Ende der "hessischen Verhältnisse".

Foto: dpa Texte: ihe/bavo/plin/bosw

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