Helmut Schmidt zum 85.:Die Macht und die Ohnmacht

Kanzler und Abkanzler, Wegbereiter des Euro und Kritiker der Europa-Politik, Publizist und Journalisten-Verächter - Helmut Schmidt blickt zurück auf sein Leben als Politiker: "Wie auch immer Sie entscheiden, kann es schlecht ausgehen". Mit Bildergalerie

Von Evelyn Roll

Hamburg, im Dezember - Es ist dieses Lachen. Ein Lachen mit zusammengebissenen Zähnen. "Um Gotteswillen, hören Sie doch auf", sagt Helmut Schmidt, wenn man ihn fragt, ob er sich am Morgen die Bundestagsdebatte im Fernsehen angesehen hat. Nicht einmal die Haushaltsdebatten schaut er sich noch an? "Die habe ich mir doch auch schon nicht mehr angetan, als ich noch im Parlament war." Und dann muss er selber lachen.

Helmut Schmidt zum 85.

Mischt sich auch mit 85 noch ab und an in die politsche Debatte ein: Altbundeskanzler Helmut Schmidt

(Foto: Foto: dpa)

Helmut Schmidt lacht nicht oft, und es ist dann auch immer nur ein kurzer Moment. Aber man muss sofort denken: Das ist es, so war er, so ist er, so wie dieses Lachen muss sein Leben gewesen sein: Zähne zusammenbeißen und durch. Selbstbewusst lachend diesem Leben die Zähne zeigen, das schon, aber immer nur schön fest zusammengebissene Zähne. Dieses Lachen gehört zu dem Mann, den sie Schmidt-Schnauze nannten, wie der akkurate Links-Scheitel im immer noch vollen Haar, den er genau so schon mit 14 Jahren hatte. Man würde sich nicht einmal wundern, wenn er nachher im Rausgehen zur Prinz-Heinrich-Mütze greifen und das ewig zu kurze blaue Trenchmäntelchen der Siebzigerjahre anziehen würde.

Und mit den 68iger Zauseln oder den androgynen Frisurexperimentierern der Beckham-Generation sollte man einmal diskutieren, was es bedeutet, wenn ein Mann seinen Haarschnitt ein langes Leben lang nicht ein einziges Mal ändert. Und sein Lachen schon gar nicht.

Damals mit Loki

Sein Büro liegt im sechsten Stock des Gebäudes am Hamburger Speersort, in dem die ZEIT ihre Redaktionsräume hat. Wenn Helmut Schmidt sich hinsetzt, kann man sehen, dass er Schmerzen hat in der Brust. Man sieht auch, wie sehr er möchte, dass man es nicht sieht. Helmut Schmidt legt das blaue Emaillekistchen mit den 15 oder 20 Menthol-Zigaretten, die er sich für unser Gespräch offenbar genehmigt hat, neben die Schnupftabakdose für zwischendurch.

Der ZEIT-Redakteur Michael Schwelin, der die lesenswerteste der drei zuletzt erschienenen Schmidt-Biographien geschrieben hat, erzählt, wie Schmidt nach seinem schweren Herzinfarkt und der multiplen Bypassoperation im August 2002 an einem Freitag im Oktober schon wieder in der Politik-Konferenz saß, als wäre nichts gewesen. Die Redakteure fürchteten, er könnte jetzt die Sammlung von Nachrufen lesen wollen, die sie schon bestellt und vorbereitet hatten. Er aber zündete sich gut gelaunt eine Mentholzigarette an und ging zur Tagesordnung über.

Mit zehn Jahren haben Loki und Helmut ihre erste Zigarette geraucht. Da hatten sie sich gerade in der Sexta kennen gelernt. Es gibt ein Foto aus diesem Jahr 1929, von einem Kindergeburtstag. Helmut zielt pfiffig mit einer Spielzeugpistole an Loki vorbei. Loki ist mehr als einen Kopf größer als er. Schmidt sagt: "Sie hat die großen Jungs verhauen.

Sie war die Stärkste in der Klasse." Er war der Kleinste, der kleene Schmidt, wie sie ihn nannten. Loki sagt: "Man konnte so schön mit ihm streiten." Der Kleinste war eben auch der Frechste, noch nicht Schmidt-Schnauze, aber schon Schmidtchen, das Schnack-Fass.

Helmut Schmidt sagt, er sei jetzt beinahe vollständig taub. "Bitte sprechen Sie also langsam und deutlich. Ich kann trotz dieses Apparates in meinem Ohr nur etwa jedes zweite Wort hören, und das Kombinieren dauert manchmal ein bisschen. Mein Computer ist nun einmal nicht von Siemens, sondern vom lieben Gott."

Früher wollte er immer, dass man sich rechts von ihm setzte, weil sein linkes Ohr kriegsbeschädigt sei und nicht mehr funktioniere. "Man stand als Artillerist ja rechts vom Geschütz, und damals wusste noch keiner, dass man dazu eigentlich einen Hörschutz braucht." Seit 1999 und einem Ereignis, das die Mediziner Hörsturz nannten, ist dann das gesunde, rechte Ohr von einem Tag auf den anderen vollkommen ausgefallen. Heute muss man also links von ihm sitzen.

Das Schlimmste ist, sagt er, dass er keine Musik mehr hören kann. Das nennt er die Tragödie seines Alters. Mit 17 hat er 20 Kinderlieder als vierstimmige Choräle gesetzt. Noch als Bundeskanzler, im Dezember 1981, hat er mit Justus Frantz und Christoph Eschenbach Mozarts Konzert für drei Klaviere aufgenommen.

Heute tun ihm Konzerte in den Ohren weh. Er hört dann nur noch Lärm. Wenn sich Schwerhörigkeit der Taubheit nähert, sagen die Experten, hilft auch das beste Hörgerät nicht mehr. "Aber das gehört gar nicht zu unserem Gespräch; ich möchte keine Krankengeschichte zum Besten geben." Nur eine Frage noch: Klavierspielen, geht das? - "Ich kann Klavier spielen", sagt er, "aber ich kann es nicht hören. Ich weiß, was Sie hören, wenn ich spiele, aber für mich selber hört es sich schlimm an. Ich schalte das Hörgerät dann aus oder nehme es raus."

So ein Gespräch mit Helmut Schmidt hat etwas von einem Kampf. Er, der große Staatsmann, Weltökonom und ZEIT-Herausgeber, der unermüdliche Produzent gescheiter Artikel und Bücher, die meistens zu Bestsellern werden, möchte einerseits zu seinem 85. Geburtstag natürlich noch einmal festgehalten wissen, wie bedeutend seine Lebensleistung ist, sein Verdienst um die Abrüstung und um Europa, sein Wissen, seine analytische Fähigkeit, und auch, wie erstaunlich scharf, schnell, genau und witzig er trotz seiner dramatischen Schwerhörigkeit noch denkt und antwortet.

Andererseits aber will er möglicherweise auch vorführen, dass ihm dieser ganze Geburtstags- und Beweihräucherungskram lästig ist, dass er doch eigentlich immer nur seine Pflicht getan hat und ein anständiger Kerl geblieben ist. Wobei man sich das "st" in anständig natürlich hanseatisch ausgesprochen denken muss.

Vielleicht will man selbst dem alten Herrn ja auch etwas beweisen, zum Beispiel, dass man sich von den 85 Jahren, dem imponierenden Leben, dem Charisma des Machers nicht einschüchtern lässt, und auch nicht von der bekannten Arroganz, Schroffheit und Ungeduld. Helmut Schmidt hat allerdings, gemessen an dem, was andere über ihn berichten, offenbar eine höfliche Beißhemmung gegenüber Frauen, sogar, wenn sie keine Wirtschaftsexperten sind und ihm nicht wirklich Vorschläge machen können, wie es in München mit der Bayrischen Landesbank und der HypoVereinsbank weiter gehen soll.

Reden wir also über etwas anderes. Europa. Das macht ihm, dem Wegbereiter des Euro, große Sorge. Er selbst, sagt er, hätte ja auch niemals eine Erweiterung um 12 oder 13 Mitglieder ins Auge gefasst. Als Schüler von Jean Monet sei er es, wie sein Freund Giscard d'Estaing, gewohnt gewesen, schrittweise vorzugehen: "Wir haben ja auch den Euro nicht aus dem Hut gezaubert, sondern wir haben den europäischen Währungsverbund geschaffen, aus dem sich der ECU ergeben hat, eine gemeinsame Währung, die nur auf dem Papier stand. Erst daraus konnte sich die gemeinsame Währung ergeben.

Ein Schritt nach dem anderen. Und jetzt haben große Staatsmänner dreizehn Schritte auf einmal tun und gleichzeitig auch noch die Verfahren und Institutionen ändern wollen. Das haben sie aber nicht hinbekommen. Von 1992 bis in die Gegenwart haben sie es nicht fertig gebracht, die Organe der Europäischen Union so zu verändern, dass sie auch bei 25 Mitgliedern funktionsfähig bleiben."

Und dann sagt er: "Wir haben es da mit einer Zusammensetzung von Außenministern und Regierungschefs oder Staatschefs zu tun, von denen die größere Zahl Dilettanten sind, was die Europapolitik angeht. Große, erfahrene Taktiker und Wichtigtuer in der Innenpolitik, aber in Sachen europäischer Integration Dilettanten."

Helmut Schmidt wurde sechs Wochen nach dem Ende des ersten Weltkrieges geboren. Er war acht Jahre Soldat. Genau so lange, wie er später Bundeskanzler sein sollte. Er kennt "die Scheiße des Krieges". Er hatte sich vorzeitig zum Wehrdienst gemeldet in der Hoffnung, anschließend das geplante Architekturstudium nicht mehr unterbrechen zu müssen. Dann hat "die Scheiße des Krieges" ihn erwischt.

Er sagt das immer und immer wieder so: Die Scheiße des Krieges. Und er teilt die politischen Akteure der Welt auf in diejenigen, die so etwas erlebt haben, und in die anderen, die "mit größerer Unbefangenheit und Naivität an die politischen Aufgaben rangehen". Und das macht schon den Unterschied? "Ja, George W. Bush ist nicht in Vietnam gewesen, der weiß also gar nicht, was Krieg ist. Jack Kennedy wusste das noch."

Wenn Helmut Schmidt solche Sachen sagt, soll es klingen wie: es kann einer sich nur richtig für den Frieden einsetzen, der weiß, was Krieg bedeutet. Frieden bewahren ist der Hauptantrieb für Helmut Schmidts Politik gewesen, auch für seine Europapolitik, und erst recht für den Nato-Doppelbeschluss, mit dem er die Gefolgschaft der SPD verlor.

Aber es klingt auch immer ein wenig so, als sei in Schmidts Augen einer, der nicht Soldat gewesen ist, sowieso kein richtiger Kerl. Kein wirklicher Macher wie er. Auch das mag zur Entfremdung der 68iger und des größeren Teils der Brandt'schen SPD vom Kanzler Helmut Schmidt beigetragen haben. Schmidt war überzeugt, dass die Wehrmacht die einzige anständige Organisation im Dritten Reich gewesen ist. Auf die Wehrmachtsausstellung hat er später mit den klassischen Mechanismen der Verdrängung reagiert: Er jedenfalls habe so etwas nie erlebt.

"Und keiner merkte es"

Er hat gelernt, seine Gefühle zu beherrschen. Aber nie, Gefühle zu zeigen. Loki Schmidt hat einmal gesagt: "Das kommt, weil er als Kind nie in den Arm genommen worden ist." Auf einem Foto, auf dem er 1943, mit 25 also, bei einem Heimaturlaub am Strand von Kühlungsborn mit Loki in die Kamera strahlt, hat er es schon, dieses Lachen mit den fest zusammengebissenen Zähnen.

Sein jüngerer Bruder Wolfgang hat dem Schmidt-Biographen Hartmut Soell erzählt, was außer dem Krieg dazu beigetragen haben mag. Der Bruder nennt es die Brachialpädagogik des Vaters. Die beiden sind regelrecht und regelmäßig verprügelt worden, mit einem Meerrohr, das "der Gelbe" hieß. Und dann musste der junge Helmut Schmidt ja auch noch vor der Nazi-Welt geheim halten, dass sein richtiger Großvater Jude war. Nicht einmal mit seinem Vater konnte er darüber sprechen. Zähne zusammenbeißen und ab ins Stahlgewitter.

Helmut Schmidt verachtet die ständige Beschäftigung der Deutschen mit sich selbst. Die psychologischen Schlüsselbegriffe der 68er, Aufarbeitung, Trauern und Bewältigung, sind ihm fremd, vielleicht sogar zuwider. Auch das wird sein Verhältnis zu den übergefühlig sich selbst bespiegelnden 68ern so kompliziert haben. "Le Feldwebel" nannten ihn dafür zur RAF-Zeit die Linken in Frankreich. Und sein Regierungssprecher Klaus Bölling erzählt, wie oft Herbert Wehner geraunzt habe: "Sagen Sie Ihrem Herrn Oberleutnant doch bitte..."

Schmidt hält das viel beschriebene Schweigen zwischen der Kriegsgeneration und ihren Kindern bis heute für eine "schlimme Erfindung der 68er". Wenn man allerdings liest, was seine 1947 geborene Tochter Susanne anmerkte, als Schmidt ihr den Entwurf für seinen "Politischen Rückblick auf eine unpolitische Jugend" vorlegte, könnte man auf die Idee kommen, dass dieser Konflikt sich auch im Hause Schmidt abgespielt haben könnte.

Sie schrieb: "Das Nicht-Wissen oder Nicht-Wissen-Wollen über die Judenfrage kommt entschieden zu kurz." Dass Oskar Lafontaine von Schmidts Sekundärtugenden sprach, mit denen man auch ein KZ betreiben könne, hat Schmidt nie verziehen. Vor der Bundestagswahl im November 1990 hat er sich gerächt, als er in einem Interview sagte, Lafontaine werde die Wahl verlieren, und zwar zu Recht.

Man spürt in Gesprächen mit Journalisten, die damals dabei gewesen sind, dass ihnen ein wenig unheimlich ist, wie beliebt dieser Helmut Schmidt trotz oder gerade wegen alledem inzwischen in Deutschland ist und dass die meisten ihn für den "weisesten Deutschen" halten. Sie wittern dahinter falsche Führungssehnsucht. Aber vielleicht ist es nur die Sehnsucht nach richtiger Führung.

Auch bei der Interpretation der in die Schmidt-Ära fallenden RAF-Zeit gibt es zwei Schulen: Die einen, die meinen, Schmidts Überdosis an staatlicher Strenge habe die so genannte zweite Generation der Terroristen geradezu gezüchtet. Und die anderen, die sich vorstellen, wie laut ein sozialdemokratischer Bundeskanzler als Vaterlandsverräter beschimpft worden wäre, der nachgiebiger reagiert hätte.

Schmidt sagt, dass Entscheidungen, wie er sie bei der Schleyer-Entführung oder bei der Befreiung der Landshut in Mogadischu habe treffen müssen, immer Züge einer griechischen Tragödie hätten: "Wie auch immer Sie entscheiden, kann es schlecht ausgehen." Spricht er deswegen vom "schlimmen Amt", wenn er an seine Kanzlerzeit denkt?

Bevor er darauf antwortet, erzählt Helmut Schmidt erst einmal, dass Schleyer, Mogadischu und der Nato-Doppelbeschluss keinesfalls die einzigen schweren Entscheidungen seiner Amtszeit gewesen sind. Zum Beispiel habe er in den Jahren 1969 und 1970 als Verteidigungsminister immerhin verhindert, dass in Deutschland ein Gürtel von atomaren Landminen verlegt wurde.

Zum Glück sei der amerikanische Verteidigungsminister Melvin Laird, bei dem Schmidt mehr oder weniger zufällig von diesen Plänen der Nato erfuhr, Soldat im Zweiten Weltkrieg gewesen. "Also konnte er auch verstehen, als ich ihm sagte: In dem Augenblick, wo so ein Ding hochgeht, heben sämtliche deutschen Soldaten die Hände hoch. Das können wir nicht machen. Der hat das sofort eingesehen. Wir haben das dann ganz still gemeinsam beerdigt. Und keiner von Euch hat es gemerkt." Von Euch Journalisten.

Mit diesem Satz kommt plötzlich ein schneidend-arroganter Tonfall in Helmut Schmidts Stimme, ein Tonfall, an den sich die Älteren noch erinnern. Plötzlich ist er nicht mehr so sehr der Publizist und Herausgeber der ZEIT, sondern der alte Journalistenverächter Schmidt-Schnauze: "Wenn es einer von Euch gemerkt hätte, hätte die New York Times eine Riesenstory daraus gemacht und hätte die amerikanische Administration aufgeputscht gegen die Germanskis. Dann wäre was Dickes daraus geworden."

Oder 1972, als er mit seinem Freund Karl Klasen, damals Chef der Bundesbank, der Meinung war, man könne die D-Mark nicht unter US-Druck aufwerten. Das war auch eine schwere Entscheidung. Immerhin musste Finanzminister Karl Schiller zurücktreten, sein Nachfolger hieß Helmut Schmidt. Der ließ die D-Mark in kleinen Portionen aufwerten und rief den ECU ins Leben: "Giscard und ich haben nach Ausscheiden aus unseren Ämtern das europäische Komitee für die Schaffung einer gemeinsamen Währung gebildet, das dann zum Euro geführt hat." Die Entscheidung sei 1972 unter Willy Brandts Vorsitz im Kabinett gefällt worden, aber Brandt selbst habe keine Meinung dazu gehabt, weil das über seinen Urteilshorizont hinaus ging.

Willy Brandt und Helmut Schmidt: Noch eine griechische Tragödie. Die Geschichte einer Entfremdung ist oft erzählt worden. Er habe am Ende mit Brandt seinen Frieden gemacht, sagt Schmidt. Andere sagen es so: Die beiden haben sich kurz vor Brandts Tod verständigt, nicht übereinander zu reden.

In seinen Kanzlerjahren, 1974 bis 1982, litt Helmut Schmidt unter schweren Herzrhythmusstörungen. Immer wieder ist er in Ohnmacht gefallen. "Stress, etwas im Gehirn oder im Sinusknoten, die Ärzte wussten es nicht", sagt er heute. Im Wendejahr 1981 musste ihm der erste von inzwischen vier Herzschrittmachern eingesetzt werden, die Rhythmusstörungen hätten ihn sonst umgebracht.

Wenn man aber versucht, psychosomatische Zusammenhänge herzustellen, wenn man auch nur fragt, ob er mal darüber nachgedacht habe, wieso einer ausgerechnet in Zeiten der größten Macht immerzu ohnmächtig wird, dann sagt Helmut Schmidt schnell: "Ach was, nein, nein. Hören Sie auf. Das wäre eine unzulässige Deutung."

Und Gerhard Schröder? Meinen Sie, der spürt den Druck des schlimmen Amtes auch? "Das können Sie doch auf seinem Gesicht sehen. Der muss ja außerdem auch noch jede Woche zigmal mit dem Flugzeug hin und her reisen. Diese Ubiquität, die heute verlangt wird, macht alles noch schlimmer, als es früher war."

Kommt Gerhard Schröder zu ihm? Berät der sich mit ihm? "Darüber will ich nichts sagen. Der Zufall will es so, dass er übermorgen hierher kommt." Was auch eine wunderbare Antwort ist, je länger man sie betrachtet.

Es ist ja oft als eine der Schlüsselszenen in Gerhard Schröders Leben beschrieben worden, wie er als Juso-Vorsitzender zum ersten Mal zu Schmidt durfte und mitbekam, wie der minutenlang ins Telefon brüllte. Anschließend habe Schmidt sich bei dem jungen Besucher beschwert: "Dass man diesen Arschlöchern immer die Welt erklären muss." Das eben sei der Breschnew gewesen, davor habe er mit Carter gesprochen, mit dem es genauso schlimm sei. Es heißt, Schröder habe damals beschlossen, sich Schmidt zum Vorbild zu nehmen.

Tief in seinem Inneren

An einer Stelle im Interviewbuch, das Sandra Maischberger vor einem Jahr mit Helmut Schmidt gemacht hat, sagt sie: Eines der Klischees über Sie ist das der Arroganz. Man sagt, Sie seien arrogant gegenüber denen, die nicht so intelligent sind wie Sie, und das sind dann doch eine ganze Menge. Schmidt antwortet: "Und was ist die Frage?"

Er kokettiert mit seiner Arroganz, er spielt den Grafen Douglas, sagen die, die ihn gut kennen. Es sei für ihn ein Mittel der Distanz. Aber er hat mit seinem Kasernenhofton, seinen Zack-Zack-Anweisungen auch oft Menschen verletzt. Meistens war es Loki Schmidt, die anschließend ausgeglichen und getröstet hat.

Draußen im Flur hängt neben dem Portraitfoto von Gerd Bucerius jetzt auch eines von Gräfin Dönhoff, die kurz vor ihrem Tod über Helmut Schmidt gesagt hat: "Er ist der verlässlichste Freund. Ich konnte ihn jederzeit, auch tief in der Nacht, anrufen, er war immer für mich da - aber was ihn tief in seinem Inneren bewegt, habe ich nie erfahren."

Loki Schmidt wird die einzige sein, die es weiß. Abends, bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde für Uwe Seeler, sitzen die beiden, die wir schon vom Foto aus dem Jahr 1929 kennen, nebeneinander in der ersten Reihe. Loki Schmidt hat erklärt, dass sie neuerdings, wenn sie getrennt sein müssen, jeden Abend miteinander telefonieren, "ob der andere noch da ist". Loki Schmidt weiß auch, dass er möglicherweise nicht verstanden hat, warum plötzlich alle lachen und dass Uwe Seeler gerade von der Rednertribüne aus seiner Frau im schönsten Hamburgisch gesagt hat: "Du warst für mich mein tollster Treffer, den ich je geschossen habe."

Weil Helmut Schmidt links von seiner Frau sitzt, muss er sein Gesicht ganz nah zu ihrem Mund drehen, wenn sie ihm etwas ins linke Ohr sagen soll. Und das sieht dann jedes Mal so aus, als würde der Mann, der gelernt hat, seine Gefühle nicht zu zeigen, ein wenig schmusen mit der Frau, die ihn seit 75 Jahren kennt.

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