Helmut Schmidt:Hamburg trauert um seinen bekanntesten Bürger

Der Zeitungsjunge von 1974 bringt zum letzten Mal das Abendblatt. Die Trauerfeier soll im Michel stattfinden.

Von Peter Burghardt, Hamburg

Am Tag eins ohne Helmut Schmidt fällt feiner Regen auf Hamburg, und die Stadt trägt dezente Trauer. Hanseatisch, wie es sich für den Verstorbenen und seine Heimat gehört. Flaggen wurden rasch auf halbmast gesenkt und mit schwarzem Stoff versehen, als am Dienstag um 15.15 Uhr die Meldung von seinem Tod eintraf. Die 1,7 Millionen Bewohner waren ja vorbereitet gewesen. Die geschäftige Routine zwischen Alster, Elbe und zahlreichen Baustellen geht weiter, aber die Kondolenz kommt von sehr weit weg und ganz aus der Nähe. Das Gefühl des Abschieds beginnt an einem Gartentor aus Holz, in dem neben Rosen am Mittwochmorgen standesgemäß auch eine Zigarette steckt.

Dahinter lebte seit den Sechzigerjahren der Staatsmann und Kettenraucher Schmidt, in einem schlichten Klinkerbau am Neuberger Weg im Viertel Langenhorn. Und hier starb der frühere Bundeskanzler im Alter von 96 Jahren, wie 2010 seine Frau Loki. Daheim im Hamburger Norden. Sehr friedlich und entspannt sei er eingeschlafen, berichtet sein Arzt und Freund Heiner Greten. Der Internist war zusammen mit Schmidts Tochter Susanne, dessen Lebensgefährtin Ruth Loah und einem Pfleger-Ehepaar aus Polen bis zum letzten Atemzug in seiner Nähe. Der Gartenzaun vor dem Flachbau verwandelte sich dann über Nacht in einen Schrein mit Blumen, Kerzen, Bildern und Botschaften.

Der Zeitungsjunge von 1974 bringt zum letzten Mal das Abendblatt

Ein wohl nicht so gut gemeintes Schriftstück erinnert an Schmidts Zeit als Offizier der Wehrmacht im Krieg. Der Rest sind Zeichen der Dankbarkeit für einen Weltenlenker, der stets der Nachbar mit der Schiffermütze geblieben war. "Sehr geehrter Herr Schmidt, meine Familie und ich werden Sie niemals vergessen", verspricht ein verwaschener Zettel. "HH sagt tschüss", ist auf einem Plakat zu lesen, mit Herz und einem stilisierten Bild des Ehepaars Loki und Helmut.

In Hamburg sind das Gefühlsausbrüche. Ein Handwerker mit Zollstock in der Latzhose kommt vorbei, eine junge Frau mit Kinderwagen, Polizisten und Reporter wachen. Und ehe man all die Reaktionen aus der großen und kleineren Politik erwähnt, sei Ralf Heine genannt, der einst die Nachrichten an die Tür trug.

Der Zaungast Heine befestigt nun an diesem grauen Vormittag eine Klarsichthülle mit maschinengeschriebenem Papier an dem improvisierten Wallfahrtsort. "Hier schreibt Ihnen Ihr Ex-Zeitungsjunge Ralf Heine, Hamburger Abendblatt Tour 16, Neuberger Weg, 1974", steht darauf. Vor 41 Jahren brachte er den Schmidts als Bub das Lokalblatt und an Weihnachten einen Kalender - von Loki gab es fünf Mark Trinkgeld, ihr Gatte übernahm in Bonn gerade die Bundesregierung.

"Ich möchte Ihnen heute zum letzten Mal das Hamburger Abendblatt bringen, mit schwerem Herzen und weinenden Augen", schrieb Heine. Er erinnert sich, wie Breschnew in der Limousine kam, das Orakel von Langenhorn empfing Staatsgäste gerne zu Hause. Er weiß, dass er ein Jahr alt war, als 1962 die Sturmflut Hamburg überrollte und der Innensenator Schmidt das Desaster regelte. Er klagt, dass Schmidt bei der Flüchtlingskrise nicht mehr helfen könne. Sein Leben lang habe ihn Helmut Schmidt begleitet.

Schmidt war nie Stadtoberhaupt - und trotzdem Hamburgs Übervater

So geht es vielen Landsleuten und besonders Hamburgern, vorneweg dem SPD-Bürgermeister Olaf Scholz. Der ist auf Dienstreise in China, was insofern passt, weil das städtische Idol Schmidt die deutsch-chinesischen Beziehungen vorangetrieben hatte. "Helmut Schmidt war ein bedeutender Hamburger", sagte Scholz in Peking, er werde sehr fehlen. "Wir wollen ihm ein ehrendes Andenken bewahren, indem wir seine politischen Grundüberzeugungen in die Zukunft fortschreiben. Wie für viele war auch für mich Helmut Schmidts Rat immer besonders wertvoll."

Schmidt war zwar nie Stadtoberhaupt gewesen, obwohl einem das manchmal so vorkommt. Aber er war Hamburgs Übervater, auch wenn seine Sozialdemokratie nicht jedem Genossen gefiel. "Der Lotse geht von Bord", trauert die Hansestadt auf ihrer Website mit qualmendem Schmidt.

Die Auslandspresse steigert sich in einen Rausch der Hochachtung

Scholz' grüne Stellvertreterin Katharina Fegebank ist die Erste, die sich am Tag danach in das Buch einträgt, das zu Ehren des Toten im Rathaus ausliegt. Das Fußvolk steht in langen Schlangen an, die örtlichen Gazetten sind mit Sonderbeilagen erschienen. "Jetzt erklärt er Gott die Welt", vermutet die Hamburger Morgenpost, das mag sein. "Friede seiner Asche", wünscht derweil die taz aus Berlin mit einem Foto von Schmidts rechter Hand, Kippe und Aschenbecher. Persönlich betroffen ist die Belegschaft der Zeit, deren scharfsinniger Herausgeber und Doyen Helmut Schmidt nach seinem politischen Ausstieg war.

Die internationale Presse steigert sich unterdessen in einen Rausch der Hochachtung. "Visionär der Wirklichkeit" (Le Monde, Paris). "Methusalem der deutschen Politik" (Die Presse, Wien). "Weltökonom" (Tagesanzeiger, Zürich). "Er war das Metronom, anhand dessen, das kann man sagen, Deutschland seine Schritte maß" (Rossiijskaja Gaseta, Moskau).

Politiker in aller Welt trauern um den Freund

Aus der Ferne kondolieren Politgrößen, manche von ihnen Gefährten von damals. "Er hat die äußere Würde seines großen Land wiederhergestellt", schwärmt Frankreichs früherer Präsident Valéry Giscard d'Estaing, 89, der mit Schmidt so vertraut war wie François Mitterrand mit Helmut Kohl. Er sei "ein großer Europäer", lobt der aktuell oberste Franzose, François Hollande. Er habe bis zum Schluss Stellung bezogen, "vor allem, um den Deutschen zu sagen, welche Rolle sie zu spielen haben."

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker vermisst einen "Freund, der mir, ebenso wie Europa, fehlen wird". Der amerikanische Alt-Präsident Jimmy Carter, 91, hat "einen Freund verloren und die Welt eine kluge Führungspersönlichkeit". Keinem anderen Staatsmann habe er mehr vertraut "als Helmut", versichert in der Zeit Henry Kissinger, 92, seinerzeit US-Außenminister. Bei Schmidts 90. Geburtstag äußerte er einen Verdacht: "Kettenrauchen und Cola-Trinken sind anscheinend Schlüssel zur Langlebigkeit."

Begräbnis auf dem Ohlsdorfer Friedhof, Staatsakt

Die Trauerfeier findet in der Kirche St. Michaelis statt, dem Michel. Begraben wird Schmidt neben seiner Loki auf dem Ohlsdorfer Friedhof. In zwei bis drei Wochen soll der Staatsakt folgen. Davor oder danach entscheidet Hamburg am 29. November in einem Referendum, ob man sich um Olympia 2024 bewerben soll. Eine Uhr am Rathaus zählt die Zeit rückwärts. Auch Helmut Schmidt bekam das Wahlkuvert.

Sein ehemaliger Zeitungsjunge Ralf Heine, 55, trifft dann vor Schmidts Haus auch noch den einstigen Pastor Reiner Schulenburg, der erzählt, wie Schmidt über Honecker Krippenfiguren für die Kirche besorgt habe. So gedenken die Nachbarschaft und die Welt des Lotsen vom Neuberger Weg.

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