Helmut Schmidt auf Tournee:"Ein alter Mann ohne Einfluss"

Helmut Schmidt hat über seine Vergangenheit geschrieben - dabei ist der Altkanzler im Hier und Jetzt viel besser.

Thorsten Denkler

Claus Kleber stört das Bild, und er merkt es als Mann des Fernsehens sofort. Da steht er auf der Bühne neben dem großen alten Mann der deutschen Politik, und als sich der weiße Vorhang öffnet und den Blick freigibt auf das Duo, da steht der Moderator des "heute-journals" auf, tritt ein Stück zur Seite und weist auf seinen Gesprächspartner. Es solle nur ja kein bisschen des Beifalls für diesen Mann verlorengehen.

Helmut Schmidt auf Tournee: "Ich bin ein alter Mann ohne Einfluss", sagt Helmut Schmidt bei seiner Buchpräsentation in Berlin.

"Ich bin ein alter Mann ohne Einfluss", sagt Helmut Schmidt bei seiner Buchpräsentation in Berlin.

(Foto: Foto: ddp)

Helmut Schmidt sitzt, den Stock neben den Stuhl gelegt, und lächelt. Er wird am 23. Dezember 90 Jahre alt. Ein Aschenbecher steht parat auf dem Beistelltischchen. Und ein Glas Cola. Den Aschenbecher wird er an diesem Abend vorerst - unfreiwillig - nicht benutzen.

Der Altkanzler, Sozialdemokrat, Ex-Minister und Zeit-Herausgeber stellt an diesem Abend im Berliner Ensemble sein neuestes Buch vor. Erinnerungen an die Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem Kanzleramt 1982 sind es: "Außer Dienst. Eine Bilanz."

Der Zuschauerraum ist bis auf den letzten Platz gefüllt. Helmut Schmidt winkt ab, als ihm der Applaus zu viel wird. ZDF-Mann Kleber beginnt das Gespräch, das sich fast eineinhalb Stunden um Vergangenes, vor allem aber um Aktuelles und Zukünftiges drehen wird.

Eine Ehre sei es und "ausgesprochener Genuss", neben ihm sitzen zu dürfen, sagt Kleber, als er wieder Platz genommen hat. Aus dem Altkanzler brummelt es angesichts so viel Servilität: "Das weiß man immer erst hinterher." Es sollte ein kleiner Scherz sein, aber bei "Schmidt Schnauze" weiß man das nie. Der elder statesman hat zudem das Stadium erreicht, in dem er nicht mehr jede Frage beantworten muss. Das bekommt auch Kleber zu spüren.

Interesse an den großen Fragen der Welt

Da steigt der blauäugige TV-Nachrichtenmann doch tatsächlich - aktuell ist aktuell - mit der Lage der SPD ein. Die Welt dieser Partei aber ist dem langjährigen Sozialdemokraten wohl inzwischen zu klein. "Ehrlich gesagt, Herr Kleber", sagt Schmidt, "ich will mich zu dem Personalwechsel in der SPD nicht äußern. Das ist Tagespolitik." Mit anderen Worten: Damit beschäftigt er sich nicht mehr.

Zunächst aber versucht er, die Frage zu umschiffen. Über den Zustand der SPD erfahre er ja im Wesentlichen aus den Medien. "Da weiß ich nicht immer, ob das zuverlässig ist", sagt er, setzt für einen Atemzug aus, blinzelt ins Publikum: "Ansonsten bin ich mit dem Ergebnis zufrieden." Das ist deutlich genug. Die Lacher im Publikum zeigen das.

Es sind die großen Probleme der Welt, die Schmidt interessieren: Globalisierung, demographischer Wandel, Krieg, Frieden. Er nennt die Namen von Ländern und Hauptstädten, als wären sie Figuren in einem Schachspiel, bei dem er zwölf Züge im Voraus denkt, aber andere die Spieler sind.

"Ich bin ein alter Mann ohne Einfluss", erklärt er, als Kleber ihn fragt, wie er Deutschland zukunftsfest machen würde. Aber wenn er Einfluss hätte, was würde er tun? "Wenn ich Einfluss hätte, dann würde ich mir wünschen, dass die Agenda 2010 den Leuten richtig erklärt wird. Dass man nicht mit 65 in Rente gehen kann, wenn man in Wirklichkeit so alt wird wie ich."

Aber wie eine Politik vertreten, für die einen die Wähler abstrafen? Schmidt ist das zu sehr Klein-Klein.

Das deutsche Wahlrecht lasse bis zu 19 Parteien im Parlament zu, sagt Schmidt. Derzeit sind es fünf, es waren auch schon mehr, es waren auch schon weniger. Es gebe also einen "Zwang zu Koalitionen". Das Schlimme sei nun, dass sich die Deutschen angewöhnt hätten, Koalitionen und Kompromisse für faul zu halten. Das, sagt Schmidt, sei ein Irrtum. "Wer Koalition nicht kann, wer Kompromiss nicht kann, der taugt nicht für Demokratie." Hier hält der Applaus länger an als an anderen Stellen.

Regeln für den Finanzmarkt

Altersmilde ist Helmut Schmidt wahrlich nicht. Aber wer hätte das auch erwartet. Kleber erinnert ihn an sein Wort vom Raubtierkapitalismus. Schmidt schnellt vor: "Da bin ich stolz drauf." Schmidt sticht mit dem Zeigefinger in Richtung Publikum, als säße dort das Raubtier Kapitalismus, das er so erlegen könnte. "Das ist ein richtiges Wort."

Aber was dagegen tun? Die freien Kräfte der Märkte sich selbst überlassen? "Ich glaube, das würde heutzutage nicht einmal Herr Westerwelle tun." Was würde Herr Westerwelle tun? "Das weiß ich nicht. Ich halte ihn nicht für ein Finanzgenie."

Und was würde Schmidt tun? Die Raubtiere bändigen. Internationale Regeln aufstellen. Am ehesten könnte dafür der Weltwährungsfonds Vorschläge erarbeiten, "der hat sonst nicht viel zu tun, hat aber gute Fachleute". Das ginge nicht von heute auf morgen, aber je eher, desto besser.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, weshalb Schmidt ein gesetzestreuer Bürger ist.

"Ein alter Mann ohne Einfluss"

Kompromisslos ist der schreibende Altkanzler auch, wenn es um das Völkerrecht geht. Für ihn ist es die Grundlage aller internationalen Beziehungen. Die Kriege in Bosnien und im Kosovo hält Schmidt für falsch, auch wenn dadurch die sogenannten ethnischen Säuberungen verhindert wurden. Es sei eben "viel einfacher, mit militärischer Macht" in ein souveränes Land "reinzugehen, als mit Anstand rauszukommen, ohne ein Chaos zu hinterlassen". Das gelte auch für Afghanistan.

Helmut Schmidt auf Tournee: Helmut Schmidt will nicht jede Frage von Moderator Claus Kleber beantworten.

Helmut Schmidt will nicht jede Frage von Moderator Claus Kleber beantworten.

(Foto: Foto: dpa)

Oskar Lafontaine würde es freuen, das zu hören. Aber auf den ehemaligen SPD-Chef und jetzigen Ober-Linken ist Schmidt nicht gut zu sprechen. Mit Hitler hat Schmidt ihn jüngst verglichen. Die Aufregung darüber hielt sich in Grenzen.

Kanzlerin Angela Merkel hat Georgien offen die Mitgliedschaft in der Nato versprochen. Doch die entsprechenden Klauseln im Atlantischen Vertrag, belehrt Schmidt, bezögen sich allein auf eine europäische Erweiterung der Nato.

Schon die Türkei gehöre nicht zu Europa. Und Georgien erst recht nicht. "Die Nato tummelt sich in Georgien, in Asien, in Afghanistan. Ist das alles unsere Aufgabe? Ich habe da erhebliche Besorgnisse und Zweifel, muss ich sagen."

Bis dahin hat Helmut Schmidt nicht eine Zigarette geraucht. Endlich macht Kleber darauf aufmerksam, dass zumindest auf der Bühne das Rauchen erlaubt sei. Schmidt greift umgehend in seine Innentasche, holt eine Packung Zigaretten hervor und zündet sich eine an.

"Und das sagen Sie mir erst jetzt?", pafft Schmidt. Kleber: "Ich dachte, das wüssten Sie oder würden sich im Zweifel nicht darum scheren." Schmidt schielt zu Kleber, als er den ersten tiefen Zug aus seinen Lungen entlässt. "Ich bin ein gesetzestreuer Bürger."

Ein halbe Stunde haben sie noch Zeit. Sie reden noch über die Gefahren der Atomwaffen, über Gott in der Politik und dass Schmidt ihn da nie gebraucht habe.

Am Ende dankt Claus Kleber seinem Gesprächspartner für das Gespräch. Beifall. Schmidt erhebt sich. Etwas zittrig in den Knien greift er nach seinen Zigaretten, Stock in der Rechten. Einmal dreht er sich noch zu seinem Publikum, bevor er endgültig geht. Er winkt ab, als die Menschen im Saal aufstehen, um ihm zu applaudieren.

Er ist ja auch nur ein "alter Mann ohne Einfluss".

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