Helmut Kohls Appell "Aus Sorge um Europa":Sozen und Grüne noch einmal in den Staub

Helmut Kohls Appell "Aus Sorge um Europa": Helmut Kohl und seine Frau Maike Kohl-Richter bei der Buchvorstellung Anfang November in Frankfurt am Main.

Helmut Kohl und seine Frau Maike Kohl-Richter bei der Buchvorstellung Anfang November in Frankfurt am Main.

(Foto: AP)

Helmut Kohl ist sehr unzufrieden. Die deutsche Europapolitik hält der Altkanzler für miserabel. In seinem neuen Buch watscht er Rot-Grün nochmal ab - und erklärt mit Blick auf die Ukraine, dass auch der Westen im Umgang mit Moskau Fehler gemacht habe.

Von Franziska Augstein

Wenn Helmut Kohl, der "Europa-Kanzler", in seinem hohen Alter einen Europa-Appell publiziert, dann erwarten seine Anhänger, dass er endlich sage, was kleineren Geistern nicht einfällt. Er sagt: "Mit mir als Bundeskanzler wäre das niemals geschehen." Er glaubt, dass die Regierungen nach ihm aus dem Blick verloren hätten, wie wichtig die EU ist: Sie stehe für "Frieden und Freiheit". Überdies habe Deutschland seine außenpolitischen Beziehungen vernachlässigt, sowohl die zu den USA als auch die zu Russland.

Kohls Gegner sind auch für Frieden und Freiheit, fragen sich aber, wie die Meinungen des kranken Altkanzlers, der nur mehr mühsam reden kann, ihren Fluss in Manuskriptform fanden. Maike Kohl-Richter hat daraus kein Geheimnis gemacht: Sie kann ihren Mann auch dann verstehen, wenn andere, die ihn nur gelegentlich sehen, lediglich Genuschel vernehmen. Was er sagte oder andeutete, hat sie nachrecherchiert. Der Weg zum Archiv war in der Regel nicht weit: 400 Aktenordner lagern im Keller seines Hauses in Oggersheim.

Maike Kohl-Richter, die vier Jahre lang unter Kohl im Kanzleramt arbeitete und Reden für ihn schrieb, kennt die Diktion ihres früheren Chefs sehr gut. Das Buch erfüllt seinen Zweck: Da spricht Helmut Kohl; da bäumt ein geschwächter, innerlich aber kraftvoller Staatsmann sich nochmals auf, um für den europäischen Gedanken zu werben und die "Sozen" - wie er sie früher nannte, in diesem Buch aber nicht - samt den Grünen in den Staub zu treten.

Nur einem wird die Ehre zuteil, namentlich verteufelt zu werden

Unter den aus Kohls Sicht im Hinblick auf Deutschland "verantwortungslosen" und im Hinblick auf den Europa-Gedanken "verräterischen" Politikern der SPD und der Grünen ist Joschka Fischer der einzige, dem die Ehre zuteil wird, namentlich verteufelt zu werden. Kohl neigte stets dazu, Leute, die er missachtet, nicht beim Namen zu nennen. Gern hätte man erfahren, ob er bei Fischer aus Gründen eine Ausnahme machte. Oder war das einfach nur ein Ausrutscher, der Maike Kohl-Richter unterlief und den ihr Mann versehentlich nicht korrigierte?

Maike Kohl-Richter hat sich vieles nachsagen lassen müssen, vieles, was einer liebenden Frau wehtut. Was dieses Buch angeht, würden alle Anwürfe fehlgehen: Kohls furioser Europa-Appell ist authentisch. Denn fast alles, was er nun mithilfe seiner Frau zu Buche brachte, hat er schon früher gesagt.

Immer schon war er nicht bloß für eine Währungsunion, sondern auch für eine politische Union. Wie Letztere zustande kommen soll, ist bis heute unklar. Weil dem Kanzler der Spatz in der Hand lieber war als die Taube auf dem Dach, hat er sich damals mit der Währungsunion zufriedengegeben. Die wirtschaftlichen Folgen waren ihm, der sich auf die Politik versteht wie wenige, die Ökonomie aber links liegen ließ, einerlei.

Es kam dann, was von manchen vorhergesagt wurde: Die wirtschaftlich weniger potenten Länder nutzten den Euro, um in einem Ausmaß Kredite aufzunehmen, wie sie es mit ihrer eigenen Währung nicht hätten machen können.

Kohls wenig plausibles Griechenland-Narrativ

Als 2007 die Bankenkrise hereinbrach, stellte sich heraus, dass Griechenland so gut wie pleite war. Das Land ist allerdings - rein wirtschaftlich gesehen - ziemlich klein. Die griechische Krise war nicht das Problem; problematisch war allenfalls, wie Europa, die Bundesrepublik vorneweg, damit umgegangen ist. Kohl behauptet jetzt, er habe davor gewarnt, Griechenland in den Euro-Raum aufzunehmen.

Das ist wenig plausibel. 2002, als Griechenland der Euro-Zone schon beigetreten war, hat Kohl - auf Wahlkampf für die Union - in einem Festzelt auf dem bayerischen Land gesagt: Er mache sich Sorgen um die Zukunft, die vielen Arbeitslosen und um den "Traktor Deutschland", der das Schlusslicht sei in Europa hinter Irland und Griechenland (siehe SZ vom 8. 5. 2002). Im Übrigen: Wer wie Kohl für ein geeintes Europa ist und die Politik höher achtet als wirtschaftliche Belange, wird Griechenland, "die Wiege der abendländischen Kultur" (so steht es in älteren deutschen Schulbüchern), wohl nicht haben ausschließen wollen.

Kluge Sätze zum Verhältnis zu Moskau

In dem Buch preist Helmut Kohl, wie stets, die "christlich-abendländischen Traditionen Europas". Vor Jahren hat er die EU als einen "christlichen Klub" bezeichnet. Dabei bleibt er. Dass Juden, Muslime und andere, um es mit einem Verbum des ehemaligen Bundespräsidenten Christian Wulff zu sagen, auch zu Europa "gehören": Es geht an Kohl vorbei. Ein Beitritt der Türkei zur EU? Für den Altbundeskanzler war das stets eine abwegige Idee, revidiert hat er seine Meinung nicht.

Wie viele deutsche Politiker, wie Willy Brandt, Egon Bahr und andere, hat Helmut Kohl, spätestens als er 1982 Kanzler wurde, verstanden, dass er eine Linie seines Vorbildes Konrad Adenauer vertiefen musste: Die Sowjetunion durfte man nicht bloß als Feind betrachten. Man musste diplomatisch mit dem Kreml, mit Russland umgehen. Kohl sagt denn auch, dass er mit Putins Vorgänger Boris Jelzin ein gutes Verhältnis gehabt habe.

Den heute tätigen Politikern und Journalisten, die sich zum Konflikt in der Ukraine äußern, schreibt er ein paar kluge Sätze ins Stammbuch. In den vergangenen Jahren sei "die noch junge Partnerschaft mit Russland" vernachlässigt worden, "und Befindlichkeiten wurden verkannt". Über die schon unter seiner Kanzlerschaft geplante Osterweiterung der EU sagt Kohl, dass diese "das Sicherheitsinteresse Russlands natürlich elementar berührt und dass wir auf die Befindlichkeiten Russlands in seinem strategischen Umfeld Rücksicht nehmen mussten, wenn wir keine unnötigen Spannungen riskieren wollten".

Genau diese "unnötigen Spannungen" sind nun da: In der Ukraine herrscht ein Bürgerkrieg. Von einem neuen Kalten Krieg zwischen dem Westen und Russland ist die Rede. Kohl dazu: "Zum Verhalten Russlands und der Situation in der Ukraine kann der Westen natürlich nicht schweigen, aber auch der Westen hätte sich klüger verhalten können. Hier sind auf beiden Seiten Fehler gemacht und Befindlichkeiten offenkundig nicht ausreichend beachtet worden." Für diese Worte werden auch Gegner Helmut Kohls ihm dankbar sein.

Helmut Kohl: Aus Sorge um Europa. Ein Appell. Droemer/Knaur, 2014. 119 Seiten, 19,99 Euro.

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