Helmut Kohl spricht vor der CDU/CSU-Fraktion:"Ich bin zu Hause"

Er spricht brüchig, manche verstehen nur Wortfetzen. Und doch schafft Helmut Kohl mit wenigen Worten, was Angela Merkel nicht gelingen will: Europa einen Sinn zu geben.

Thorsten Denkler, Berlin

Fraktionschef Volker Kauder gibt das Zeichen. "Also los geht's", ruft er. Und der Tross mit Helmut Kohl in der Mitte setzt sich in Bewegung. Links Kauder, hinter ihm Gerda Hasselfeldt, die Landesgruppenchefin der CSU. Und Maike Kohl-Richter natürlich, rechts hinter dem Rollstuhl ihres Mannes, der von einem Mann mit weißen Haaren geschoben wird. Vor 30 Jahren wurde Kohl zum Kanzler gewählt. Darum ist er hier. Darum kommt er zehn Jahre nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag wieder hierher.

Es ist nur eine kurze Strecke vom Vorraum des Fraktionsvorsitzenden-Büros auf der Fraktionsebene bis zum Eingang des Fraktionssaals. 20, 25 Meter vielleicht. Es wäre auch kürzer gegangen, direkt durch den Hintereingang. Kanzlerin Angela Merkel macht das manchmal so, wenn sie keine Lust hat, sich an Dutzenden von Journalisten vorbeizudrängeln.

An diesem Tag ist der Weg für Kohl abgesperrt. Kameras klicken, ein paar Klatscher gibt es, als Kohl vor den Fahrstühlen auftaucht, die sonst die Abgeordneten auf die Fraktionsebene hieven. Junge Menschen sind es, die applaudieren. Zu jung, um Kohl noch als den gefürchteten Kanzler erlebt zu haben, der er war. Groß, mächtig, donnernd.

Im Fraktionssaal brandet Applaus auf, als die Ersten Kohl erblicken. Keine 30 Minuten wird Kohl in der Fraktion bleiben. Still ist es. Gebannt sei die Stimmung gewesen, werden später Teilnehmer sagen. Erst spricht Kauder, nur ganz kurz. "Sie gehören in unsere Mitte", sagt er. Wieder Applaus. Jetzt Kohl. Es wird jetzt ganz still. Kohl spricht mit brüchiger Stimme. Er muss immer wieder Husten. Er spricht Sätze, die manchem hier unter die Haut gehen.

Kohl setzt an. "Dies ist meine Heimat. In der CDU/CSU", sagt er leise und brüchig. Er ist nur schlecht zu verstehen. Jedes Wort scheint ihm eine Qual zu sein. "Ich bin zu Hause, wenn ich hierherkomme." Applaus. Kohl ist zurück.

Jetzt spricht er über Europa. Über den historischen Beitrag der Fraktion zu diesem visionären Projekt eines in Frieden geeinten Europas. "Stolz" ist eines der Wörter, die vielen in Erinnerung bleiben. Stolz sollten sie alle auf Europa sein. Manchen fällt das heute schwer.

Der Altkanzler lebt Europa

Er richtet auch ein paar Worte an die Verzagten, die Nörgler, die Taktierer. An jene, die Europa nicht mehr als historische Chance begreifen wollen. Es sind vielleicht auch Sätze, die Angela Merkel gelten. "Ich bin 82", beginnt er. "Aber ich habe viel Mut für die Zukunft Europas. Ich möchte mit Ihnen allen diesen Mut haben." Es gebe keinen Grund, verzagt zu sein. Es sind wenige Worte nur. Und doch geben sie Europa mehr Sinn, als es Angela Merkel je vermocht hat. Kohl lebt Europa. Merkel verwaltet Europa.

Ein warmer Beifall erfüllt den Raum. Dann wird Kohl hinausgeschoben. Seine Miene wächsern, bewegungslos. Jetzt ist auch Angela Merkel an seiner Seite. Es geht direkt in den ersten Fahrstuhl. Abgeordnete drängen hinein, wollen hinabfahren mit dem Altkanzler. Es ist nicht genug Platz für alle. Die Türen schließen sich.

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