Heiner Geißler:Der Missionar der CDU

Er kämpft gegen die Dummheit und formuliert Sätze wie Schwertstreiche: Der Politiker, Autor, Kapitalismuskritiker und Bergsteiger Heiner Geißler wird 80. Zum Geburtstag wünscht er sich einen Streit.

Heribert Prantl

Wenn man über andere Politiker seines Alters schreibt, schreibt man von der Vergangenheit. Man schreibt davon, wie wichtig diese Leute einmal waren und was sie damals, vor Jahrzehnten, so alles darstellten: Generalsekretär, Minister, Erneuerer ihrer Partei.

Man schreibt von den Wahlkämpfen, die sie einst geführt, gewonnen und verloren haben. Man erinnert sich an die Streitigkeiten, die sie damals angezettelt, an die Entrüstung, die sie geerntet haben. Das alles kann man bei Heiner Geißler auch machen, da gibt es viel zu erzählen. Geißler gehört zu den politischen Kriegselefanten der Bundesrepublik.

Wenn man über andere Politiker seines Alters schreibt, muss man sich entscheiden, ob man im Präteritum, im Perfekt oder im Plusquamperfekt schreibt. Über Heiner Geißler schreibt man am besten im Präsens - weil er eine öffentliche Präsenz hat, um die ihn die meisten Politiker, die nur halb so alt sind wie er, beneiden.

Er ist der bekannteste, wortmächtigste, streitlustigste und ideenreichste Sozialpolitiker der CDU, er ist einer, der Sätze formulieren kann wie Schwertstreiche.

Schon Jahre vor der großen Finanz- und Wirtschaftskrise, als für seine Parteifreunde Kritik am Kapitalismus noch ein Sakrileg war, hat er, scharf wie kaum ein anderer, den Marktradikalismus verdammt: "Der Kapitalismus ist genauso falsch wie Sozialismus und Kommunismus: Die Kommunisten wollten die gesellschaftlichen Konflikte lösen, indem sie das Kapital eliminierten und die Kapitaleigner liquidierten. Bekanntlich sind sie daran gescheitert. Heute eliminiert das Kapital die Arbeit und liquidiert quasi die Menschen am Arbeitsplatz." Diese Sentenz stammt aus einem Interview mit Geißler im Jahr 2005.

Geißler forderte eine Bankenaufsicht und die "Spekulationssteuer"

Damals haben ihn seine politischen Nachfolger in der CDU, damals hat ihn die Parteispitze wegen solcher Sätze für einen Altersverrückten gehalten. Damals wurde in der Partei durchaus getuschelt, ob "so einer" überhaupt noch dazugehört.

Geißler stieß vor fünf Jahren weder auf Freude noch auf Verständnis, wenn er von seiner Partei eine Programmatik forderte, die den Kapitalismus so zähmt, dass dieser die Demokratie nicht frisst.

Heute ist die CDU wieder stolz auf ihren begnadeten Spinner, dem sie jetzt wieder den Titel Visionär gibt. Das war er schon vor 35 Jahren, als er die "Neue Soziale Frage" entdeckte und in einem aufsehenerregenden Buch (dem an die zwanzig weitere Bücher folgten), die katholische Soziallehre renovierte und die Sozialpolitik als Kernpolitik einer guten Demokratie beschrieb. Das hat er dann als Generalsekretär und als Bundesminister für Jugend, Familie und Gesundheit zur Grundlage seiner Politik gemacht.

Heute wirbt er für eine internationale öko-soziale Marktwirtschaft: "Die globale Ökonomie braucht eine globale politische Antwort." Und er wehrt sich dagegen, dass sich die Verfechter des freien und ungebändigten Marktes auf Ludwig Erhard berufen. Wenn das passiert, dann verwandelt Geißler jede Bühne in ein politisches Seminar: "Erhard war auch der Erfinder der Kartellgesetzgebung und der Fusionskontrolle. Und dafür braucht man als Garanten den Staat, um so eine Ordnung zu garantieren."

Warum ihn die lieben, die ihn einst hassten

Geißler forderte eine internationale Bankenaufsicht, eine weltweite Fusionskontrolle und die Schließung der Steueroasen, "von denen aus der Radikal-Kapitalismus global agiert". Solche Forderungen, die heute allenthalben diskutiert werden, galten damals als Spinnerei - ebenso wie die Spekulationssteuer, für die Geißler heute in den Polit-Talkshows wirbt. Das hat sich geändert.

Für solche Sätze lieben ihn heute die, die ihn einst hassten. Geissler hat sich, als er Generalsekretär der CDU war, vor kaum einer Polemik gescheut. Legendär ist sein Vorwurf, die SPD, die gegen die Aufstellung der Mittelstreckenraketen in Deutschland war, sei die "fünfte Kolonne" Moskaus. "Der Krach darüber hat mich lange gefreut", bekennt er. Aber: "Ich würde den Satz heute nicht mehr sagen."

Nicht er, die anderen haben sich geändert

Und was ist mit dem Vorwurf: "Ohne den Pazifismus der dreißiger Jahre wäre Auschwitz nicht möglich gewesen?" Das sei eine Replik auf den damals grünen Otto Schily gewesen, der behauptet hatte, die CDU bereite den atomaren Holocaust vor.

Ein dummer Satz wird aber doch nicht dadurch besser, wenn er die Antwort auf einen anderen dummen Satz ist. "Da können Sie recht haben", antwortet er. Geißler kann Fehler zugeben. Und die Leute, die früher vor Empörung über ihn auf die Bäume stiegen, schwärmen heute von ihm. Er beharrt aber darauf, dass nicht er, sondern die Leute sich geändert hätten.

Heiner Geißler ist ein Phänomen: Er ist Weinbauer, Bergsteiger und Skifahrer; er ist Christdemokrat, Kapitalismuskritiker und Bestseller-Autor; er ist Botschafter der sozialen Marktwirtschaft und Attac-Mitglied, bekennender Katholik. Mit 18 war er Schüler bei den Jesuiten in Pullach bei München, als er 22 war, merkte er, "dass ich von drei Gelübden, die ich abgelegt hatte - Armut, Keuschheit und Gehorsam - zwei nur mit Mühe halten kann. Die Armut war es nicht."

Geißler fand in der Politik seine Berufung. Was er von den Jesuiten mitgenommen hat? "Selbstdisziplin und Ehrlichkeit in allem, was man tut. Das Nachdenken über das, was man tut. Das Nachdenken über das, wie man es tut. Und Anteilnahme für die Schwächeren."

In der Politik wie auf der Skipiste: der tiefe Fall

Man kann Geißler bei Plasberg treffen und bei Anne Will, aber auch am Gipfel des Corvatsch im Engadin. Bei der Abfahrt macht Geißler das, was er in der Politik selten tat: Er geht in die Knie, ja er macht regelrechte Kniebeugen. Er fährt nämlich einen altmodisch eleganten Telemark-Stil. Und wenn die anderen sich zum Après-Ski treffen, dann setzt sich Geißler an den Tisch seines Hotelzimmers und schreibt an seinem nächsten Buch.

Wenn man einmal vier Wochen lang nichts von ihm hört, dann ist er gerade dabei, es fertigzustellen. Oder er ist wieder in der Klinik, um seine lädierte Wirbelsäule neu zusammenschrauben zu lassen. Sein heftigster Sturz war nämlich nicht der von 1989, als Helmut Kohl seinen damaligen Generalsekretär Geißler, akuter Rivalitäten wegen, nach zwölf Jahren entmachtete.

Dieser Sturz hat Kohl und der Union mehr geschadet als dem Gestürzten. Gefährlicher war Heiner Geißlers Absturz von 1992: Damals geriet er beim Gleitschirm-Fliegen in Turbulenzen, musste im Wipfel einer Kiefer notlanden, wurde eingeklemmt und lebensgefährlich verletzt

Zum Geburtstag einen Streit

Vor zehn Jahren, zu seinem siebzigsten Geburtstag, wurde Geißler gefragt, ob er sich hätte vorstellen können, Bundeskanzler zu werden. "Ja klar", hat er gesagt, "und das hätte ich auch gekonnt. Aber dann hätte ich mich anders verhalten, dann hätte ich mich mehr anpassen müssen." Andere verdiente Alte werden zum Geburtstag mit Lobpreis und Festreden geehrt. Geißler hat sich das verbeten.

Er hat sich von seiner Partei zum 80. Geburtstag einen Streit mit dem Philosophen Peter Sloterdijk gewünscht. An diesem Dienstag, am Vortag des Geburtstages, lädt die Kanzlerin also zu dieser Geburtstagsfeier der besonderen Art ein. Sloterdijk ist so etwas wie der Westerwelle unter den deutschen Philosophen. Es wird also heiß hergehen. Aber womöglich stimmt Geißler ihm bei einem Satz zu: "Das Grundproblem der Politik", sagt Sloterdijk, "ist die Dummheit." Geißler hat in seinem Leben versucht, der Dummheit entgegenzuwirken.

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