Heidenau:Brauner Schatten

In einer sächsischen Kleinstadt schlagen die Proteste gegen ein Asylbewerberheim in Gewalt um. Nach zwei Krawallnächten gab es nur eine einzige Festnahme. Protokoll eines Kontrollverlusts.

Von Ulrike Nimz

In den sozialen Netzwerken bekommt das Video, in dem Jung und Alt ausgelassen miteinander schunkeln, gerade mehr Aufmerksamkeit als den Machern lieb sein kann. "Komm tritt ein, Du bist willkommen, setz Dich zu uns, krieg das Zuhausgefühl", so beginnt der Refrain des Liedes "Mein Heidenau". Es ist eine Hymne, mit der die Stadt sich laut Selbstdarstellung von ihrer "musikalischen Seite" und als besonders familienfreundlich präsentieren will. Zur Stunde jedoch wird der Film im Netz herumgereicht als Indiz für das brüchige Idyll sächsischer Kleinstädte, für mangelndes Problembewusstsein in Sachen Fremdenfeindlichkeit. Es mag wohlfeil sein, ein drei Jahre altes Imagefilmchen als Beleg für irgendetwas heranzuziehen. Unbestritten ist jedoch, dass sich die "Stadt der kurzen Wege" nach diesem Wochenende in die Liste der Orte einreiht, auf die ein brauner Schatten fiel: Dresden, Freital, Heidenau. Was ist passiert?

Am Anfang steht, wie so oft, die Ankündigung, dass Flüchtlinge im Ort untergebracht werden sollen. Längst ist dabei in Sachsen nicht mehr von "Heimen" oder "Aufnahmestellen" die Rede, sondern von Notunterkünften. In Heidenau ist ein leer stehender Praktiker-Baumarkt das Objekt der Wahl. Auf zwei Etagen sollen dort künftig bis zu 600 Asylsuchende wohnen. Wie so oft formiert sich alsbald eine fremdenfeindliche Initiative, diesmal heißt sie "Heidenau - Hört zu".

Bereits am Mittwoch und Donnerstag kommt es zu Versammlungen vor dem Baumarkt. Am Freitagnachmittag dann spazieren etwa 1000 Menschen durch Heidenau, für eine Stadt mit 16 400 Einwohnern ist das eine beachtliche Zahl. Viele tragen rechte Szene-Kleidung, einzelne die Flagge des untergegangenen deutschen Kaiserreichs, wieder andere führen Kinder an der Hand. Wie unbequem Sachsens Rechte wirklich werden kann, und dass gar nichts gut ist, zeigt sich am Abend: Ein aufgebrachter Mob blockiert die Staatsstraße 172 in Richtung Pirna, um die Ankunft von Flüchtlingen zu verhindern. Man trinkt Bierflaschen leer, um sie anschließend auf Polizisten zu werfen. 136 Beamte setzen Tränengas gegen die Randalierer ein, die revanchieren sich mit Feuerwerkskörpern. Die Bilder aus jener Nacht erinnern eher an einen Bürgerkrieg als an lediglich "besorgte Bürger". Die Bilanz: 31 Polizisten werden verletzt. Statt der geplanten drei kommt an diesem Abend nur ein Bus mit Flüchtlingen in Heidenau an.

Statt drei Bussen mit Flüchtlingen kommt nur einer in Heidenau an. 31 Polizisten werden verletzt

Nur 24 Stunden später wiederholt sich die Szene. Am Freitag rief ein NPD-Mann zum Marsch auf, diesmal ist es die Freitaler Bürgerwehr, die ihren Gesinnungsgenossen auf Facebook nahelegt, nach Heidenau zu fahren. Etwa 250 Neonazis folgen dem Aufruf im Netz. Diesmal aber stehen ihnen ebenso viele Menschen gegenüber, die Solidarität mit den Flüchtlingen zeigen, unter ihnen Politiker von Grünen, SPD und der Linkspartei. Als gegen 23 Uhr die Neonazis erneut in Richtung Baumarkt vorrücken, wird klar: Auch diesmal hat die Polizei die Lage nicht im Griff. Sie reagiert erst am Sonntagabend, richtet eine Sicherheitszone ein und nimmt verschärfte Personenkontrollen vor. Auch zwei Wasserwerfer stehen bereit. Doch auch dann kommt es wieder zu Zusammenstößen. 250 Anhänger der linken Szene demonstrieren zunächst friedlich vor der Asylunterkunft, sie skandieren Willkommensgrüße für die Flüchtlinge. Rechte Demonstranten hatte die Polizei zuvor abgewiesen. Beim Abzug zum Bahnhof kommt es dann offenbar zu Übergriffen zwischen den Linken und vermutlich rechten Demonstranten.

Die Polizei setzt Reizgas ein. Zu DDR-Zeiten war Heidenau ein bedeutender Industriestandort. Und nach der Wende voller Brachen, Ruinen und Menschen ohne Arbeit. Als im August 2002 erst das Hochwasser der Müglitz schwere Verwüstungen anrichtete und im Sommer 2013 das Elbehochwasser erneut ganze Straßenzüge versinken ließ, erfuhren die Stadt und ihre Bewohner viel Solidarität. Unvergessen sind die Bilder, auf denen der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich im acht Kilometer entfernten Pirna lächelnd einen Sandsack zu Angela Merkel rüberwuchtet. Heidenau, das ist auch das Tor zur Sächsischen Schweiz. Und die ist nicht nur beliebtes Reiseziel und Kulisse für Hollywood-Filme wie "Grand Budapest Hotel" oder Tarantinos Nazi-Rache-Spektakel "Inglorious Basterds". 2001 wurde die Neonazi-Kameradschaft Skinheads Sächsische Schweiz verboten. Mit etwa 120 Mitgliedern war die "SSS" eine der größten rechtsextremen Kameradschaften. Bei der Landtagswahl 2014 wurde die AfD drittstärkste Kraft in Heidenau, die NPD erhielt 8,2 Prozent der Stimmen.

Jürgen Opitz mag in den Augen dieser Menschen ein "Volksverräter" sein. Das ist nur eines der vielen Schimpfwörter, die sich Heidenaus CDU-Bürgermeister zuletzt anhören musste. Gleichzeitig ist Opitz ein gutes Argument gegen die These, dass Heidenau noch schlimmer sei als das benachbarte Freital. Denn Opitz ist nicht abwesend, außer Haus oder im Urlaub. Er bleibt nicht stumm wie andere Bürgermeister, sondern er spricht in Kameras, bezieht Stellung zu dem, was in seiner Stadt geschieht. Er sei entsetzt über die "schrecklichen Bilder", sagte Opitz nach den Krawallen und forderte die Einwohner zu Solidarität auf: "Ich gehe fest davon aus, dass die große Mehrheit der Heidenauer sich für Flüchtlinge engagieren wird."

Solche Sätze sind nicht selbstverständlich in Sachsen. Als Innenminister Markus Ulbig (CDU) am Samstag blass und mit glänzender Stirn vor die Kameras trat, verurteilte er die Gewalt der Nacht, bloß um anschließend Alkohol als Ursache für die Ausschreitungen auszumachen. Nicht etwa die von der CDU angestoßene Polizeireform, deren Personalkürzungen spätestens mit den nicht enden wollenden Pegida-Demonstrationen zu einer permanenten Überforderung der sächsischen Beamten geführt hat. Die Menschen hätten sich hochgeschaukelt, sagte der Mann, der acht Jahre Oberbürgermeister von Pirna war und versprach, die Randalierer zur Verantwortung zu ziehen. Laut Polizei hat es bislang eine einzige Festnahme gegeben.

Dieser Umstand - gepaart mit der Tatsache, dass es der Polizei zwei Nächte in Folge nicht gelang, dem Mob Einhalt zu gebieten, die Beamten stattdessen eine angemeldeten Demonstration zum Bahnhof eskortieren, deren Teilnehmer bitten mussten, den Ort des Geschehens aus Sicherheitsgründen zu verlassen - lässt Worte wieder aufleben, von denen man lange glaubte, dass sie zum Grundrauschen vergangener Jahrzehnte gehören. Pogrom zum Beispiel. Oder Gewaltmonopol. Tatsächlich könnte das Datum der Ausschreitungen von Heidenau kaum geschichtsträchtiger sein: Auf den Tag genau vor 23 Jahren ereigneten sich in Rostock-Lichtenhagen die größten fremdenfeindlichen Ausschreitungen der Nachkriegsgeschichte. Der sächsische Linken-Landesvorsitzende Rico Gebhardt twitterte: "Ich erwarte, dass der Staat nicht wie in Rostock 1992 vor den Nazis und Rassisten unter dem Beifall ,besorgter Bürger' kapituliert."

Am Sonntagnachmittag schließlich meldete sich der bis dato schweigende Stanislaw Tillich zu Wort. "Das ist Menschenhass mit erschreckender Gewalt gegen Polizisten und gegen Flüchtlinge, die bei uns Schutz suchen", sagte der Ministerpräsident, bevor er nach Heidenau aufbrach. "Das ist nicht unser Sachsen". Eine Vorliebe für absolute Formulierungen dieser Art hatte schon Tillichs Vor-Vorgänger Kurt Biedenkopf. Der ließ sich einst zur Behauptung hinreißen, die Sachsen seien " immun gegenüber den rechtsradikalen Versuchungen."

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