Havanna erleichtert Ausreise:Kubaner packen die Koffer

Reisefreiheit Kuba

Zeitenwende in Kuba: Regierung in Havanna erleichtert ihren Bürgern die Ausreise.

(Foto: dpa)

Das Haus ist verkauft, ebenso wie Familiengrab und Porzellanvasen, Spielzeug und Nähmaschine sind jetzt bei Verwandten: Einige Menschen sind gut vorbereitet. Denn von heute an dürfen gewöhnliche Kubaner das Land ohne umständliche Formalitäten verlassen. Doch Ärzte, Wissenschaftler und Oppositionelle fürchten, dass die flexiblen Regeln nicht für sie gelten.

Von Peter Burghardt

Ein Ehepaar säße schon auf gepackten Koffern, schreibt Kubas bekannteste Bloggerin. "Sie haben alles verkauft, oder fast alles. Das Haus, das Auto aus den Fünfzigerjahren und die Haushaltsgeräte", berichtet Yoani Sánchez in der spanischen Zeitung El País. Auch das ist im Rahmen des kubanischen Wandels ja inzwischen erlaubt: Kubaner dürfen Häuser und Autos verkaufen, es gibt seit dieser Erlaubnis durch die kommunistische Regierung von Raúl Castro einen regen Markt.

Die Leute, von denen die Beobachterin Sánchez erzählt, hätten außerdem das Familiengrab, Porzellanvasen und ihr Postfach verscherbelt und Klamotten, Spielzeug und Nähmaschine an Verwandte verschenkt. Sie warteten auf den Moment, an dem das neue Reisegesetz in Kraft trete. An diesem Montag ist es so weit, die Insel erlebt eine weitere Zeitenwende.

Ab dem 14. Januar gilt das Dekret 302, das Bewegungsfreiheit verspricht. Ab sofort können gewöhnliche Kubaner demnach ohne umständliche Formalitäten in Flugzeuge oder auf Schiffe steigen und ins Ausland reisen. Bislang hatten sie seit 1976 Einladungen gebraucht und Genehmigungen, die von den Behörden mal erteilt wurden und mal nicht.

Manche zimmerten sich Flöße und versuchten, ohne Papiere über das Meer ins nur 90 Meilen entfernte Florida zu gelangen oder nach Mexiko. Scharen von Flüchtlingen ertranken. Und wer ankam, der durfte nicht mehr so leicht zurückkehren.

Schlangen vor den Passämtern

Am 16. Oktober hatte die Führung in Havanna nun diese historische Reform bekannt gegeben. "Kuba aktualisiert seine Migrationspolitik", meldete das KP-Blatt Granma, benannt nach der Yacht, mit der Fidel Castros Revolutionäre einst das Eiland eroberten. Seitdem bilden sich Schlangen vor den Passämtern. Aber was genau hat der Wandel zu bedeuten?

Kuba will Druck abbauen und braucht Devisen. Nur gilt die Erleichterung offenbar nicht für jeden. Man werde "Maßnahmen beibehalten, um das menschliche Kapital, das von der Revolution geschaffen wurde, gegen den Raub der Talente durch die Mächtigen zu schützen", hieß es. Betroffen sein könnten vor allem Wissenschaftler, Ärzte, Soldaten und Sportler.

Diese Berufsgruppen genießen auf Kuba trotz aller Engpässe eine erstklassige Ausbildung. Sie durften bis zuletzt hauptsächlich dann das Land verlassen, wenn sie in Bruderstaaten wie Venezuela geschickt wurden oder zu Kongressen und Wettkämpfen. Einige von ihnen blieben in der Ferne.

Auch fürchten Oppositionelle, dass die flexiblen Regeln nicht für sie gedacht sind. Dissidenten klagen, man habe ihnen die nötigen Dokumente bisher verweigert oder darauf hingewiesen, dass es im Falle einer Ausreise keine Heimkehr mehr geben würde. Die mehrfach preisgekrönte Autorin Yoani Sánchez erzählt, ihr Pass sei mit Visa fremder Nationen vollgestempelt, aber abfliegen durfte sie nicht.

Unklar ist zudem, wie die Zielländer reagieren. Die USA folgten lange Zeit einer aggressiven Strategie, unterstützt von radikalen Exilkubanern in Miami und Umgebung. Wer aus Kuba die US-Ufer erreicht, dem erteilt Washington eine Aufenthaltsgenehmigung. Und trotz Erleichterungen unter Barack Obama gilt nach wie vor das US-Handelsembargo von 1960, ein Relikt des Kalten Krieges.

Kuba versucht, seine darbende Wirtschaft zu öffnen. Wichtigster Sponsor ist Venezuela, dessen krebskranker Präsident Hugo Chávez in Kubas Hauptstadt Havanna medizinisch behandelt wird. "Ich schwanke wie so viele Kubaner zwischen Hoffnung und Skepsis", twittert Yoani Sánchez. Auch ihr Koffer stehe schon bereit - "für eine Reise mit Rückkehr".

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