Hauszerstörung in Jerusalem:Bulldozer vor der Tür

Weil er in Ostjerusalem schwarz gebaut haben soll, hat die israelische Polizei ohne Vorwarnung das Haus von Abu Aisha gesprengt. Recht oder Rassismus?

Billi Bierling, Jerusalem

Dort, wo gerade noch ein ansehnliches vierstöckiges Luxushaus stand, ist nur noch ein großer Haufen Trümmer. Hunderte von Menschen stehen fassungslos vor dem Haufen aus gerissenem Beton, Fensterrahmen und losen Steinen in Beit Hanina, einem Vorort von Jerusalem. "Das war das Haus meines Bruders," sagt ein Mann, der mit Tränen in den Augen auf dem Schutthaufen steht. "Die Israelis haben seiner Familie und fünf anderen Familien alles genommen, was sie sich über Jahre mühevoll aufgebaut hatten." Die israelischen Behörden ließen das Haus innerhalb weniger Sekunden in die Luft fliegen.

Hauszerstörung in Jerusalem: Verzweifelt suchen die ehemaligen Hausbewohner in den Trümmern nach den Resten ihrer Existenz

Verzweifelt suchen die ehemaligen Hausbewohner in den Trümmern nach den Resten ihrer Existenz

(Foto: Foto: Richard Bull)

Der Besitzer des Hauses in Beit Hanina heißt Majed Rashed Abu Aisha. Der Geschäftsmann schildert das, was an jenem Montagmorgen Ende Juli in Ostjerusalem geschah, so: "Um halb vier Uhr wurden wir von einem lauten Knall aus dem Bett gerissen," erzählt der 47-Jährige. "Dutzende von maskierten und bewaffneten Polizisten des israelischen Grenzschutzes stürmten mit ihren Hunden unser Schlafzimmer, rissen uns aus den Betten und befahlen uns, sofort das Haus zu verlassen." Das Gebäude sollte noch am gleichen Tag abgerissen werden.

Haus zerstört, Identität verloren

Nachdem die Polizei Abu Aisha, seine Frau und seine drei Kinder im Alter von 16, 11 und sechs Jahren brutal aus dem Haus geworfen hat, räumt sie die restlichen Wohnungen. "Sie schossen in die Luft und gaben uns nicht einmal Zeit, unsere persönlichen Dinge mitzunehmen," so der Diabetiker, dem sogar verweigert wird, seine Medikamente einzunehmen, bevor man ihn in Handschellen abführt.

Um 17.38 Uhr erschüttert eine Explosion sein Haus, Sekunden später haben sechs Familien nicht nur ihr Hab und Gut verloren, sondern auch ihre Identität. "Für uns Palästinenser ist das Haus das Ein und Alles", beschreibt Abu Aisha den Verlust. "Meine Frau hat sich bis heute nicht von dem Schock erholt. Sie geht fast jeden Tag zu den Trümmern und sucht weinend nach Überresten. Unsere Vergangenheit ist uns genommen worden." Am Abend desselben Tages wird Abu Aisha wieder freigelassen und kann das zerstörte Haus erstmals mit eigenen Augen sehen.

Vor neun Jahren verlor Abu Aisha seinen fünfjährigen Sohn bei einem Autounfall. "Das war der schwierigste Moment in meinem Leben. Als ich jedoch am Abend nach der Zerstörung vor dem Trümmerhaufen stand, fühlte ich mich genauso traurig. Ich hatte das Gefühl, dieses Mal meine ganze Familie verloren zu haben."

Was muss man machen, um so hart bestraft zu werden? In Jerusalem reicht dafür ein Schwarzbau. "Die Zerstörungsanordnung dieses Hauses liegt wegen einem der eklatantesten Verstöße gegen das israelische Baugesetz vor. Von den errichteten 1400m² wurden 1000m² illegal und ohne Genehmigung gebaut" - so erklärt die Stadtverwaltung von Jerusalem diese Hauszerstörung.

Lesen Sie auf Seite zwei, was der Hausbesitzer zu diesem Vorwurf sagt.

Bulldozer vor der Tür

Abu Aisha sieht den Fall ganz anders: "Ich habe lediglich zwei Meter über die Spezifikationen der Genehmigung gebaut, jedoch bezahlte ich vor ein paar Jahren eine Strafe und erhielt die Erlaubnis für die neuen Maße," sagt er und zeigt auf den Brief des stellvertretenden Jerusalemer Bürgermeisters, der bestätigte, dass sein Haus nicht auf der Liste der Häuser mit Zerstörungsanordnungen stand.

Um ein Haus in Jerusalem zu bauen, benötigt man, wie in jeder anderen Stadt, eine Baugenehmigung. Palästinenser, die im besetzten Ostjerusalem leben, erhalten aber nur selten eine solche Erlaubnis. "Im Jahr 2002 wurden neue Bedingungen eingeführt, die es den Palästinensern fast unmöglich machen, legal zu bauen," kommentiert Meir Margalit, Mitglied des israelischen Komitees gegen Hauszerstörungen (ICAHD).

"Ich sage es ungern, aber was hier passiert, ist Diskriminierung oder gar Rassismus. Man will so viele Palästinenser aus Jerusalem vertreiben wie möglich", fährt er fort. "Erst bekommen sie keine Genehmigung, und wenn illegal gebaut wird, werden die Häuser rücksichtslos abgerissen."

Die Stadtverwaltung von Jerusalem betont allerdings, dass Zerstörungsanordnungen für das arabische Ost- und das jüdische Westjerusalem gleichermaßen gelten. "Die Hauszerstörungen sind gesetzlich und gelten für alle illegal gebauten Häuser in Jerusalem", heißt es in einer Pressemitteilung. Komiteemitglied Margalit bestätigt jedoch, dass so etwas während seiner Laufbahn bei ICAHD in Westjerusalem noch nie vorgekommen sei.

Die Hauszerstörung in Beit Hanina ist nur ein einzelner Fall in einer Reihe von Zerstörungen. Die Vereinten Nationen sehen in den letzten Monaten einen zunehmenden Trend zu gewaltsamen Abrissen. "Derzeit liegen Tausende von Zerstörungsanordnungen für das Westjordanland und Ostjerusalem vor", sagt Allegra Pacheco vom UN-Büro für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten.

Wenn einmal ein Abriss angeordnet wurde, wird er nicht mehr widerrufen, auch wenn bis zur Ausführung einige Zeit vergehen kann: "Es ist auch schon vorgekommen, dass die Polizei unangekündigt mit Bulldozern vor der Tür stand und den Besitzern eine Anordnung unter die Nase hielt, die 15 Jahre zuvor ausgestellt wurde", sagt Margalit.

"Sobald ich wieder Geld habe, werde ich mein Haus neu aufbauen"

Nach Angaben von ICAHD hat der Staat Israel seit Beginn der israelischen Besatzung 1967 etwa 12.000 palästinensische Häuser in Ostjerusalem und den besetzten palästinensischen Gebieten zerstört, darunter 740 während des Oslo-Friedensprozesses. Die ICAHD hat es sich zum Ziel gemacht, wenigstens einen Teil der zerstörten Häuser wieder aufzubauen. Alleine in Ostjerusalem seien es 150 gewesen, sagt Margalit stolz.

Auch Abu Aisha, der momentan bei seiner erwachsenen Tochter lebt, will sich nicht unterkriegen lassen. "Sobald ich wieder Geld habe, werde ich mein Haus neu aufbauen," sagt er. Es kann allerdings eine Zeitlang dauern, bis er wieder zu Geld kommt. Abu Aisha rechnet damit, dass ihm die Stadtverwaltung eine Rechnung für die Zerstörung schickt.

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