Haushaltsdebatte:WM-reife Auftritte im Bundestag

Selbst bei der Generaldebatte im Bundestag hat sich die Fußballbegeisterung in den Beiträgen der Redner niedergeschlagen. Während die Bundeskanzlerin sich die WM-Euphorie der Bevölkerung zunutze machen will, sieht die Opposition "Schwächen im Team".

Kaum eine Rednerin und kaum ein Redner hat versäumt, den Fußball-WM-Hype in ihren Beiträgen bei der Generaldebatte im Bundestag unterzubringen.

Angela Merkel

Angela Merkel

(Foto: Foto: dpa)

Und die Regierung selbst trat auf wie eine Viererkette:

Angela Merkel und Olaf Scholz als Außenverteidiger sowie Volker Kauder und Peter Struck innen ließen kaum eine Attacke der Opposition im Bundestag auf die bisherige Politik der Koalition durch.

Selbstbewusst verteidigten sie die Mehrwertsteuererhöhung ebenso wie Föderalismus-, Gesundheits- und Unternehmensteuerreform.

Zum Auftakt deutete FDP-Vize Rainer Brüderle die ungezählten Fahnen in den Straßen als Demonstration dafür, dass der schwarz-roten Koalition eben noch das "Gelb der Vernunft" fehle - eine Interpretation, die im Plenum mehr Hohn- als Beifallsgelächter hervorrief.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte, sie sehe die WM-Begeisterung auch als Zeichen für die Bereitschaft der Bürger zur Modernisierung Deutschlands. Angesichts des Engagements und der Euphorie der Bürger während der WM sei ihr nicht bange, dass dieses Land auch die Herausforderungen meistern werde, vor der es stehe.

Im Großen und Ganzen vertraute sie auf traditionelle Spielführung: Es gehe "um ganz Deutschland und seine Zukunft" beim Haushalt, bei der Mehrwertsteuererhöhung und den Reformen: "Wir machen dieses Land zukunftsfest."

Die Kanzlerin dankte ausdrücklich allen, die bislang zum Gelingen der WM beigetragen haben. Sie bezog dies auch auf die 32 Teams einschließlich der deutschen Nationalmannschaft, "auf die wir stolz sein können".

Merkel verteidigte ausdrücklich ihre Äußerung vom Dienstag, dass Deutschland "auch ein Sanierungsfall" sei. Natürlich sei dies ein hartes Wort. Aber man müsse sich der Realität stellen, fügte sie hinzu. Angesichts eines strukturellen Defizits von 60 Milliarden Euro seien begrenzte Steuererhöhungen notwendig, sagte Merkel.

Unionsfraktionschef Kauder sprach von "Superstimmung" und sagte: "Ich bin stolz darauf, was gerade in diesem Land abläuft." Er versicherte Merkel und besonders Finanzminister Peer Steinbrück seiner uneingeschränkten Solidarität, ebenso wie anschließend auch SPD-Kollege Struck.

Torchancen für die Opposition

Obwohl von den Protagonisten aus CDU und SPD im Mittelfeld der Redner-Abfolge umzingelt - die CSU wurde erst recht spät eingewechselt -, konnte aber der gegnerische Sturm ein paar Torchancen herausspielen.

Zum Beispiel machte Grünen-Fraktionschefin Renate Künast "Schwächen im Team" aus, die sie mit den Namen Michael Glos und Franz Josef Jung verband.

Wirtschaftsminister Glos solle doch mal in die gegenüberliegende Adidas-Arena gehen und den Managern Dampf zu machen, weil die Firma "absolutes Schlusslicht" bei der Ausbildung sei. Tatsächlich traf er sich mit den Arbeitgebern, um Merkels Forderung an die Wirtschaft nach mehr Ausbildungsplätzen energisch vorzubringen.

"Abgedroschen und falsch"

"Hören Sie auf zu lavieren und zu moderieren", forderte Künsast von der Regierung. Mit Blick auf die Diskussion um die Hartz-IV-Regelungen warf sie dem Regierungslager vor, "flächendeckend eine Missbrauchsdebatte zu organisieren". Das sei "abgedroschen und falsch".

FDP und Linkspartei konzentrierten sich dagegen auf die bereits beschlossene Erhöhung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent zum 1. Januar 2007, was Struck zwar mit dem Hinweis kommentierte, bald müssten sie sich etwas anderes überlegen: "Nächstes Jahr zieht das nicht mehr."

Die Sturmspitze der Liberalen, Guido Westerwelle, landete aber einen empfindlichen Treffer, indem er Merkels Umschreibung der Mehrwertsteueranhebung mit "begrenzte Steuererhöhung" als "Unverschämtheit" charakterisierte und das Vorhaben insgesamt als "unanständig" qualifizierte.

Als verhinderter Mannschaftskamerad zeigte sich der FDP-Mannschaftskapitän persönlich enttäuscht. Von ihren "hehren Zielen" als Oppositionsführerin sei nichts übriggeblieben. Westerwelle gab allerdings zu, dass er nicht gerade ein Fußball-Fan sei.

Linkspartei-Fraktionschef Gregor Gysi sprach sich selbst sogar die Vertrautheit mit fußballerischen Befindlichkeiten ab, nicht ohne ein entsprechendes Bekenntnis auch von Merkel zu verlangen.

Er hatte wohl nicht gesehen, wie sich die Kanzlerin beim 1:0 gegen Polen vergangene Woche im Münchener Stadion von der Spannung bis zur letzten Minute hatte mitreißen lassen.

Ansonsten kritisierte Gysi die geplante Unternehmensteuerreform als sozial unausgewogen und bezeichnete erneut die Mehrwertsteuererhöhung als ökonomischen Fehler.

Bei Hartz IV komme jeden Tag ein neuer Vorschlag, "wo man da was kürzen kann", kritisierte Gysi. Zudem würden die Arbeitslosen von der Bundesregierung "drangsaliert".

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