Haushaltsdebatte im Bundestag:Merkel grinst die Krise weg

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Wirtschaft gut, Erwerbslosenzahl unter drei Millionen, geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa: SPD-Fraktionschef Steinmeier kommt bei der Haushaltsdebatte im Bundestag kaum gegen die Bilanz der Kanzlerin an. Merkel freut sich über das Karlsruher Urteil - und straft ihren Widersacher ab.

Thorsten Denkler, Berlin

Bevor es richtig losgeht, kommt eine FDP-Frau erst einmal ins Straucheln. Birgit Reinemund stolpert auf der Treppe, die hinab in die Mitte des Plenums führt. Entwicklungshilfeminister und Parteifreund Dirk Niebel springt sofort bei. Nichts weiter passiert. Es wäre übertrieben, in diese Szene etwas über den Zustand der Koalition hineinzuinterpretieren. Aber Straucheln und FDP, das sind nun einmal seit geraumer Zeit schon nahe beieinander liegende Begriffe. Auch an diesem zweiten Tag der Haushaltswoche im Bundestag.

Debatte über Etat der Kanzlerin
:"Das grenzt an Realitätsverweigerung"

Eine ängstliche Kanzlerin, eine SPD ohne Plan, schlechte Laune und keine Antwort auf die Altersarmut - das waren die Themen beim Schlagabtausch zwischen Regierung und Opposition. Anlass war die Generaldebatte über den Etat der Kanzlerin, der einen Vorgeschmack auf den Bundestagswahlkampf 2013 gibt. Die besten Zitate in Bildern.

Es soll der Tag der Elefantenrunde sein. Der Tag der Abrechnung mit der Arbeit der Bundesregierung. Und, wenn es nach der Opposition geht, der letzte Tag dieser Art für die schwarz-gelbe Koalition. Die nächste Elefantenrunde findet wahrscheinlich erst nach der Bundestagswahl 2013 statt - und die Regierungsparteien sollen sie doch bitte von den Oppositionsbänken aus erleben. Nach derzeitigem Stand könnte es zumindest für die FDP so kommen.

Da trifft es sich gut, dass nicht der Euro-Rettungsschirm ESM den Tag beherrscht. Die Karlsruher Richter haben ein Urteil gefällt, das vor allem Kanzlerin Angela Merkel sehr gut ins Konzept passt. Merkel kommt vor ihrem Auftritt sichtlich entspannt ins Plenum geschlendert - die Debatte um den Kanzleretat beginnt wegen des Karlsruher Richterspruchs erst am Mittag. Hätte ja sein können, dass Karlsruhe die Euro-Rettung in Grund und Boden stampft. So aber kramt Merkel in ihrer roten Ledertasche, holt eine blaue Mappe heraus, dann eine schwarze Mappe mit ihrer Rede, und geht zu SPD-Chef Sigmar Gabriel. Ein paar nette Worte werden gewechselt, beide lachen. Alles gut in Euro-Land. Es kann also losgehen.

Steinmeiers schwache Bewerbungsrede

SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier eröffnet die Debatte. Steinmeier hat beste Aussichten, Kanzlerkandidat der SPD zu werden. Sein Auftritt ist allerdings alles andere als eine Bewerbungsrede. Steinmeier will den Haushaltsentwurf der Regierung auseinandernehmen.

Das ist keine einfache Aufgabe, sind die nackten Daten doch erst einmal ganz in Ordnung. Die Regierung bleibt drei Jahre früher als geplant unter den Vorgaben der Schuldenbremse. Der Haushalt fällt mit 300 Milliarden Euro um zehn Milliarden Euro kleiner aus als der aktuelle.

Merkel wird später aufzählen, was noch alles gut läuft: Wirtschaft gut, Arbeitslosenzahl unter drei Millionen, geringste Jugendarbeitslosigkeit in Europa. "Ich habe immer gesagt, wir wollen stärker aus der Krise hervorgehen, als wir hineingegangen sind - genau das ist uns gelungen." Die Statistik spricht für die Kanzlerin. Kein Wunder also, dass sich SPD-Fraktionschef Steinmeier schwertut, einen wunden Punkt zu finden.

Merkels indirekte Kritik an Helmut Kohl

Er versucht es mit dem Blick zurück, was immer etwas unglücklich wirkt. Rot-Grün habe bis 2005 das Fundament für die heutige Stabilität gelegt. "Sie ernten auf Feldern, auf denen Sie nie gesät haben", wirft er Merkel vor. Das klingt sieben Jahre danach doch etwas schwach.

Zumal auf dem politisch derzeit wichtigsten Feld der Euro-Rettung die SPD bei allem mitgemacht hat, was Merkel vorgeschlagen hat. Und so muss es Steinmeier dabei belassen, das "dröhnende Schweigen" der Kanzlerin zu bekritteln, wenn es etwa um die neue Rolle der Europäischen Zentralbank geht, die jetzt unbegrenzt kritische Staatsanleihen aufkaufen will.

Merkel wartet, bis der Applaus für Steinmeier vorbei ist. Erst als Bundestagspräsident Lammert ihr das Wort erteilt, steht sie langsam auf, geht zum Pult. Sie fängt mit einer klaren Botschaft an: "Deutschland sendet heute einmal mehr ein starkes Signal nach Europa und darüber hinaus." Sie meint das für sie erfreuliche Karlsruher Urteil zum Euro-Rettungsfonds ESM. Auf Steinmeier geht sie so gut wie gar nicht ein. Ignoranz ist die höchste Form der Strafe in der politischen Auseinandersetzung.

Sie bleibt bei Europa. Deutschland alleine sei zu klein, um im weltweiten Wettbewerb auf Dauer bestehen zu können. Darum muss der Euro gerettet werden, muss Europa gerettet werden. Merkel wagt da sogar indirekt Kritik an Altkanzler Helmut Kohl. Die "Gründungsdefizite der Europäischen Währungsunion" müssten korrigiert werden. Für die war vor allem Kohl verantwortlich.

Punkt für Punkt arbeitet sie ihre europäische To-do-Liste ab. Der Merkel'sche Dreiklang: Solide Finanzen, Solidarität mit den Schwächeren und mehr Wachstum. Was sie aber nicht versteht, ist, dass Steinmeier ihr nicht glauben will, wie toll der neue Haushalt ist. "Was mich erschüttert, traurig macht und etwas durcheinanderbringt, ist, dass Sie offenbar Soll und Ist nicht auseinanderhalten können."

Angela Merkel (rechts) vor ihrem Auftritt: Die Haushaltsdebatte ist auch nicht mehr das, was sie einmal war. (Foto: dapd)

Steinmeier hatte bemerkt, dass die Regierung trotz Rekordeinnahmen immer noch neue Schulden mache. Merkel hält dagegen, dass noch vor dem festgelegten Start 2016 die Schuldenbremse eingehalten werde. Das stimmt wohl beides. Giftig wird Merkel nur, als sie das Thema Rente anspricht, den großen Streitpunkt in der Regierung. Sollte Ursula von der Leyen, die gerade ziemlich isolierte Sozialministerin, sich ein kleines Lob der Kanzlerin erhofft haben, dann wird sie enttäuscht.

Merkel verweist auf die Diskussionen in der Regierung. Aber vor allem nutzt sie die Gelegenheit, um jetzt doch noch Steinmeier vorzuführen. Der hatte erklärt, die Ursache von Altersarmut seien die niedrigen Löhne. Und forderte einen bundesweiten gesetzlichen Mindestlohn. Merkel rümpft die Nase: Wer den Eindruck erwecke, "dass ein Mindestlohn von 8,50 Euro die Stunde eine Antwort auf die Frage der Altersarmut sein kann", der liege daneben.

Das ist insofern richtig, als dass dieser Mindestlohn tatsächlich niemandem garantiert, im Alter nicht auf Sozialhilfe angewiesen zu sein. Er würde aber die Abhängigkeit von staatlicher Hilfe zumindest verringern. Zu von der Leyen kein Wort. Am Ende ihrer Rede verliert sie auch ein paar Sätze zu den Morden der NSU. Merkel versteigt sich zu der Aussage: "Wir tun alles, um die Dinge aufzuklären." Das wirkt einigermaßen unreflektiert angesichts des neuen Aktenskandals um erst verschollene, dann aufgetauchte aber nicht weitergeleitete Akten des Militärischen Abschirmdienstes der Bundeswehr.

Brüderle gibt den Schattenwirtschaftsminister

Danach plätschert die Debatte eher lustlos vor sich hin. Linken-Fraktionschef Gregor Gysi landet noch einen Treffer, als er vermerkt, dass es eigentlich keinen Grund gebe, mit den Wahlen noch ein Jahr zu warten. "Aber Ihre Regierung bringt ja noch nicht einmal ein anständiges Wahlrecht zustande!"

Später macht sich FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle über die Grünen lustig. Der grüne baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann fliege mit dem Hubschrauber und lasse den Dienstwagen hinterherfahren. Brüderle: "Jetzt weiß ich, was die Grünen mit neuen Mobilitätskonzepten meinen." Da hat er die Lacher seiner Leute auf seiner Seite. Die Grünen haben dagegen was zu lachen, als Brüderle erklärt, er setze in der Energiewende auf das Duo "Rösler/Altmaier". Der neue Umweltminister Altmaier hat FDP-Parteichef Rösler tatsächlich längst die Show gestohlen.

Brüderle macht ansonsten, was er am besten kann: Er redet als Schattenwirtschaftsminister. Als wolle er dem Ist-Wirtschaftsminister Rösler mit jedem Satz zeigen, dass er es besser kann und vor allem besser verstanden hat, was in der Weltwirtschaft so los ist. Von seinem Auftritt bleibt allerdings vor allem eine Erkenntnis: Wenn die FDP wirklich strauchelt und aus dem Bundestag fliegt, verabschiedet sich mit Brüderle auch der letzte Redner-Recke, der noch für den ein oder anderen guten Spaß zu haben ist.

Künast wünscht Merkel den Mut von Helmut Kohl

Mitlachen ist die Sache der Grünen-Fraktionschefin Renate Künast nicht. Karnevalsrede und Klamauk hält sie Brüderle vor. Sie übernimmt, was Steinmeier versäumt hat: die Regierung in die Pfanne zu hauen. Es ist schließlich die Elefantenrunde in der Haushaltswoche, nicht die Elefäntchenrunde.

Zank und Streit in der Regierung, da passiere nichts, längst habe sich Schwarz-Gelb ein "Von-der-Leyen-Syndrom" eingehandelt. Künast vergleicht Merkel mit Kohl. "Ich wäre froh, Sie hätten mehr Mut", sagt sie der Kanzlerin. "Kohl hatte den." Dann bekommt auch die FDP ihr Fett weg: "Es wäre gar kein Problem, wenn Rösler nicht mehr Bundeswirtschaftsminister wäre. Das würde gar nicht auffallen." Da schmunzeln sogar manche Liberale.

Mehr Launiges gibt es kaum zu berichten. In anderen Zeiten war die Haushaltsdebatte einmal der Höhepunkt des parlamentarischen Jahres - krachende Reden, bei denen die Fetzen flogen. Es ist zu befürchten, dass diese Zeiten auch nach der nächsten Bundestagswahl nicht zurückkommen werden.

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