Hauptversammlung:Scherbengericht über VW-Führung

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Angesichts der Abgasaffäre richtet sich die Wut der Aktionäre vor allem gegen Aufsichtsratschef Pötsch. Doch die Kleinanleger konnten sich nicht gegen die Mehrheits-Eigentümer durchsetzen - vorerst.

Von Thomas Fromm, Hannover

Bei der ersten VW-Hauptversammlung seit Bekanntwerden der Dieselaffäre ist es am Mittwoch zu einem heftigen Kräftemessen zwischen Kleinaktionären und den Mehrheitseigentümern des Konzerns gekommen. So erhoben führende Aktionärsvertreter schwere Vorwürfe gegen das VW-Management und forderten, die Führungsriege des Unternehmens nicht zu entlasten. Dennoch galt eine Entlastung bei der am späten Abend noch andauernden Versammlung als sicher, da VW mehrheitlich der Familien-Dachgesellschaft Porsche SE gehört.

Deren Eigentümer, die Familien Porsche und Piëch, hatten schon vor der Sitzung eine Entlastung des Vorstands signalisiert. Auch Anträge von Kleinaktionären, Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch als Versammlungsleiter abzulösen, wurden mit großer Stimmenmehrheit abgeblockt.

VW hatte im September eingeräumt, in elf Millionen Dieselautos weltweit eine Software verbaut zu haben, mit der bei Abgasmessungen manipuliert werden konnte. Im Zuge der Affäre musste der langjährige Konzernchef Martin Winterkorn zurücktreten; sein langjähriger Finanzvorstand Pötsch wechselte daraufhin auf den Aufsichtsratsposten. Winterkorn weist eine Mitschuld von sich; aufgeklärt ist die Affäre noch nicht. Über den aktuellen Stand der Ermittlungen wollte VW am Mittwoch nicht berichten, um laufende Verhandlungen mit US-Behörden über anfallende Strafen nicht zu gefährden.

Die Aktionäre reagierten darauf mit heftiger Kritik. Hans-Christoph Hirt vom einflussreichen Aktionärsberater Hermes warf Pötsch einen schweren Interessenkonflikt vor und empfahl, Aufsichtsrat und Vorstand die Entlastung wegen der noch laufenden Untersuchungen der Dieselaffäre zu verweigern. Ulrich Hocker von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) forderte einen Sonderprüfer - denn man stehe vor einem "Trümmerhaufen" .

Weltweit muss sich der Konzern wegen der Dieselaffäre vor Gericht verantworten, dazu drohen Milliardenklagen enttäuschter Anleger. Noch ist nicht klar, wie viele Milliarden der Konzern am Ende wegen der Affäre bezahlen muss.

Aufsichtsratschef Pötsch versuchte daher, die Kritiker zu beruhigen und versprach vor 3000 Aktionären, Schadenersatzansprüche gegen ehemalige und amtierende Vorstandsmitglieder zu prüfen. "Der Aufsichtsrat prüft das ohne Ansehen von Personen", sagte er.

Kurz vor dem Aktionärstreffen war bekannt geworden, dass die Staatsanwaltschaft Braunschweig wegen des Verdachts auf Marktmanipulation Ermittlungen gegen Ex-Chef Winterkorn und den amtierenden VW-Markenchef Herbert Diess eingeleitet hat. Zudem hat die Finanzaufsicht Bafin den gesamten Ex-Vorstand angezeigt- also auch Pötsch, der in dieser Zeit das Finanzressort bei VW leitete. Der Chefkontrolleur rief die Aktionäre dazu auf, die Vorstände zu entlasten. Für die Kleinaktionäre ein Indiz, dass sich der Aufsichtsratschef "zum Richter in eigener Sache" mache.

© SZ vom 23.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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