Hartz IV:Zu arm für die Pille

Bizarr: Empfängerinnen von Arbeitslosengeld II haben keinen Anspruch auf Verhütungsmittel - doch im Fall der Fälle zahlt ihnen der Staat eine Abtreibung.

Christoph Schäfer

Sex ist Privatsache, keine Frage. Aber was ist beispielsweise, wenn die Ärmsten in Deutschland kein Geld für Verhütungsmittel haben - ist das dann ihr Problem oder eines des Staates? Und: Kann es der Gesellschaft egal sein, wenn wegen fehlender Verhütung aus Geldmangel ein Embryo heranwächst, der später abgetrieben wird?

Hartz IV: Wenn das Geld knapp wird, setzen viele Frauen die Pille ab. Manche Paare nutzen dann Kondome - andere sparen sich jede Verhütung

Wenn das Geld knapp wird, setzen viele Frauen die Pille ab. Manche Paare nutzen dann Kondome - andere sparen sich jede Verhütung

(Foto: Foto: ddp)

Tatsache ist: Bevor das Gesundheits-Modernisierungsgesetz im Jahr 2004 in Kraft trat, bezahlten die Sozialämter den Bedürftigen die Verhütungsmittel. Das hat sich geändert.

Seit vier Jahren erhalten Arbeitslosengeld-II-Bezieherinnen nur noch die gleichen Leistungen wie alle anderen Mitglieder einer gesetzlichen Krankenkasse. Und das bedeutet: Bis auf sehr seltene Ausnahmefälle erhalten Frauen ab 20 Jahren kein Geld mehr für ärztlich verordnete Verhütungsmittel.

Gleiches Recht für alle - das klingt zunächst gerecht, ist es aber nicht unbedingt. Während Normalverdiener die zehn bis zwanzig Euro pro Monat für Verhütungsmittel leicht bezahlen können, tun sich Hartz-IV-Bezieher schwer, die Summe aufzubringen. In ihrem Regelsatz sind für den großen Bereich der "Gesundheitspflege" weniger als 14 Euro vorgesehen - egal, wie alt die Betroffenen sind, egal ob männlich oder weiblich.

"Wer arm ist, der braucht auch keinen Sex"

Anders ausgedrückt: Geht es streng nach der Rechnung des Bundesarbeitsministeriums, können sich Frauen, die verhüten, darüber hinaus kein Pflaster mehr kaufen und auch nicht zum Arzt gehen. Das würde das Budget überschreiten.

"Das geht nach der Logik: 'Wer schon arm ist, der braucht auch keinen Sex zu haben'", kommentiert Michaela Kleber. Die promovierte Geschäftsführerin von "pro familia" in München kennt das Problem: "Wenn eine Hartz-IV-Empfängerin die Pille will, muss sie sich das vom Munde absparen", erklärt sie.

Klebers Erfahrung nach können oder wollen viele Frauen das nötige Geld nicht zur Seite legen. "Wie soll etwas angespart werden für etwas, für das gar kein Budget vorgesehen ist!?"

Konkrete Zahlen zur Thematik gibt es kaum. Eine Pilotstudie im Rahmen einer Masterarbeit an der Hochschule Merseburg bestätigt jedoch Klebers Einschätzung. Autorin Annelene Gäckle, die mittlerweile für "pro familia" in Köln arbeitet, befragte in verschiedenen Beratungsstellen 69 Frauen zwischen 21 und 45 Jahren nach ihrem Verhütungsverhalten. Zentrale Erkenntnis: Die Quote jener Frauen, die nach eigenen Angaben immer verhüteten, sank mit Eintritt in Hartz IV von 67 auf 30 Prozent.

Mit sinkendem Einkommen greifen die betroffenen Frauen der Studie zufolge auch zunehmend auf billigere und weniger sichere Verhütungsmittel zurück. In der Gesamtbevölkerung nutzen nur 13 Prozent der Paare ein Kondom. Bei den Partnern von Hartz-IV-Empfängerinnen sind es viermal so viele. Umgekehrt verhält es sich bei der als sicher geltenden Pille: Diese wird von bedürftigen Frauen nur halb so oft genutzt wie von ihren reicheren Geschlechtsgenossinnen.

Zu arm für die Pille

Das bleibt nicht ohne Folgen: "Aufgrund der vermehrten Verwendung unsicherer Verhütungsmittel muss von einer erhöhten Gefahr ungewollter Schwangerschaften ausgegangen werden", diagnostiziert die Autorin.

Der Gedanke liegt nicht fern, dass zumindest einige der ungewollten Embryonen von den Betroffenen abgetrieben werden. Und, um das Problem auf die Spitze zu treiben: Für die Abtreibung nimmt Vater Staat das nötige Geld in die Hand.

Nach Auskunft des Bundesverbands der AOK gelten auch hier für Hartz-IV-Bezieherinnen die gleichen Regeln wie für alle anderen Mitglieder einer gesetzlichen Krankenversicherung. Die Kasse bezahlt schwangeren Frauen eine Abtreibung (in der Regel kostet sie 360 bis 460 Euro), wenn es sich um einen straffreien Schwangerschaftsabbruch handelt - und sie das Geld hierfür nicht aus eigener Kraft auftreiben können.

Das ist laut Verordnung bei kinderlosen und ledigen Frauen in der Regel dann der Fall, wenn sie weniger als 966 Euro im Monat verdienen. Allerdings holt sich die Krankenkasse die Abtreibungskosten von den Bundesländern - und somit vom Steuerzahler - zurück.

Pille verweigert, Abtreibung bezahlt

Die Krankenkassen können an dieser Praxis nichts Verwerfliches finden. Der Bundesverband der AOK lässt wissen, dass die Empfängnisverhütung finanziell gesehen in die Zuständigkeit von Bund und Ländern falle, da Verhütungsmittel "der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben dienen". Die Pille sei schließlich "keine Krankheitsprävention".

Überhaupt will die AOK keinen Rückschluss von mangelhafter Verhütung auf die Zahl der Abtreibungen zulassen: "Wenn man den Frauen unterstellt, dass sie statt zu verhüten abtreiben, so ist dies eine Diffamierung von ALG-II-Empfängerinnen, eine Abtreibung macht man nicht so einfach beim Vorbeigehen."

Das Bundesgesundheitsministerium teilt die Rechtsauffassung der AOK: "Die gesetzliche Krankenkasse finanziert grundsätzlich keine Empfängnisverhütung", teilt eine Sprecherin sueddeutsche.de mit. Die Behörde sehe daher "keinen Handlungsbedarf".

"Tilgung in kleinen Raten"

Auch das Arbeitsministerium findet alles in Ordnung. In einer schriftlichen Stellungnahme der Behörde für sueddeutsche.de heißt es: "Die Thematik Übernahme von Kosten für empfängnisverhütende Mittel [...] wurde bereits 2005 eingehend mit den für die Durchführung der Sozialhilfe zuständigen Ländern erörtert. Dabei wurde deutlich, dass die Länder am geltenden Sozialhilferecht [...] festhalten möchten."

Einige Länder würden allerdings schon jetzt freiwillig über das geltende Recht hinausgehen und die nötigen Verhütungsmittel bezahlen, so das Ministerium. Zudem müsse kein Kassenmitglied mehr als zwei Prozent seines Bruttoeinkommens für private Gesundheitsvorsorge ausgeben - dann greift die gesetzliche Belastungsgrenze.

Vor diesem Hintergrund könne eine Gesetzesänderung "nicht in Aussicht gestellt werden". Arbeitslosengeld II sei schließlich "bewusst eine pauschalierte Leistung".

Und falls das Geld doch nicht reicht, könnten Frauen im Bedarfsfall einen Kredit gewährt bekommen: "Lassen die Kosten, die zum Beispiel bei einer Spirale bis zu 300 Euro betragen können, dies nicht zu, besteht die Möglichkeit einer darlehensweisen Leistungserbringung mit Tilgung in kleinen Raten."

Soweit die Behörde. Die betroffenen Frauen dürfte es wenig beruhigen, dass sie sich im Notfall Geld leihen können.

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