Hartz IV:Schräge Idee

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Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller möchte die Grundsicherung ändern und umbenennen - und so ein sozialdemokratisches Trauma heilen. In der Sache aber sind seine Vorschläge wenig durchdacht.

Von Henrike Roßbach

Hartz IV ist ein sozialdemokratisches Trauma, an dem sich die Partei seit Jahren mit großer Ausdauer abarbeitet. Mit der Agenda 2010 haben viele Sozialdemokraten bis heute nicht ihren Frieden gemacht - obwohl die Reformen, zusammen mit anderen glücklichen Umständen, den Grundstein legten für einen bemerkenswerten Aufschwung am Arbeitsmarkt. Insofern ist die Begeisterung führender Genossen über die Hartz-IV-muss-weg-Vorschläge des Regierenden Bürgermeisters von Berlin, Michael Müller (SPD), wenig verwunderlich. Ein bisschen verrückt aber ist sie schon. Abgesehen davon, dass Modelle aus dem in vielerlei Hinsicht dysfunktionalen Berlin mit Vorsicht zu genießen sind, ist Müller samt seinem Vorschlag eines "solidarischen Grundeinkommens" ein Scheinriese wie aus dem Kinderbuch "Jim Knopf". Er schrumpft, je näher man ihm kommt.

Müller gibt seinem Konzept den Anstrich, eine Art Hartz-IV-Schlussstrich zu sein. Das ist es aber nicht. Denn auch er schlägt lediglich vor, für bis zu 150 000 Langzeitarbeitslose "gesellschaftliche Tätigkeiten" zu schaffen, für die bislang kein Geld oder kein Markt da war. Eine Ausweitung dieses Modells auf alle Langzeitarbeitslosen aber wäre unrealistisch. Und mit dem "bedingungslosen Grundeinkommen", also einer Sockelleistung für alle Bürger, egal, ob sie arbeiten oder nicht, hat es nichts gemein. Das bedingungslose Grundeinkommen taucht zwar immer wieder auf im politischen Diskurs. Ein derart radikaler Umstieg aber steht aktuell überhaupt nicht ernsthaft zur Debatte.

Das bedingungslose Grundeinkommen ist ein umstrittenes, mutmaßlich teures und in seiner Wirkung durchaus zweifelhaftes Instrument. Dennoch hat es viele Befürworter, und bei denen wecken Müller und seine Anhänger Erwartungen, die sie nicht werden erfüllen können. Das nutzt weder den Langzeitarbeitslosen, noch taugt es als Trauma-Therapie für die SPD. Außer, sie will enttäuschte Erwartungen zu ihrem Markenkern erheben.

Die Vorschläge des Regierenden Bürgermeisters von Berlin helfen den Arbeitslosen nicht

In der aktuellen Debatte über die Zukunft der Grundsicherung wird einiges vermischt, was dringend sortiert gehört. Was Müller will, klingt zwar großspurig nach Kehrtwende, ist in Wahrheit aber nah an dem, was Union und SPD im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben - nur ist seine Idee schlechter. Die neue Bundesregierung will für 150 000 Langzeitarbeitslose, die selbst in goldenen Aufschwungzeiten keine Chance auf einen regulären Job haben, einen "sozialen Arbeitsmarkt" schaffen. Über langfristige Lohnkostenzuschüsse sollen sie in der freien Wirtschaft, in Kommunen oder bei gemeinnützigen Trägern Arbeit finden; vier Milliarden Euro stehen dafür bereit.

Müller dagegen will seine gemeinnützigen Arbeitsplätze nur in kommunalen oder landeseigenen Betrieben schaffen. Marktfern sollen sie sein, womit die Gefahr besteht, dass Arbeitslose dort am Ende Arbeit nur simulieren. Gleichzeitig macht der Katalog an Beispieltätigkeiten - von Kinderbetreuung bei Alleinerziehenden über Ernährungsberatung bis zur Flüchtlingsintegration - deutlich, dass die wirklichen Härtefälle unter den Langzeitarbeitslosen kaum in der Lage wären, solche Aufgaben sofort in Vollzeit zu erledigen. Erlaubt sein muss zudem noch eine ganz andere Frage: Wollen Städte und Länder sich auf diese Weise ureigene Aufgaben von anderen bezahlen lassen? Dann ginge es Müller weniger um die Arbeitslosen als um seine Bürgermeister-Kollegen.

© SZ vom 29.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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