Hartz IV:Legislativer Wahnsinn

Armes Deutschland: Die Sozialrichter ersticken in der Flut der Hartz-IV-Klagen. Das liegt vor allem an der Kompliziertheit des Gesetzes.

Heribert Prantl

Hartz IV funktioniert wie eine gewaltige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Die Arbeit wird nicht denen beschafft, die Arbeit brauchen, sondern denen, die schon genug haben: Die Sozialrichter ersticken in der Flut der Hartz-IV-Klagen. Deren Zahl ist binnen eines Jahres um 30 Prozent gestiegen, in Bundesländern im Osten hat sie sich verdoppelt.

Eine gewaltige Arbeitsbeschaffungsmaßnahme: Die Hälfte der Hartz-IV-Klagen hat Erfolg. (Foto: Foto: AP)

Das liegt nicht in erster Linie daran, dass Sozialleistungsempfänger nichts anderes zu tun haben und deshalb vor Gericht ziehen. Es liegt an der maßlosen Kompliziertheit des Gesetzes, es liegt an der Bürokratie, die dieses Gesetz erzeugt, und an der Überforderung der Sozialbehörden, die den Arbeitsanfall nicht bewältigen können.

Die Hälfte der Klagen hat Erfolg. Wer sein bisschen Geld nicht kriegt, klagt. Eilantrag, Untätigkeitsklage, erneute Klage. Und weil die Leute, die klagen, ja kein Geld haben, stehen ihnen Prozesskostenhilfe und ein Anwalt zu. Was der Staat mit Hartz IV einspart, gibt er für die Klagen gegen Hartz IV wieder aus.

Die Malaise beginnt schon mit der unseligen Rechtskonstruktion der "Bedarfsgemeinschaft", die allen Sozialleistungen zugrunde liegt. In einer Bedarfsgemeinschaft aus Eltern, Kindern, Lebensgefährten gibt es immer viel Bewegung, der eine hat Arbeit und dann wieder nicht, Kinder ziehen aus - es kommt zu Falschzahlungen, die gegenüber jedem Mitglied der Bedarfsgemeinschaft geltend gemacht werden müssen. Fast jeder Satz des Hartz-Gesetzes ist so eine Klagenbeschaffungsmaßnahme. Hartz IV ist legislativer Wahnsinn.

Gäbe es bei der Strafjustiz diese Steigerungsraten, man spräche von der Kriminalisierung Deutschlands. Was soll man zu den Steigerungsraten an den Sozialgerichten sagen? Armes Deutschland.

© SZ vom 23.01.2009/cag - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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