Hartz-IV-Debatte:Alle gegen Westerwelle

"Irre Aussagen" von "Schreihals" Westerwelle: Die Hartz-IV-Debatte geht weiter - unvermindert greift die Opposition den FDP-Chef an. Auch Westerwelle äußert sich wieder - und nimmt einen ungewohnten Gegner ins Visier.

Auch am Wochenende hält die Debatte um Hartz IV weiter an. Der frühere SPD-Bundesarbeitsminister Olaf Scholz hat FDP-Chef und Außenminister Guido Westerwelle vorgeworfen, mit seinen Hartz-IV-Aussagen Ressentiments zu schüren. "Was er gesagt hat, ist irre", sagte der Hamburger SPD-Chef am Samstag auf einem Programmparteitag in der Hansestadt.

Das ähnele dem Vorgehen der Lega Nord in Italien. "Die lebt auch vom Ressentiment, in ihrem Fall von Ressentiments des Nordens gegen den Süden." Westerwelle wiederum wolle das Ressentiment beleben, schlecht verdienende, aber hart arbeitende Arbeitnehmer gegen Arbeitslose aufzubringen. Gleichzeitig warf Scholz der Bundesregierung Tatenlosigkeit vor. "Wir werden gar nicht regiert." Man müsse schon die Frage stellen, ob im Kanzleramt nicht eine "Ansammlung von Nichtregierungsorganisationen" sitze.

Auch die stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende Manuela Schwesig griff den Außenminister an bezeichnete den FDP-Chef als "Schreihals". Wer fordere, dass Arbeit sich lohnen müsse, müsse auch etwas dafür tun - erst recht, wenn er in Regierungsverantwortung sei, sagte die Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern in einem Interview mit der Schweriner Volkszeitung vom Samstag. "Westerwelle ist ein Schreihals, der auch als Vize-Kanzler immer noch den Oppositionspolitiker macht."

Der Bundesaußenminister habe "keine Debatte um Hartz IV angeschoben, sondern eine Neidkampagne gestartet". Die SPD-Politikerin forderte erneut, gesetzliche Mindestlöhne einzuführen.

Auch Westerwelle äußerte sich noch einmal zum Thema - und nahm dabei die Wirtschaft ins Visier. Es werde viel zu wenig darüber gesprochen, dass es auch einen Missbrauch des Sozialstaates in der Wirtschaft gebe, etwa durch Schwarzarbeit, sagte Westerwelle dem Tagesspiegel vom Samstag. Es gebe "Unternehmen, die mit ihren Beschäftigten Kleinstverträge machen, um einem ordentlichen sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnis zu entgehen und sich darauf verlassen, dass sich der Sozialstaat um ihre Mitarbeiter kümmert".

Westerwelle zeigte sich überzeugt, dass es auch in der Wirtschaft "schwarze Schafe gibt, die die Mittel des Sozialstaats preisgünstig mitnehmen, obwohl sie eigentlich in der Lage wären, Arbeitsplätze zu schaffen". "Das sollte hier niemand vergessen."

Westerwelle hatte mit umstrittenen Äußerungen zu Hartz IV eine Debatte über Sozialleistungen entfacht. Der Parteichef hatte unter anderem fehlende Leistungsanreize bemängelt und von "spätrömischer Dekadenz" gesprochen.

Opposition fordert Machtwort Köhlers

Die Forderung der Opposition nach einem Machtwort von Bundespräsident Horst Köhler wies unterdessen CSU-Landesgruppenchef Hans-Peter Friedrich scharf zurück. Friedrich sprach am Samstag in Berlin von einem "Zeugnis der Unfähigkeit" der Opposition. "Es ist unsäglich und unverschämt, jetzt nach dem Bundespräsidenten zu rufen, nur weil Rot-Grün selbst nicht in der Lage ist, die Sozialstaatsdebatte konstruktiv zu führen", sagte Friedrich.

Zuvor hatten Oppositionspolitiker eine Einmischung Köhlers verlangt. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sprach in der Leipziger Volkszeitung von der "Stunde des Bundespräsidenten". Der designierte Linke-Parteichef Klaus Ernst nannte es "wünschenswert, dass sich der Bundespräsident mit der Autorität seines Amtes in die aktuellen Debatten einschaltet". Auch die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth bemängelte: Angesichts der Debatte um Sozialstaat, Gerechtigkeit und Zukunftsfähigkeit "vermisse ich die starke Stimme eines Präsidenten, der in der Vergangenheit gerade in Gerechtigkeitsfragen viel zu sagen hatte."

Papier schaltet sich ein

Auch der scheidende Gerichtspräsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, schaltete sich erneut in die Diskussion ein. Das Urteil aus Karlsruhe zu Hartz IV begründet nach Erläuterungen Papiers keinen Anspruch auf eine Erhöhung der Regelsätze. Die vom Gericht geforderten zusätzlichen Leistungen für Kinder wie Schulbücher oder Taschenrechner könne der Staat auch in Form von Sachleistungen erbringen, sagte Papier der Welt am Sonntag. Bedenken gegen eine Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger hielt Papier für unbegründet. Das heiß diskutierte Urteil war am 9. Februar vom Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichtes unter seinem Vorsitz gefällt worden.

Nach Ansicht des Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Volker Kauder, können Hartz-IV-Leistungen für besondere Ereignisse wie Klassenfahrten aus dem Regelsatz herausgerechnet werden. Dafür könne es Gutscheine geben, sagte Kauder dem Hamburger Abendblatt. Der Staat könnte auch den Nachhilfe- oder Musikunterricht über Gutscheine fördern. Für mehr Sachleistungen plädierte auch der stellvertretende FDP-Vorsitzende Andreas Pinkwart. "Das könnten kostenlose Schulessen sein, Übermittagsbetreuung oder auch Nachhilfe", sagte Pinkwart der Wirtschaftswoche.

Papier sagte, die Festlegung der Regelsätze für Hartz IV - derzeit 359 Euro - sei nicht Sache des Verfassungsgerichts, sondern liege in der Gestaltungskompetenz des Gesetzgebers. "Ein bezifferbarer Anspruch ist dem Grundgesetz nicht zu entnehmen." Es sei Aufgabe der Politik, auf der einen Seite für Solidarität mit denjenigen zu sorgen, die sich nicht selbst helfen können, vor allem auch den betroffenen Kindern. "Auf der anderen Seite muss bedacht werden, dass die Mittel dafür vom Steuerzahler aufgebracht werden."

Papier unterstrich, er habe keine verfassungsmäßigen Bedenken gegen die in der Politik diskutierte Arbeitspflicht für Hartz-IV-Empfänger. "Juristisch handelt es sich genau genommen nicht um Pflichten, sondern um Obliegenheiten zur Erlangung einer Leistung", sagte Papier. "Und die sind im geltenden Recht durchaus schon vorgesehen. Wer eine zumutbare Arbeit ohne triftige Gründe ablehnt, muss mit einer Leistungskürzung rechnen."

Kauder forderte, dass alle Bundesländer die vorgesehenen Sanktionen anwenden, wenn Hartz-IV-Empfänger Jobangebote ablehnen. "Die Arbeitsagenturen und Kommunen in allen Bundesländern sind aufgerufen, nicht nur zu fördern, sondern auch zu fordern." Eine Änderung der Vorschriften lehnte der CDU-Politiker jedoch ab: "Schärfere Sanktionen als die bestehenden sind in einem Sozialstaat nicht möglich." Nach dem Gesetz müssen Arbeitslose, die mehrfach Vermittlungsangebote ohne stichhaltige Begründung ablehnen, mit einer Kürzung oder im Extremfall sogar mit einer Streichung ihrer Unterstützung rechnen.

Die SPD warnte die schwarz-gelbe Koalition davor, die Zahl der Arbeitsvermittler abzubauen und die Mittel für die aktive Arbeitsmarktpolitik zu kürzen. Entsprechende FDP-Pläne hätten eine "verheerende Wirkung", sagte SPD-Partei- und Fraktionsvize Olaf Scholz der Deutschen Presse-Agentur dpa. Ohne diese Förderung könne man Arbeitslosen nicht zu einer Beschäftigung verhelfen. "Es wäre dann auch nicht mehr möglich, diejenigen, die gar nicht arbeiten wollen, herauszufinden und mit Leistungskürzungen zu sanktionieren", sagte der frühere Bundesarbeitsminister.

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