Hartz IV:"Das Betttuch ist an allen Enden zu kurz"

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Erwerbsloseninitiativen kritisieren geplante Gesetzesänderungen.

Interview von Ulrike Heidenreich

Als "riesigen Etikettenschwindel" bezeichnet das Bündnis "Aufrecht bestehen" geplante Änderungen für Hartz-IV-Empfänger. In der Kampagne haben sich Erwerbsloseninitiativen aus ganz Deutschland zusammengetan. Das Hartz-IV-Änderungsgesetz soll kommende Woche im Bundesrat debattiert werden. Nicht ohne vorherige Proteste - wie Martin Künkler von der Koordinierungsstelle gewerkschaftlicher Arbeitslosengruppen ankündigt.

SZ: Sie organisieren an diesem Donnerstag Kundgebungen in etwa 30 Städten, in Wuppertal gibt es eine öffentliche Sozialberatung, in Bonn ein Straßentheater und in Herne wird gar eine "Ausgrenzungsmauer" gebaut. Muss es so plakativ sein?

Martin Künkler: Ja. Die Änderungen, die bei Hartz IV geplant sind, sind drastisch - und so muss das auch dargestellt werden. Die Regierung verkauft das Gesetz ja so, dass alles vereinfacht wird und die Jobcenter entbürokratisiert werden. Wenn man aber genau hinschaut, werden viele Leistungen gekürzt und Rechte beschnitten. Das Gesetz steht viel zu gut da, die sozialen Ungerechtigkeiten kommen in der Öffentlichkeit bislang nicht richtig rüber.

Haben Sie das Gefühl, die Erwerbslosen kommen zu kurz, weil alle woanders hinschauen, nämlich zu den Flüchtlingen?

Da habe ich keine Befürchtungen. Da muss man nicht gegeneinander arbeiten. Denn sowohl Flüchtlinge als auch Erwerbslose haben ein Interesse an ausreichenden Leistungen. Die soll es zukünftig noch weniger geben, das Gesetz ist eine Mogelpackung.

Wo werden Hartz IV-Empfänger schlechter gestellt?

Wenn man zum Beispiel aus gutem Grund hohe Heizkosten hat, etwa weil ein Kind im Haushalt lebt oder die Wärmedämmung schlecht ist, werden diese nicht mehr übernommen. Es gibt eine starre Obergrenze.

Wie hoch ist diese Grenze?

Die legen jeweils die Kommunen fest. Bisher gab es eine Einzelfallprüfung, man schaute sich die Wohnung an. Nun wird es so sein: Alles, was ich über die Grenze hinaus ausgebe, muss ich aus eigener Tasche zahlen. Also aus dem kleinen Regelsatz, der eigentlich für den Lebensunterhalt gedacht ist. Die Leute sind im Dilemma: Drehen sie die Heizung runter oder sparen sie beim Essen, bei der nächsten Jacke? Das Betttuch ist an allen Enden zu kurz.

Wer verliert noch?

Die Aufstocker. Menschen, die arbeiten und so wenig verdienen, dass sie ergänzend Hartz IV beziehen müssen. Ein Absetzbetrag für Werbungskosten für sie soll ganz gestrichen werden und der Erwerbstätigenfreibetrag bei schwankenden Einkommen teils auch. Da geht es um richtig viel Geld, bis zu 230 Euro. Freibetrag heißt ja, dass man einen Teil seines Einkommens behalten darf. Das wird gekappt.

Es kommen auch neue Sanktionen hinzu, wenn sich Arbeitslose nicht ausreichend um neue Jobs bemühen . . .

. . . was auf Unterstellungen beruht, denn das ist immer eine subjektive Entscheidung der Sachbearbeiter. Wenn angenommen wird, der Mensch tut nicht genug, soll er die Leistung zurückzahlen. Hartz IV wird praktisch zu einem Darlehen, das man zurückzahlen muss. Die Ämter können bis zu einem Drittel vom Regelsatz als Tilgung einbehalten, das sind rund 120 Euro. Versprochen war eine Entschärfung der Sanktionen. Das Gegenteil ist der Fall.

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