Harte Gesetze gegen Homosexuelle:Mütterchen Russland hat keine schwulen Kinder

Gay rights activists kiss during a protest against a proposed new law termed by the State Duma as 'against advocating the rejection of traditional family values' in central Moscow

Zwei Frauen küssen sich unter dem Schild der Duma. Das russische Parlament hat ein "Anti-Homosexuellen-Gesetz" verabschiedet. 

(Foto: REUTERS)

Als Popsängerin Madonna sich bei Konzerten in Russland öffentlich für Schwule und Lesben einsetzte, war die Aufregung im Land groß. Jetzt hat die Duma positive Äußerungen über Homosexualität unter Strafe gestellt. Ein stellvertretender Flughafen-Direktor wurde das erste Opfer des erstarkenden Schwulenhasses.

Von Frank Nienhuysen, Moskau

Es war der Tag, an dem Jelena Misulina im Mittelpunkt stand. Weil sie für dieses Gesetz geworben hat, das auch zeigt, wie viel manchmal zwischen Russland und dem Westen liegt. Misulina ist Vorsitzende des Duma-Ausschusses für Frauen und Kinder und war maßgeblich daran beteiligt, dass das Parlament mit 436 Stimmen bei nur einer Enthaltung das Propagieren von Homosexualität gegenüber Minderjährigen unter Strafe stellte. Und sie ist auch Mutter eines Sohnes, der als Jurist in Belgien arbeitet. Dort also, wo Homo-Ehen erlaubt sind und sogar die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare. Dazu befragt, sagte sie, er müsse sich in Belgien nun mal "diesen Regeln unterordnen und tolerant sein".

Während in Deutschland über die steuerrechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften beim Ehegattensplitting debattiert wird, verschärft Russland die Gesetze. Wer Informationen verbreitet, die bei Kindern und Jugendlichen "auf eine nicht traditionelle sexuelle Einstellung abzielen", muss künftig bis zu eine Million Rubel (etwa 25 000 Euro) Strafe zahlen. Betroffen ist auch die entsprechende "Propaganda" durch Ausländer. Sie können festgenommen und des Landes verwiesen werden. Hintergrund dürften Auftritte von Künstlern wie Madonna sein, die sich bei Konzerten in Russland öffentlich für Schwule und Lesben eingesetzt hat.

Die russische Regierung sagt, sie wolle mit dem Verbot Kinder und Jugendliche schützen. Kritiker allerdings befürchten, dass in der Gesellschaft die Toleranz gegenüber Minderheiten weiter abnehmen werde. Wladimir Lukin, Russlands Menschenrechtsbeauftragter, warnte am Tag der Duma-Abstimmung, dass "die harte und unkluge Rechtsanpassung zu menschlichen Opfern und menschlichen Tragödien" führen könne. In den vergangenen Wochen wurden bereits mehrere Menschen Opfer eines verstärkten Schwulenhasses. Zuletzt wurde Ende Mai ein stellvertretender Flughafen-Direktor auf Kamtschatka ermordet und die Leiche verbrannt.

"Anti-Schwulengesetz"

Intoleranz gegenüber Homosexuellen ist im Osten Europas stark verwurzelt, Outings sind eine Seltenheit. Zwar ist eine gleichgeschlechtliche Partnerschaft seit 1993 in Russland nicht mehr strafbar und seit 1999 auch nicht mehr im Kanon psychischer Störungen aufgeführt. Auch unter dem Druck der mächtigen orthodoxen Kirche aber ist der Widerstand gegen mehr öffentliche Toleranz stark. Schwulen-Paraden werden in Moskau und anderen Städten regelmäßig verboten. Und Präsident Wladimir Putin kündigte vergangene Woche beim EU-Russland-Gipfel bereits an, dass er auch ein Gesetz unterschreiben würde, das die Adoption russischer Kinder durch homosexuelle Familien verbietet. Nach einer Umfrage des kremlnahen Instituts Wciom sind 88 Prozent für das neue Verbot, das in Russland "Anti-Schwulengesetz" genannt wird. Sie halten es offenbar eher mit dem Gouverneur des Kurgansker Gebiets, der von Kommersant Wlast mit den Worten zitiert wird: "Europa mit seiner Propaganda solcher Ansichten braucht nicht zu uns zu kommen. Sollen sie ihre Fäulnis bei sich verbreiten."

Der Moskauer Erzpriester Wsewolod Tschaplin nutzte die Debatte über Homo-Ehen in Europa sogar dazu, den Niedergang der westlichen Zivilisation zu prophezeien. Wenn Russland zu moralischen Werten zurückkehre, könne es zeigen, dass es den Westen wieder zum Leben erwecken könne und Europa wieder christlich werde, sagte Tschaplin.

Ein ehemaliger Mitarbeiter der Stadt Moskau outete sich zu Beginn des Jahres in einer Porträt-Reihe des Stadtmagazins Afischa mit den Worten: "Es kann sein, dass ich nach der Veröffentlichung entlassen werde." Er erzählte darin offen von seinen inneren Spannungen seit der Kindheit, weil er anders sei, seine Neigungen nicht offen sagen konnte und deshalb zusammen mit einer Frau "eine Familie vorspielte". Später gab er Cityboom ein weiteres Interview und beklagte sich darin, dass er wegen des Magazin-Artikels aus seinem Job gedrängt worden sei, dass es sehr wohl Diskriminierung von Schwulen und Lesben gebe, anders als es von der politischen Führung dargestellt werde.

Auch unter Russlands Künstlern ist die Vorsicht groß. Lediglich der beliebte Schlagersänger Boris Moissejew, Mitglied der Regierungspartei Einiges Russland, bekannte sich viele Jahre zu seiner Homosexualität. Später revidierte der Mann mit dem wasserstoffblonden Haar seine Haltung. Er habe all dies nur gesagt, um berühmt zu werden.

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