Hannover Messe:Obamas Anti-Angst-Rede

IS-Terror, Flüchtlinge, Gleichheit, Einheit. US-Präsident Obama hält in Hannover eine große Rede und erinnert die Europäer daran, woher sie kommen.

Von Lars Langenau, Hannover

Spätestens seit gestern scheint der Präsident vorrangig zum Scherzen aufgelegt. Ein Witzchen folgt dem nächsten und man fragt sich schon, wen die Amerikaner da eigentlich noch neun Monate an ihrer Spitze haben. Zunächst macht da also ein ausgesprochen gut aufgelegter Barack Obama in seiner als Grundsatzrede angekündigten Ansprache auf der Hannover Messe die Merkel-Raute und grinst breit. Dann dankt er dem deutschen Volk für seinen Empfang vor der Berliner Siegessäule vor acht Jahren, noch bevor er Präsident wurde, erinnert an herzliche Empfänge auch für seine Frau und seine Kinder, lobt das deutsche Bier und Weißwürste.

Und dann sagt er auch noch: "Ich bin noch nie beim Oktoberfest in Deutschland gewesen, das heißt: Ich muss noch mal wiederkommen. Wahrscheinlich macht es mehr Spaß, wenn ich kein Präsident mehr bin." Kann ja lustig werden, diese Rede, denkt man da noch. Doch plötzlich wandelt sich sein Gesichtsausdruck. Obama wird ernst, stellt rhetorische Fragen und seziert nach und nach die Problemfelder der Welt. Was folgt, ist eine gut inszenierte, emotional mitreißende, ja, eine große Rede.

Zunächst fragt er ins Publikum, ob es irgendeinen Punkt in der Geschichte gebe, an dem sie leben wollten? Dann legt er dar, dass es - trotz des existierenden Leids - nie eine bessere Welt gegeben habe, als die, in der wir leben. Und diese sollten wir erhalten, bewahren, schützen. "Wir sollten Vertrauen in uns haben." Doch gefährliche Mächte bedrohten unsere Gesellschaft, sie würden versuchen, uns in eine schlechtere Vergangenheit zu zerren. So bedrohe der Terrorismus uns alle, mache uns ängstlich.

Konfliktherde weltweit treiben Menschen in die Flucht. "Wir alle müssen etwas beitragen, wir alle müssen Verantwortung übernehmen." Und weiter: "Wir können nicht den Menschen den Rücken zuwenden, wenn sie unsere Hilfe brauchen." Obama lobt die von Kanzlerin Angela Merkel betriebene Willkommenspolitik für Flüchtlinge. Auch andere Staaten müssten nun Verantwortung für jene übernehmen, die vor der Gewalt im Nahen Osten fliehen. Dazu gehörten auch die USA.

Er zitiert Papst Franziskus: "Flüchtlinge sind keine Zahlen, sondern Menschen, die ein Gesicht haben." Und sagt dann: "Wir müssen unsere Werte vertreten - nicht nur wenn es einfach ist, sondern auch in schwierigen Zeiten." Nein, es sei nicht einfach. Auch die USA kennen Zuwanderungsprobleme, sagt er. Aber Ausgrenzung führe letztendlich zu Internierungslagern, zur Shoa, zu Srebrenica.

"Wir sind nicht immun gegen barbarische Terroristen"

Vielleicht versetzt er ganz en passant Donald Trump einen Seitenhieb, wenn er darüber redet, dass manchmal die größten Schreihälse die größte Aufmerksamkeit bekommen.

"Wir sind nicht immun gegen barbarische Terroristen", fährt er fort. Die derzeit drängendste Bedrohung sei der Islamische Staat. "Niemand von uns kann das alleine lösen." Doch die Nato und Europa können mehr tun, das werde er nachher auch beim Treffen mit Merkel, Großbritanniens Premier David Cameron, Frankreichs Präsident François Hollande und Italiens Regierungschef Matteo Renzi zur Sprache bringen. Fast im gleichen Atemzug forderte er von den Partnerländern "zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für die Militärausgaben".

Der US-Präsident wirbt für europäische Integration

Gegen den IS "erzielen wir Erfolge", sagt er und verspricht: "Wir werden sie vernichten." Gerade habe er zugestimmt, dass 250 zusätzliche US-Spezialkräfte zur Ausbildung und Unterstützung örtlicher Kräfte im Kampf gegen die Terrormiliz eingesetzt werden. "Ihr Hass wird nie stärker sein als unsere Entschlossenheit."

Allerdings zeigten die Konflikte in Syrien oder Afghanistan, dass Sicherheit nur relativ sei. Auch Russland habe die Souveränität der Ukraine missachtet. Er warb für die Sanktionen gegen Russland - bis Moskau die Minsker Beschlüsse umsetze und die Krim zurückgebe. "Als freie Völker dürfen wir nicht zulassen, dass die Ängste unseren Glauben an die demokratischen Grundsätze" trüben. "Wir müssen unseren Grundsätzen treu bleiben."

Dann wendet er einen rhetorischen Kniff an und wirbt für die europäische Integration, gegen Grenzen. Er sei in das Zentrum Europas gekommen, um zu sagen, dass die Vereinigten Staaten ein starkes, wohlhabendes und geeinigtes Europa brauchen. "Und vielleicht braucht es einen, der von außen kommt, um die Europäer daran zu erinnern, welche Werte sie bewahren müssen." Ein integriertes Europa bleibe entscheidend für die Weltordnung. "Mit mehr als 500 Millionen Menschen mit 24 Sprachen - mindestens - ist Europa eine der größten politischen Leistungen der Neuzeit", sagt er.

"Giganten wie Konrad Adenauer"

Er erinnert an die zwei Weltkriege, an die Toten und auch an die Zerstörung Hannovers in den 40er Jahren. Obama erinnert an Adenauers Traum von Europa, erinnert daran, was Europa einmal war. "Giganten wie Konrad Adenauer" hätten in Europa "aus Gegnern Verbündete" gemacht". Ein starkes Europa trage dazu bei, die Normen und Regeln beizuhalten, damit der Wohlstand gefördert werden könne, auf der ganzen Welt.

Obama erinnert auch an John F. Kennedy und seinen Glauben an die Freiheit. Schließlich habe auch erst der Glaube an ein vereinigtes Europa die deutsche Wiedervereinigung möglich gemacht. Sehr deutlich in Richtung Großbritannien sagte er dann: "Rückzug und Isolation ist keine Lösung."

Demokratie sei alternativlos: "Die Demokratie ist die gerechteste und effektivste Regierungsform, die je existierte." Demokratie bedeute nicht nur Wahlen, fügte er hinzu, sondern auch freie Presse und eine lebendige Zivilgesellschaft.

Klar gebe es frustrierende Kompromisse in der Europäischen Kommission, das kenne er auch aus dem US-Kongress. Aber: "Alle Mitglieder der EU sind Demokratien, kein Land hat seine Waffen gegeneinander erhoben, seit sie dabei sind."

Der Iran-Deal, das Klimaabkommen, die Bekämpfung von Ebola hätten nicht zum Erfolg geführt, wenn die USA nicht mit einem starken, vereinten Europa zusammengearbeitet hätten, sagt der Präsident weiter.

Dann wirbt er für das transatlantische Handelsabkommen TTIP, ohne das Wort in den Mund zu nehmen: Handelsbeziehungen bräuchten Arbeitnehmer- und Verbraucher- und Umweltschutz. Er fordert gleichen Lohn für gleiche Arbeit, für Frauen und Männer. Zur Anerkennung, dass alle Menschen gleich seien. "Schauen Sie, wie könnte sonst ein Präsident mit dieser Hautfarbe vor Ihnen stehen?"

Es war, wenn man so will, eine Anti-Angst-Rede. Und man beginnt Obama zu vermissen. Schon jetzt.

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