Hamid Karsai:Der edle Wilde

Hamid Karsai hat als Staatschef Afghanistans tief enttäuscht. Eine neue Amtszeit wird er bei der Präsidentenwahl dennoch erhalten.

Peter Münch

In früheren Jahrhunderten wurde im Westen gern das Ideal vom "edlen Wilden" gepflegt. Als Sehnsuchtssubjekte mussten vermeintlich glückliche Naturvölker herhalten, die praktischerweise so weit weg waren, dass man die Romantik nicht mit der Realität abgleichen musste.

Hamid Karsai: Hamid Karsai - der afghanische Präsident wird bei den Wahlen am 20. August wohl eine zweite Amtszeit erhalten

Hamid Karsai - der afghanische Präsident wird bei den Wahlen am 20. August wohl eine zweite Amtszeit erhalten

(Foto: Foto: AFP)

Als die Welt schrumpfte und die Wilden weniger wurden, hatten die Märchenmonarchen Konjunktur. Sie saßen in goldenen Palästen oder auf Pfauenthronen, und ob sie ihr Volk folterten oder ihr Land auspressten, wollte man gar nicht so genau wissen - zu schön war doch der Schein. Wo alles Fremde und Ferne sonst eher bedrohlich wirkte, sorgte die Verklärung für Nähe und Faszination. Ein modernes Produkt solcher Projektionen war auch der Edelmann aus dem wilden Land am Hindukusch: Hamid Karsai, der Präsident Afghanistans.

Der perfekte Führer

Wenn der Westen sich nach dem Terror vom 11. September und der Vertreibung der Taliban Ende 2001 einen afghanischen Führer hätte virtuell erschaffen dürfen, es hätte nichts Passenderes dabei herauskommen können als dieser Karsai: Ein Politiker aus dem Mehrheitsvolk der Paschtunen, ein Adeliger gar vom Stamme der Popalzai, der aus dem amerikanischen Exil einen breiten Akzent, westliche Umgangsformen und wohl auch Verbindungen zur CIA mitgebracht hat.

Karsai ist eloquent, elegant und auf den ersten Blick nur so weit geheimnisvoll, dass er dem breiten Publikum reichlich Stoff für Träume bietet, ohne unheimlich zu sein. Die Größen der Weltpolitik waren beeindruckt, die Größen der Modewelt begeistert. Der Gucci-Designer Tom Ford kürte Karsai flugs zum "modischsten Mann auf dem Planeten".

Der Staatschef aus Kabul zog im Triumph über den Globus: von der Münchner Sicherheitskonferenz über das Weltwirtschaftsforum in Davos bis zur UN-Vollversammlung in New York. Er zeigte sich so als würdiger Nachfolger jenes Königs Amanullah, der in den zwanziger Jahren zum Liebling der Illustrierten avanciert war. In Berlin hatten damals die Massen jubelnd Spalier gestanden, als der Herrscher vom Hindukusch, besungen auch in einem populären Schlager, im Februar 1928 im offenen Wagen neben Reichspräsident Paul von Hindenburg durch die Straßen fuhr.

Abwahl ausgeschlossen

Doch in der Politik gilt für Stars dasselbe wie im Showgeschäft: Je höher sie steigen, desto tiefer können sie fallen. Karsai ist schon tief gefallen. Erst murrten sie zu Hause immer lauter über den Präsidenten, der seine Versprechen nicht einhielt und als Marionette der USA regierte. Dann rückten die Amerikaner von ihm ab, weil er allzu eigensinnig wurde.

All das wird nichts daran ändern, dass der 51-Jährige wohl auch nach der Präsidentenwahl am 20. August weiterregiert. Er hat im Wahlkampf die Macht seines Amtes ausgenutzt und wird das womöglich auch bei der Stimmauszählung tun. Zudem hat er den Vorteil, dass sich die mehr als 40 Bewerber gegenseitig behindern.

Zumindest im zweiten Wahlgang dürfte es für Karsai reichen. Doch die Hoffnungen, die sich mit dem charismatischen Mann verknüpften, sind zerstoben. Karsais Bilanz ist negativ, in Teilen sogar verheerend. Seit fast acht Jahren steht er an der Spitze des Staates, doch die Sicherheit fort wird stets schlechter, die Wirtschaftslage nicht durchgreifend besser.

Die Korruption durchwuchert die Amtsstuben, die Drogen sind nicht auszurotten, und die Taliban haben wieder Fuß gefasst. Die Sicherheitskräfte präsentieren sich immer noch als Torso, und der Wiederaufbau stockt trotz aller Milliarden, die geflossen sind.

Ein traditioneller Stammespolitiker

Diese Fakten sind unstrittig, beherrscht wird die politische Debatte in und über Afghanistan allein noch von der Frage, wer wie viel Schuld trägt am Desaster. Karsai wird vom Westen nicht nur angelastet, dass er kein Mittel gegen die Fehlentwicklung gefunden hat. Ihm wird auch vorgeworfen, durch seine Amtsführung das Chaos befördert zu haben.

Richtig und falsch zugleich

Dieses Spiel mit der Schuldzuweisung hat sich so verschärft, dass es heute so wirkt, als sei das Verhältnis zwischen Karsai und dem Westen von Anfang an nur ein großes Missverständnis gewesen.

Das ist richtig und falsch zugleich. Richtig ist, dass Karsai weit weniger "unser Mann in Kabul" ist, als er es selbst glauben machte. In Washington, London und Berlin hat man sich allerdings auch allzu gern darauf verlassen, dass der Präsident seinen grün-schillernden Umhang ebenso wie die allfälligen Dschirgas, die Stammesversammlungen, nur als folkloristische Umrahmung seines Demokratieprogramms westlicher Prägung sieht.

Mittlerweile ist klar geworden, dass Karsai wie ein traditioneller Stammespolitiker agiert, der auf den konservativen Fundamenten der afghanischen Gesellschaft steht und mit den Clanstrukturen machtpolitisch zu spielen weiß. Er befolgt dabei die alte Weisheit, dass man die stolzen Afghanen nicht kaufen kann - aber mieten schon. So hat er für seine Wiederwahl ein paar einflussreiche Regionalfürsten mit reichlich Geld und Versprechen auf seine Seite gebracht sowie mit den schlimmsten Warlords des Landes Allianzen geschmiedet.

Im Westen erscheint das als Verrat an den gemeinsamen Zielen, doch in Wahrheit macht Karsai nichts anderes, als es die Amerikaner vorgemacht haben. Zur Vertreibung der Taliban hatten sie 2001 mit denselben Kriegsverbrechern paktiert, mit denen er sich nun verbündete. Sein Verhalten spiegelt also auch die Widersprüchlichkeit des Westens im Umgang mit Afghanistan.

Überdies sind diese anrüchigen Allianzen eine unmittelbare Reaktion Karsais darauf, dass ihn die US-Regierung unter Barack Obama im Frühjahr schon abgeschrieben hatte - ungeschickterweise jedoch, ohne einen geeigneten Nachfolger im Blick zu haben. All das macht Karsais erratisches Verhalten nicht besser, aber verständlicher.

Realistische Grundlage

Wenn Karsai die Wahl nun wieder gewinnen sollte, weiß man immerhin, mit wem man es zu tun hat im Präsidentenpalast. Nach dem Ende der Verklärung müssen dann aber auch die Schuldzuweisungen gestoppt werden. Es geht schlicht darum, die Afghanistan-Politik auf eine realistische Grundlage zu stellen.

Der Westen, der mit 65000 Soldaten plus Tausenden von Diplomaten und Aufbauhelfern am Hindukusch Krieg führt und Pate steht für den Wiederaufbau, hat gewiss das Recht, klare Forderungen zu stellen. Und er hat die Druckmittel, vieles davon durchzusetzen. Aber er muss auch akzeptieren, dass Afghanistan jenseits von Westminster und Kapitolshügel seinen eigenen Weg finden muss.

Und ob das nun mit Hamid Karsai an der Spitze oder mit einem anderen Präsidenten geschieht, haben allein die Afghanen zu entscheiden. Zu viel Druck des Westens ist da eher kontraproduktiv.

Auch Hamid Karsai hat gelernt, dass er Abstand halten muss zum Westen. Vielleicht denkt er manchmal an den alten König Amanullah. Dem hat die Popularität im Ausland wenig genutzt. Als er sich noch in Berlin feiern ließ, brachen zu Hause in Kabul die Aufstände los. Wenig später war er gestürzt und im Exil. Auf den Thron folgte ihm ein muslimischer Fundamentalist.

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