Hamburgs Erster Bürgermeister Scholz:Das Trauma des Sheriffs

German police use water cannons to clear a street following clashes in front of the 'Rote Flora' cultural centre during a demonstration in Hamburg

Die Polizei löst die Demonstration für den Erhalt der "Roten Flora" auf (Archivbild vom Dezember 2013). Sie setzt auch Wasserwerfer ein. Auf die Beamten fliegen Flaschen und Steine

(Foto: Morris Mac Matzen/Reuters)

Nicht nur Schaufensterscheiben sind in Hamburg zu Bruch gegangen, sondern auch das Vertrauen der Bürger in die Politik. Eine Stimme der Mäßigung wäre in diesen aufgeheizten Tagen nicht schlecht gewesen. Doch der Erste Bürgermeister Olaf Scholz sagte lange nichts. Warum?

Ein Kommentar von Marc Widmann, Hamburg

Vier zerstörerische Wochen waren es in Hamburg. Wer jetzt die Scherben betrachtet, der bemerkt, dass nicht allein Schaufensterscheiben zu Bruch gegangen sind. Schlimm genug ist, dass Menschen zum Teil schwer verletzt wurden. Doch auch mit Blick auf die Zukunft kann man die Verlierer kaum zählen, so viele sind es.

Die linke Szene gehört dazu, die mit Attacken auf Beamte und widerwärtigen Gewaltaufrufen manch Sympathisanten verloren hat. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) ist unter den Entblößten, weil ihr Hamburger Chef in der geladenen Atmosphäre auch noch vom Schusswaffengebrauch faselte. Und die Polizei selbst hat Vertrauen verspielt, als sie drei Stadtteile mal eben zum Gefahrengebiet deklarierte und dabei Hunderte Bürger ohne Anlass filzte. Statt zu deeskalieren, provozierte sie damit nur weiter. Was für eine Bilanz.

Eine Stimme der Mäßigung wäre nicht schlecht gewesen in diesen aufgeheizten Tagen, eine paar kühlende Worte zur richtigen Zeit. Doch eindeutig zu den Verlierern gehören auch die in Hamburg allein regierende SPD und ihr Bürgermeister Olaf Scholz. Wo ein Vermittler gefragt gewesen wäre, jemand, der Dampf aus dem Topf lässt, sagte Scholz erst einmal lange gar nichts. Als er sich endlich äußerte, gab er den roten Sheriff. Verständnis für den Unmut vieler Hamburger über die massive Polizeipräsenz? Nicht im Geringsten. Verständnis für die Zweifel am Polizeigesetz? Keine Spur.

Die Wunde stammt aus dem Jahr 2001

Man kann das nur verstehen, wenn man das Trauma der Hamburger SPD kennt, das gerade Olaf Scholz bis heute verfolgt. Die Wunde stammt aus dem Jahr 2001, als ein politischer Sonderling namens Schill ("Richter Gnadenlos") auftauchte, eine Partei gründete - und die Sozialdemokraten zum ersten Mal seit Ewigkeiten die Wahl verloren. Es folgte für sie ein Jahrzehnt in der Opposition. Was Schill ins Rathaus spülte, war nicht nur der Ärger über roten Filz, es war vor allem eine Stimmung: Zu hasenfüßig, zu weich sei die SPD gewesen bei der inneren Sicherheit. Die offene Drogenszene am Hauptbahnhof ließ viele Hamburger schaudern, die Jugendkriminalität war ein großes Thema.

Als vermeintlicher Retter seiner Partei wurde Olaf Scholz damals kurz vor der Wahl noch Innensenator und mutete sich manche Peinlichkeit zu. Er ließ sich von Polizeihunden in den Arm beißen, posierte mit Helm auf dem Kopf, versuchte mit demonstrativer Härte in vier Monaten auszugleichen, was seine Partei über Jahre versäumt hatte. Es reichte nicht.

Diese Woche hat Scholz eingeräumt, dass ihn dieses Trauma bis heute verfolgt. Er wiederholte auch seinen Satz von damals: "Ich bin liberal, aber nicht doof." Das Problem ist nur, dass es gerade potenzielle SPD-Wähler nicht unbedingt für schlau halten, wenn die Partei so wenig liberal auftritt. Sie erwarten von Sozialdemokraten keine Law-and-Order-Rhetorik, sondern eine Politik mit Einfühlungsvermögen, die im Zweifel erst einmal auf Dialog setzt - egal, ob die Partei traumatisiert ist oder nicht.

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